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22.12.12 / Entdeckung der Langsamkeit am Matterhorn / Schweizer Gemütlichkeit bei Tempo fünf: Besuch in der »Autohochburg« Zermatt

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 51-12 vom 22. Dezember 2012

Entdeckung der Langsamkeit am Matterhorn
Schweizer Gemütlichkeit bei Tempo fünf: Besuch in der »Autohochburg« Zermatt

Lang erstreckt sich das Mattertal, dessen schneeweiße Gletscher am Talende man schon von weitem erblickt. Das Matterhorn kommt erst im letzten Moment von rechts in Sicht. Die Schweizer „Pyramide“ erhebt sich wie ein einsamer Zacken aus dem Gebirgsmassiv des Wallis.

Etwa sieben Kilometer vor Zermatt, das am Fuß des Matterhorns liegt, ist die Fahrt im Privatwagen beendet. In dem kleinen Ort Täsch wird jeder aufgefordert, seinen Wagen in einem über 2000 Pkw fassenden gebührenpflichtigen Parkhaus abzustellen. Denn die letzten Kilometer sind für Privatverkehr gesperrt, und in Zermatt selbst sind laut einem Gemeindebeschluss seit 50 Jahren nur Elektro-Fahrzeuge erlaubt.

Am Tag zuvor sind 40 Zentimeter Schnee gefallen. Trotzdem bringt ein Zugshuttle die Gäste mit einer gnadenlosen Pünktlichkeit zum Zielort, von der die Deutsche Bahn nur träumen kann. Am Bahnhof von Zermatt kommen dann schon die Elektromobile herangesurrt, die auf die Gäste gewartet haben. Nahezu jedes Hotel hat seinen eigenen Minibus, der bis zu sechs Personen aufnehmen kann. Die kastenförmigen Vehikel sind kaum größer als die in einem Kinderkarussell und sehen auch so aus: quadratisch, praktisch, gut. Da laut Gemeindebeschluss die Autos weder futuristisch noch wie herkömmliche Pkw aussehen dürfen, hat sich hier ein bisschen sozialistischer Einheits-Look à la DDR erhalten. „Stimbo“ und „Jumbolino“ heißen die gestanklosen „Trabbis“ von Zermatt, die bei minus zehn Grad schon bei jeder leichten Steigung ins Stocken geraten. Zu Fuß ist man schneller.

„Bei den kalten Temperaturen macht die Batterie schlapp“, entschuldigt sich der Fahrer Bruno Furrer, „dafür schaffen wir bergab gleich 30 Stundenkilometer.“ Dann ist man schneller, als die Polizei erlaubt, denn in Zermatt gilt eine Höchstgeschwindigkeit von 20 Stundenkilometern.

„Genießen Sie die Ruhe im Dorf und unsere frische Schweizer Luft“, sagt Furrer, als er die Fahrgäste am Hotel absetzt. Tatsächlich ist es im 1600 Meter hoch gelegenen Luftkurort Zermatt himmlisch ruhig. Keine Motorengeräusche weit und breit. Aus der Ferne hört man abends nur vereinzelt Sprengdetonationen, mit denen kontrollierte Lawinenabgänge herbeigeführt werden. Man tut alles, um in der Skisaison die 300 Pistenkilometer, die mit 63 Bergbahnen erreicht werden können, lawinensicher zu halten.

Überhaupt tummelt sich ein internationales Publikum auf den Skipisten. Derzeit überwiegen vermögende Russen, die das mondäne Zermatt als Winterrefugium entdeckt haben. Zermatt ist das südlichste deutsche Sprachgebiet der Schweiz, dagegen wird in den benachbarten Tälern Französisch gesprochen. Auf der anderen Seite des Matterhorns liegt dann bereits Italien. Weil der Brite Edward Whymper 1865 als erster auf dem Gipfel des 4478 Meter hohen Matterhorns stand, blieb Zermatt lange Zeit in englischer Hand. Denn jeder wollte den Berg sehen, um dessen Erstbesteigung es einen dramatischen Wettlauf gegen eine von italienischer Seite kletternde Seilschaft gab und bei der vier von Whmypers Begleitern beim Abstieg zu Tode kamen. Luis Trenker hat die Story 1938 in „Der Berg ruft!“ verfilmt.

Heute genießen Touristen aus aller Welt vom Whirlpool ihrer Luxusferienhäuser aus den Blick aufs Matterhorn und auf „unser Dorf“ – so nennt Busfahrer Furrer „sein“ groß gewordenes Zermatt. Er ist Mitte 60 und erinnert sich noch gut an die Zeit, als der Ort nur aus einer Handvoll Bergalmen bestand. Heute ist es eine Kleinstadt von 6300 Einwohnern. Wenn die Skitouristen und auswärtige Servicekräfte einfallen, tummeln sich hier Zehntausende.

Entsprechend wird ein Hotel und ein Appartement nach dem anderen aus dem Fels gestampft. Dafür dürfen dann motorisierte Baufahrzeuge zu bestimmten Zeiten außerhalb der Saison in das „Dorf“ fahren. Da man Baukräne nicht durch die engen, steilen und kurvenreichen Straßen fahren kann, werden sie per Hubschrauber angeflogen und montiert. „Ja, dann kann es auch bei uns ganz schön laut und ungemütlich werden“, gibt Furrer zu.

Mit seinem Bus verteilt er die Hotelgäste auf die Liftstationen. Er besitzt einen „Jumbolino“. Knapp 50000 Euro hat er in das Gefährt gesteckt, das ein BMW- oder Mercedes-Fahrer allenfalls als Spielzeugauto belächeln würde. Zwei lokale Betriebe machen aus Zermatt so etwas wie eine „Autostadt“. Jährlich werden etwa ein Dutzend E-Mobile sonderangefertigt. In Zermatt, das zu den neun autofreien Schweizer Ski-Orten wie Saas-Fee oder Wengen zählt, sind mittlerweile 500 solcher Fahrzeuge zugelassen.

Am Lift gibt plötzlich ein Rettungswagen Gas. Offenbar gab es einen Skiunfall. Ach ja, Krankenwagen und Feuerwehr dürfen hier als einzige benzinbetrieben sein. Sicher ist sicher. Harald Tews


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