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22.12.12 / Geraubte Kindheit / Ostpreußin verarbeitet Fluchterlebnisse – In Dresden Feuersturm miterlebt

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 51-12 vom 22. Dezember 2012

Geraubte Kindheit
Ostpreußin verarbeitet Fluchterlebnisse – In Dresden Feuersturm miterlebt

„Die Straße der verlorenen Träume“ lautet der Titel der Memoiren einer gebürtigen Ostpreußin, die sich erst nach über 60 Jahren entschlossen hat, ihre Kindheitserinnerungen in Buchform zu veröffentlichen. Der Autorenname Laura Kanert ist jedoch ein Pseudonym. Die immerwährende Sehnsucht nach dem geliebten, untergegangenen Ostpreußen war wohl der Ansporn für diese Veröffentlichung, und man kann sich nur darüber freuen, dass es dazu gekommen ist. Das berührende, aus Einzelepisoden bestehende Buch lässt den Leser von der ersten bis zur letzten Seite nicht mehr los. Die Autorin hat nur wenige Namen preisgegeben, vermutlich weil sie niemanden kompromittieren möchte. Das ist verständlich. Schwer nachvollziehbar ist allerdings ihre Scheu, irgendetwas über sich selbst mitzuteilen.

Es ist allerdings extrem, was die Autorin 1945 als Kind zusammen mit ihrer kleinen Schwester und der Mutter an Gräueln in Ostpreußen und kurz danach in Dresden miterleben und erleiden musste. Bezaubernd sind die Geschichten aus ihrer Kindheit auf einem Landgut am Stadtrand von Mohrungen, wo sie behütet im Kreis der Großfamilie aufwuchs. Für die Neunjährige war die Kindheit jäh zu Ende, als die Bestie Krieg Ende Januar 1945 auch diesen Teil Ostpreußens heimsuchte. Spät hatten ihre Mutter und die Großeltern entschieden, dass die beiden kleinen Mädchen mit ihrer Mutter sich einem durchziehenden Flüchtlingstreck anschließen sollten. Die Großeltern blieben auf dem Hof zurück. Doch es gab kein Durchkommen mehr, sie mussten umkehren. Von allen Seiten strömten die Russen in den Ort. Zu Hause wurden die beiden Mädchen Zeuginnen von unfasslichen Gewalttaten, begangen von russischen Soldaten an Frauen, Kindern und Alten. Laura musste mit ansehen, wie ihr Großvater von ihrem polnischen Landarbeiter erschlagen wurde, den die Russen zu dem Mord gezwungen hatten. Wenn von den vielen Toten und ihrem eigenen verzweifelten Kampf um das Überleben in der eisigen Winterkälte die Rede ist, wechselt die Autorin die Perspektive, nennt sich Ditta und erzählt von sich in der dritten Person. Unter chaotischen Umständen gelang der Mutter mit ihren Töchtern doch noch die Flucht aus Ostpreußen. Aber gleich nach ihrer Ankunft in Dresden begann der vernichtende Feuersturm. Nach Stunden des Umherirrens fanden sie einen Bahnwaggon und krochen mit allerletzter Kraft hinein. Später wurde eine Lok angekoppelt, „und nun rollte der Zug langsam mit dieser Unzahl von zusammengewürfelten, entwurzelten Menschen, die sich inzwischen in die Waggons geflüchtet hatten, aus der brandgeschwärzten und immer noch feuerlodernden Ruinenlandschaft hinaus, irgendwohin“.

Packend sind auch die Kapitel über die Erfahrungen der Autorin als Flüchtlingskind in der Ostzone. Von ihren Schulkameradinnen wurde sie als „Polackin“ beschimpft und ausgegrenzt. Laura Kanerts Familie war wieder

glücklich vereint, aber ihr Leben in einer thüringischen Kleinstadt, deren Namen sie nicht mitteilt, war mit Entbehrung, Schikane und Zwang verbunden. Die Pläne ihrer Eltern, sich eine Existenz aufzubauen, wurden erst vom Staat, dann von Neidern und Spitzeln vereitelt. 1956 flüchteten sie aus der DDR in die Bundesrepublik.

Viele Male hat Laura Kanert später ihre geliebte Heimat Ostpreußen aufgesucht, zum ersten Mal nach 25 Jahren. Aber nirgends im einstigen Städtchen Mohrungen fand sie etwas, das sie mit der Vergangenheit in Verbindung bringen konnte. Ergreifend ist das Kapitel, in dem die Autorin Adele Goldinger nach Jahrzehnten überraschend in einem Altenheim wiedertrifft, in dem sie einen Nachmittagskaffee mit organisierte. Damals, als junge Frau im thüringischen Auffanglager, hatte Adele Goldinger das verstörte Mädchen Ditta getröstet, obwohl sie selbst ihr totes Baby und ihre im Bombenhagel verschütteten Eltern betrauerte. Nun konnte Laura Kanert der alten Dame etwas Wärme und Trost zurückgeben. Dagmar Jestrzemski

Laura Kanert: „Die Straße der verlorenen Träume. Odyssee einer Kindheit“, Bromos Verlag, Frankfurt a. M. 2012, broschiert, 280 Seiten, 18,95 Euro


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