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22.12.12 / Rätsel ums Kinderheim / Krimi um DDR-Geschichte

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 51-12 vom 22. Dezember 2012

Rätsel ums Kinderheim
Krimi um DDR-Geschichte

„Dombrowski Facility Management“, Spezialeinheit für Tatortsäuberung, kein sonderlich angenehmer Job, aber die letzte Möglichkeit für die Berlinerin Judith Kepler in dem nun als Taschenbuch erschienenen Bestseller „Die Zeugin der Toten“ nach einer Kindheit im Waisenhaus, einem fehlenden Schulabschluss und einer Drogenvergangenheit in ihrem Leben noch mal die Kurve zu kriegen. Als Judiths resoluter Chef Dombrowski sie allein in eine Wohnung schickt, die nach einem Mord gesäubert werden muss, bekommt sogar die sonst so robuste Judith ein flaues Gefühl im Magen, zumal sich die Wohnung im Stadtteil Berlin-Marzahn genau gegenüber ihrer eigenen Wohnung befindet. Als sie an der Tür der Mordwohnung vom Postboten einen braunen Umschlag als Eilzustellung für die Ermordete annimmt, erscheinen Judith die Wohnung und der darin stattgefunde Mord plötzlich in einem anderen Licht. Als sie den Absender liest, werden ihr die schlimmen Erinnerungen ihrer Kindheit aus der Zeit im Waisenhaus plötzlich wieder präsent: „Kinder- und Erziehungsheim Juri Gagarin, Straße der Jugend 14, Saßnitz 2355. Aufgedruckt und echt. Ein Original, und fast erwartete sie, dass er mit DDR-Briefmarken beklebt war. Aber Stempel und Marke waren neu … Sie riss den Umschlag auf und hielt eine Heimakte in der Hand. Zuerst begriff sie nicht. Ein dünnes, hellgrünes Falzblatt aus holziger Pappe. Darauf stand ein Name: Judith Keppler. Sie verstand immer noch nicht. Ihre Hände begannen zu zittern … Auf dem ersten Blatt klebte ein Foto. Ein fünfjähriges Mädchen mit langen blonden Engelslocken und fast übernatürlich großen blauen Augen … ,verwahrloste Wohnung … Kleidung des Kindes liederlich und schmutzig … Mutter schwachsinnig und alkoholabhängig … Heimerziehung vorerst … für zwei Jahre …‘“

In dem Moment erwacht in Judith ein Hunger nach Informationen, Informationen über ihre Eltern und den Grund, wieso sie zehn Jahre ihres Lebens in diesem schrecklichen Kinderheim in der DDR verbringen musste.

In „Zeugin der Toten“ entführt Elisabeth Herrmann den Leser auf eine Reise ins Jahr 1985, in die Zeit des Kalten Krieges, als die Mitarbeiter der verschieden Nachrichtendienste vor und hinter der Mauer sich noch gegenseitig bespitzelten und man sich als Bürger der DDR nicht mal eben dazu entschließen konnte, die Grenze zu passieren, um die Heimat zu verlassen.

Während Judith sich auf der Suche nach Informationen und Kontaktpersonen von damals in höchste Gefahr begibt, bringen dem Leser die von der Autorin taktisch geschickt zwischen den Kapiteln eingestreuten Rückblenden Klarheit. Perfekt aufeinander abgestimmt gehen zum unerwarteten Finale beide Erzählstränge ineinander über und Judith und der Leser erfahren endlich, wie die Tragödie von Judiths Kindheit damals ihren Lauf nahm, grausam und unaufhaltsam.

Spätestens nach diesem Roman wird dem Leser der aktuell Millionen verschlingende Bau des neuen Hauptsitzes des Bundesnachrichtendienstes in Berlin in einem etwas anderen Licht erscheinen. Die Überlegung, wie viele Informationen nach oder kurz vor der Wende möglicherweise vernichtet oder versteckt worden sind, stimmt nachdenklich. Unheimlich erscheint der Gedanke, dass vielleicht noch in irgendwelchen Kartons auf Dachböden und in Kellern Akten oder Mikrofilme von Überwachungen, Verhören und kaltblütigen Morden vor sich hin stauben. Vanessa Ney

Elisabeth Herrmann: „Die Zeugin der Toten“, Ullstein Taschenbuch, Berlin 2012, broschiert, 432 Seiten, 9,99 Euro


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