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22.12.12 / Stachel im Fleisch / Antisemitismus in Polen

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 51-12 vom 22. Dezember 2012

Stachel im Fleisch
Antisemitismus in Polen

Jan T. Gross wurde 1947 in Warschau geboren, 1968 wegen der judenfeindlichen Politik des polnischen Politikers Wladyslaw Gomulka aus Polen verjagt, profilierte sich ab 1975 in den USA als Zeitgeschichtler. Mit „furchtbaren Büchern“ war er zeitweilig Hassobjekt seiner einstigen Landsleute, da er diese als Antisemiten, Judenmörder und KZ-Leichenfledderer anklagte. Der polnische Sejm erließ 2006 eine „Lex Gross“, die derartige Anklagen mit drei Jahren Haft bedrohte, was aber 2008 als verfassungswidrig gelöscht wurde. Seither besteht Burgfrieden: Die Polen ahnen, dass Gross mit vielem recht hat, Gross holt immer neue Zeugnisse ans Licht.

Gross’ jüngstes Buch „Angst. Antisemitismus nach Auschwitz in Polen“ beginnt und endet mit ein paar Dutzend Seiten voll historischen Allgemeinwissens – wohl von deutschen Bearbeitern eingefügt und verzichtbar. Wichtiger sind drei Paradoxa, die bei Polen und Juden immer im Spiel sind. Erstens hatte Polen die (relativ) meisten Juden (1921 zehn Prozent oder 2,8 von 27 Millionen Einwohnern). Zweitens war polnischer Antisemitismus sprichwörtlich. Drittens haben Polen nie verstanden, dass der Holocaust die Vorwegnahme ihres Unglücks war: „Eines hat Hitler richtig gemacht, er hat die Juden liquidiert“, war im Krieg und danach polnischer Konsens.

Gross’ Buch „Angst“ befasst sich mit dem polnischen Antisemitismus, akribischer als in früheren Büchern und dokumentarisch abgründiger. Bestenfalls 200000 Juden hatten den Krieg überlebt und prallten nun auf eine weitverbreitete Feindschaft. In Krakau und Kielce kam es 1945/46 zu Pogromen, nicht nur dort, denn „man kann Kielce pars pro toto für ganz Polen nehmen“, so Gross. Das Land versank in einem „Meer von Hass“. Überall sei in ungerührter „Normalität“ gemordet und danach „verlassener Besitz“ gestohlen worden. Es sei kein Geheimnis, dass „die Arbeiterklasse nicht viel Mitgefühl für ermordete Juden empfand“, Polizei und Armee hätten mit gemordet, Behörden und Kirche den „kollektiven Wahnsinn“ laufen lassen. Die Intelligenz habe sich „überrascht“ gegeben, auch Kinder hätten Gewaltphrasen nachgeplappert, wonach Juden „Ritualmorde an Christenkindern“. Juden wurden in Ausweisen wieder mit „Z“ (für Zyd = Jude) markiert, in Betriebsräte kamen sie nicht, Kollaborateure aus der Kriegszeit gingen zum Sicherheitsdienst, wo sie wie zuvor Untaten an Juden verübten. Wenn einmal Täter vor Gericht landeten, waren sie nach kurzer „Justizposse“ wieder frei. Jüdische Heroen wie Yitzhak Zuckermann, einer der Führer des Warschauer Ghetto-Aufstands von 1943, wagten sich selbst in Krankenhäuser nur mit geladenem Revolver.

Gross erspart den Polen nichts, auch nicht ihre Kollaboration mit Deutschen im Krieg: „Der Einmarsch der deutschen Truppen entfesselte einen monströsen Terror gegen die Juden“ (Oktober 1941). Und er erspart ihnen auch nicht die erste Nachkriegshetze: „Polen soll ein ethnisch homogener Staat sein ... man muss Hitler für die Ausrottung der Juden dankbar sein“, hieß es noch im August 1945.

Das sind keine Denunziationen, wie Gross zum Schluss ausführt. Es war eine „entsetzliche Schicksalsfügung“, dass der Holocaust in Polen begann. Polnische Beteiligung vollzog sich unter Umständen, „an denen Polen keine Schuld tragen ... nicht einmal im polnischen Antisemitismus findet sich die Absicht, das jüdische Volk zu vernichten“. Die Polen mussten erleben, dass ein Zehntel ihrer Mitbürger terrorisiert wurde, „nur weil sie Juden waren“. Waren „die Polen dieser Herausforderung des Schicksals gewachsen“? Ein „Nachbarstaat“ hat sie ihnen aufgezwungen, und ob sie versagt haben oder nicht – „in anderen Teilen der Welt waren die Menschen nicht einer solchen Prüfung ausgesetzt“, so Gross. W. Oschlies

Jan T. Gross: „Angst. Antisemitismus nach Auschwitz in Polen“, Suhrkamp, Berlin 2012, geb., 454 Seiten, 26,95 Euro


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