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22.12.12 / Der Wochenrückblick mit Hans Heckel / Lebenslänglich / Warum die Leute einfach nicht zuhören, wie Hollande das Schloss hinter uns zuschnappen lässt, und wie sich die Geschichte reimt

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 51-12 vom 22. Dezember 2012

Der Wochenrückblick mit Hans Heckel
Lebenslänglich / Warum die Leute einfach nicht zuhören, wie Hollande das Schloss hinter uns zuschnappen lässt, und wie sich die Geschichte reimt

Hätten wir das nur schon früher gewusst. Kennen Sie das Gefühl? Sie haben gerade die PAZ gelesen und klären ihren Nachbarn über die neuesten Fürchterlichkeiten auf, von denen Sie bei uns erfahren haben. Und was macht der Kerl? Der glotzt Sie nur verständnislos an und antwortet mit Geplänkel übers Wetter, seine nächste Urlaubsreise oder ähnlichen Blödsinn. Zum Haare raufen!

Hirnforscher haben nun herausgefunden, woher das kommt: Rund 80 Prozent der Menschen sind laut ihrer Studie schlicht unfähig, schlechte Nachrichten zu verarbeiten. Die entsprechenden Hirnfunktionen im sogenannten Stirnlappen würden einfach heruntergefahren, sobald Unerfreuliches hereinkomme. Somit leben vier von fünf Menschen in einer Phantasiewelt unter der Glocke eines „unrealistischen Optimismus“. Kommen Sie solchen Leuten mit der nächsten Abwärtsdrehung der Euro-Krise, dann schalten die einfach um auf ein schöneres Programm.

Der Defekt kommt in den allerbesten Kreisen vor: Es war der damalige Chef der Deutschen Bank, Josef Ackermann, der im Mai 2008 verkündete, wir erlebten nun den „Anfang vom Ende der Finanzkrise“. Mai 2008! Danach erst folgten Lehman-Pleite, Griechenland, Irland, Portugal, Spanien, jetzt noch Zypern und im kommenden Jahr womöglich Frankreich und Italien. Ackermanns Stirnlappen muss mausetot sein.

Der ehemalige Großbanker ist in prominenter Gesellschaft: EU-Währungskommissar Olli Rehn gab dieser Tage bekannt, dass wir den Wendepunkt in der Euro-Krise geschafft hätten. Mit anderen Worten: Von nun an geht’s bergauf. Die Worte hatten seinen Kopf kaum verlassen, da ratterte die Meldung herein, dass Zypern kurz vor der Pleite steht. Nur mit Tricks schafft es der Inselstaat, seine Bediensteten noch zu bezahlen. Aber bald ist Schluss. Es geht um mehr als 17 Milliarden Euro. Gleichzeitig steigt die Masse der faulen Kredite in Spanien weiter, in Italien macht sich Silvio Berlusconi bereit für die Rück­kehr in die Politik, in Griechenland gewinnen Links- und Rechtsradikale Monat für Monat mehr Anhänger und in Frankreich stolpert ein gewisser Monsieur Hollande hilflos durch den Krisennebel. Olli Rehns Stirnlappen würden uns alle aus dem Schlaf sägen, wenn Hirnzellen schnarchen könnten.

So alarmierend das Forschungsergebnis erscheinen mag – irgendwie stimmt es einen auch wieder milde. Hatten wir nicht seit längerem den grimmigen Verdacht, dass uns Politiker und Banker hemmungslos belügen, wenn es um den wahren Zustand von Währung und Finanzen geht? Da lagen wir wohl falsch: Sie lügen nicht, die wunderbare „Phantasiewelt“, in der sie leben, sieht nur eben ganz anders aus als jene Welt, durch welche wir unsere besorgten Blicke schweifen lassen. Das ist einerseits versöhnlich, andererseits aber auch ein Anlass für begründete Panikattacken: Unsere Kapitäne sind blind für Klippen und Eisberge. Schöne Aussicht.

Für ein bisschen Panik sorgte kurz vor Weihnachten auch Frankreichs Staatspräsident. Fran­çois Hollande klärte uns auf, dass es keinerlei Entrinnen gebe aus den EU-Verträgen. „Wenn sich ein Land den Verträgen verpflichtet, dann ist das lebenslänglich“, so der Sozialist. Der Satz fährt in die Glieder wie der laute Rums einer Gefängnistür, die hinter einem zuschlägt. Was wir vor Jahren noch als großes, epochales Einigungswerk bestaunt haben, verwandelt sich nach Hollandes Einlassung vor unseren Augen in einen Völkerknast mit „lebenslänglich“ inhaftierten Nationen. Nun wissen wir endlich, was uns die Ketzer sagen wollen, wenn sie die EU als „EUdSSR“ angiften.

Das ist natürlich überzogen, einerseits. Andererseits frappiert auch die Ähnlichkeit gewisser Argumentationen: Wer vor 30 Jahren einen Anhänger der DDR auf Sachen wie Mauer oder Reisefreiheit ansprach, dem entgegnete der Genosse, dass die Mauer nun mal notwendig sei, um den „Frieden“ und die „Stabilität“ in Europa aufrecht zu erhalten. Schließlich hätten wir zwei Weltkriege erlebt und da sei diese graue Mauer doch ein kleiner Preis, den „wir“ gerne bezahlen, damit sich solche Katastrophen nicht wiederholen. Denn wenn die Mauer falle, schwebte der Frieden in höchster Gefahr.

Wenn heutzutage Wolfgang Schäuble gefragt wird, ob ihn die demokratischen Defizite in der EU und die Einschränkungen der finanziellen Freiräume zugunsten der „Euro-Rettung“ nicht störten, antwortet der: „Europa hat uns 60 Jahre Frieden und Stabilität gebracht. Dafür müssen wir bereit sein, einen Preis zu zahlen.“ Denn wenn der Euro scheitere, scheitere Europa, und dann schwebte der Frieden in höchster Gefahr.

Erstaunliche Parallelen, aber bestimmt bloß zufällig, so wie auch diese hier: Am 19. Januar 1989 sagte Erich Honecker, „die Mauer wird in 50 und auch in 100 Jahren noch bestehen bleiben“. Unlängst versicherte uns Marcel Fratzscher, der neue Chef des einflussreichen „Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung“ (DIW): „Ich bin überzeugt, dass es den Euro in zehn Jahren und auch in 100 Jahren noch geben wird.“ Das war Anfang Oktober. Gemessen am Verfallsdatum des Honecker-Zitats müsste es mit der Einheitswährung irgendwann im kommenden Sommer vorbei sein.

Aber Vorsicht: Geschichte wiederholt sich nicht, wie es so schön und richtig heißt. Nein, sie reimt sich. Also könnte es noch eine Weile dauern, bis Griechen und Finnen wieder mit unterschiedlichem Geld bezahlen. Allerdings wird mit Schäuble, Hollande und ihren Freunden noch zu rechnen sein. Alle paar Monate bringen sie weitere Schlösser an, um einen Ausbruch aus dem Euro-Gehege zu vereiteln. Indes, auch die Berliner Mauer wurde ständig nach- und aufgerüstet und war nie in ihrer 28-jährigen Geschichte derart perfekt und unüberwindbar wie am Morgen des 9. November 1989. Die Geschichte ist ein sportliches Wesen, das gern mal schnelle, weite Sprünge wagt.

Allerdings wird es beim Sprung aus dem Euro keinen Grund geben, diese Wendung unsererseits mit Freudensprüngen zu feiern, wie wir sie ’89 vollführt haben. Das Ende der Einheitswährung wird eine ziemlich ruppige Sache, und es wird viel Zeit, Mühe und eine ganze Menge neuer D-Mark kosten, bis wir die ökonomischen Trümmer weggeräumt haben.

Hauptsache, wir erfahren überhaupt rechtzeitig davon. Die Bundesnetzagentur macht ja diese düsteren Andeutungen, dass die Gefahr großflächiger Stromausfälle in Deutschland rapide gewachsen sei dank der „Energiewende“. Dann gibt es weder Zeitungen noch Internet, und wer kein batteriebetriebenes Radio hat, ist gänzlich auf Gerüchte angewiesen.

Allerdings ist das ja wieder so eine Nachricht, auf die unser Stirnlappen mit einem plötzlichen Schlafanfall reagiert, weshalb wir solche Tatarenmeldungen gar nicht ernstnehmen können. Da passiert schon nichts. Und da lassen wir uns auch nicht von der Notiz irritieren, dass sich „jedes dritte Unternehmen konkret damit beschäftigt, Energie selbst zu erzeugen“, wie uns Hans Heinrich Driftmann, der Präsident des „Deutschen Industrie- und Handelskammertages“ (DIHK) Anfang der Woche verraten hat. Und zwar, wie Driftmann erklärt, ausdrücklich aus Furcht vor Stromausfällen.

Nein, nein, solche Horrorgeschichten lässt unser Stirnlappen nie und nimmer an uns herankommen. Schließlich müsste uns das ja regelrecht peinlich sein, waren wir Deutsche nach Fuku­shima in unserer großen Mehrheit der festen Überzeugung, dass wir nun aber ganz flott raus müssen aus der Kernenergie. Sollten wir uns etwa geirrt haben? Unmöglich! Energiesicherheit? Die war schließlich immer da, genauso wie unser Wohlstand und das kühle Helle zum Feierabend. Es gibt keinen Stirnlappen-verträglichen Grund anzunehmen, dass sich daran jemals etwas ändern könnte. Frohes Fest!


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