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05.01.13 / Arabischer Winter in Tunesien / Übergangsregierung kann sich nicht auf Verfassung einigen – Wirtschaftliche Lage weiterhin schlecht

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 01-13 vom 05. Januar 2013

Arabischer Winter in Tunesien
Übergangsregierung kann sich nicht auf Verfassung einigen – Wirtschaftliche Lage weiterhin schlecht

In Sidi Bouzid in Tunesien begann am 17. Dezember 2010 mit der Selbstverbrennung des jungen Gemüsehändlers Mohammed Bouaziz aus Protest gegen die schlechte Wirtschaftslage der Arabische Frühling. Dessen Verzweiflungstat hatte vor zwei Jahren hunderttausende Tunesier aufgerüttelt und wenige Wochen später zum Sturz von Präsident Zine el Abidine Ben Ali geführt. Bei einer Kundgebung an diesem symbolträchtigen Ort am zweiten Jahrestag ernteten Staatspräsident Moncef Marzouki und Parlamentspräsident Ben Jafaar von Umstehenden wüste Beschimpfungen. Die beiden aus dem Arabischen Frühling als Hoffnungsträger hervorgegangenen neuen Volksvertreter mussten von Polizeikräften vor dem Volkszorn in Sicherheit gebracht werden. Die Unruhen verliefen glimpflich. In den vergangenen Wochen waren bei Ausschreitungen in Siliana mehrere hundert Menschen verletzt worden.

Hintergrund der Unzufriedenheit und Enttäuschung sind die vielerorts schwierigen Lebensbedingungen. Die Übergangsregierung hat es bislang nicht geschafft, die hohe Arbeitslosigkeit und die Armut in den Griff zu bekommen, andererseits bestehen seit der Revolution hohe Erwartungen. Hinzu kommt, dass das Land in Folge der Euro-Krise in eine Rezession absackte. Die Europäische Union ist bisher der wichtigste Handelspartner des Landes.

Die Gewalt eskaliert vor allem zwischen Anhängern der Zentralgewerkschaft UGTT und den paramilitärischen islamistischen Wächterkomitees. Die islamistische Regierungspartei Ennahda hatte sich nach ihrem Wahlsieg 2011 zum Erben der Revolution erklärt und versucht nun mit sogenannten Wächterkomitees andere gesellschaftliche Gruppen einzuschüchtern.

Revolutionswächter oder Revolutionsgardisten sind Bezeichnungen, die bislang eher aus dem Iran vertraut waren. Die Komitees, die zu Beginn der Revolution aus Nachbarschaftsgruppen spontan entstanden waren, hatten nach dem Sturz Ben Alis dafür gesorgt, dass es nicht zu einer Restauration der alten Macht kam. Mit der Zeit wurden sie von der Muslimbruderschaft und salafistischen Gruppen unterwandert. Viele Tunesier sehen in ihnen jetzt die eigentlichen Unruhestifter. Die kriminellen Banden, die als bewaffnete Milizen verkleidet durch das Land ziehen und Chaos säen, bewegen sich im Fahrwasser der Regierungspartei Ennahda. Diese behauptet, dass nur dank der Wächterkomitees die tunesische Revolution gerettet worden sei. Finanziert werden die Wächterkomitees durch Fonds aus Katar und Saudi-Arabien. Die islamistische Ennahda verteilt Uniformen, Geld und Schlagwaffen und baut die Komitees zu einer Art Parteimiliz aus.

Präsident Marzouki, der als einer der wenigen Politiker gilt, die integer sind, verspricht, sich den islamistischen Milizen entgegenzustellen. Wenn sie gegen das Gesetz verstoßen, müssen sie aufgelöst werden, sagt er. Doch in Facebook-Botschaften rufen Revolutionswächter weiterhin zur Gewalt gegen Andersdenkende auf, einige politische Gegner wurden bereits zu Tode geprügelt.

Auch im Jahr drei kommt das Mutterland der Arabellion nicht zur Ruhe. Anders als in Ägypten, wo Islamisten bei den ersten freien Wahlen 70 Prozent erreichten und dem Land im Hauruck-Verfahren im Dezember auch eine islamistische Verfassung aufdrängen konnten, verfügen die Islamisten der Ennahda in Tunesien nicht über eine Mehrheit im Verfassungsausschuss, der auch als provisorisches Parlament fungiert. Sie sind auf Verbündete angewiesen. So ist die aktuelle Regierung Tunesiens eine Allianz aus Islamisten, Liberalen und Linken. Die islamistische Ennahda-Partei arbeitet in dem Dreier-Bündnis mit dem linksnationalen Kongress für die Republik (CPR) und der Mitte-Links-Partei Ettakatol zusammen, die den Parlamentspräsidenten stellt. Der Bürgerrechtler und ehemalige

Regimegegner Moncef Marzouki von der CPR wurde zum Übergangspräsidenten gekürt.

15 Monate nach der Wahl einer verfassunggebenden Versammlung haben sich die Delegierten, entgegen dem ursprünglichen Zeitplan, noch immer nicht auf einen Verfassungsentwurf einigen können. Den Islamisten ist es in Tunesien bislang nicht gelungen den säkularen Kräften ein islamistisches Verfassungs-Modell aufzudrängen. Anders als Ägypten hat Tunesien bislang keinen vom Volk gewählten Präsidenten, der per Dekret regieren könnte. Deshalb versucht die Ennahda in Tunesien jetzt ein parlamentarisches Regime durchzusetzten mit einem vom Volk gewählten Präsidenten mit erweiterten Machtbefugnissen Elemente der Gewaltenteilung, wie das Verfassungsgericht, lehnen die Islamisten jedoch ab. Bodo Bost


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