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22.12.12 / Nicht nur Tragik einer Familie / »Der Weizsäckerkomplex« beleuchtet auch die deutsche Psyche

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 51-12 vom 22. Dezember 2012

Nicht nur Tragik einer Familie
»Der Weizsäckerkomplex« beleuchtet auch die deutsche Psyche

Das Buch „Der Weizsäckerkomplex. Eine politische Archäologie“, das nach seinem Selbstverständnis kein wissenschaftlich-historisches oder biografisches Werk sein will, verdient Beachtung. Autor Thorsten Hinz leuchtet die Größe und die Tragik einer Familie aus, die als zur Elite gehörig anzusehen ist und deutsche Geschichte geschrieben hat. Ihre Wurzeln können bis ins 13. Jahrhundert nachgewiesen werden. Doch hier geht es nur um zwei ihrer Repräsentanten, um Ernst und um Richard von Weizsäcker, den Staatssekretär im Auswärtigen Amt von 1938 bis 1943 und den Bundespräsidenten des deutschen Volkes der Jahre 1984 bis 1994. Beide haben es also sehr weit gebracht dank ihrer Zielstrebigkeit und als Großmeister der Diplomatie, die sie aber nicht vor schlimmer Tragik bewahren konnte, an der Ernst wohl zerbrochen ist und die Richard bis heute nicht zur Ruhe kommen lässt.

In Hitlers Diensten Staatssekretär des Auswärtigen Amtes versuchte Ernst von Weizsäcker vergebens, den Krieg zu vermeiden. Ohne seine Stellung zu riskieren, kam er auch nicht umhin, der Deportation von Juden in die Vernichtung ein Placet auszustellen, was ihn dann auf die Anklagebank der Sieger brachte. Wegen Verbrechens gegen die Menschlichkeit wurde er 1949 zu sieben Jahren Gefängnis verurteilt, eine Tragödie für den honorigen, tüchtigen Mann.

Sohn Richard studierte nach dem Krieg Jura und verteidigte seinen Vater vor dem Nürnberger Tribunal. Deshalb oder des Namens wegen wurde seine Bewerbung für den Auswärtigen Dienst abgelehnt. Erst spät begann seine politische Karriere, die ihn bis ins Präsidentenamt führte. Er war bemüht, mit viel Geschick sein Erbe zu übertünchen, was Hinz an Weizsäckers Ansprache anlässlich des Gedenktages 40 Jahre nach Kriegsende verdeutlicht. Schon 15 Jahre zuvor hatte Weizsäcker einen historischen Rückblick geboten, in dem das Schicksal der Juden unter Hitler nicht thematisiert wurde.

15 Jahre später machte der Zeitgeist andere Vorgaben und demgemäß wurde nun das deutsche Volk auf die Anklagebank gesetzt, gleichsam an der Eltern statt.

Für die Kritik an dem von ihm repräsentierten Volk erntete Richard von Weizsäcker viel Lob. Aber er konnte doch die Familiengeschichte nicht auf Dauer umschreiben, und als vor kurzem das Buch „Das Amt und die Vergangenheit. Deutsche Diplomaten im Dritten Reich …“ erschien, saß der Vater erneut auf der Anklagebank, und zwar als Leiter einer verbrecherischen Institution. Die Tragik des Sohnes: Auch ihm hatte das diplomatische Geschick letztlich nicht geholfen, obgleich er um des Erfolges wegen die gebotene Fairness gegenüber dem deutschen Volk unterlassen hatte.

So wird die Tragik des Vaters wie des Sohnes auch zur Tragik des Volkes, in dessen Dienst sie standen, wie an der viel gerühmten Ansprache vom 8. Mai 1985 ansatzweise gezeigt werden soll, in der der Bundespräsident ausführte: „Wer seine Ohren und Augen aufmachte, wer sich informieren wollte, dem konnte nicht entgehen, dass Deportationszüge rollten …“ Wo sind die Beweise? Das Gegenteil ist nachweislich richtig. Ferner: „Wer sich informieren wollte“: An wen hätte er sich wenden können? Allein eine solche Frage wäre mit unzumutbaren Gefahren verbunden gewesen. Wie ganz anders der politisch unbelastete Konrad Adenauer: „Das deutsche Volk hat in seiner überwiegenden Mehrheit die an den Juden begangenen Verbrechen verabscheut und hat sich an ihnen nicht beteiligt …“ Wem werden die Historiker letztlich folgen?

So greift jeder, den die Geschichte unseres Volkes nicht kalt lässt, mit großem Gewinn zu Hinz’ jüngstem Essay. Er schreibt klar, allgemeinverständlich, ausgewogen, sachkundig, anregend. Konrad Löw

Thorsten Hinz: „Der Weizsäckerkomplex. Eine politische Archäologie“, Berlin 2012, gebunden, 360 Seiten, 24,80 Euro


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