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05.01.13 / Ikarus oder Sisyphos / Neues Museum Weimar wagt entscheidenden Blick auf die Bildende Kunst der DDR

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 01-13 vom 05. Januar 2013

Ikarus oder Sisyphos
Neues Museum Weimar wagt entscheidenden Blick auf die Bildende Kunst der DDR

Bis zum 3. Februar ist in Weimar eine wichtige Ausstellung über DDR-Kunst zu sehen. Sie verklärt nicht die Lebenswelt der Künstler, sondern zeigt die ganze frustrierende sozialistische Realität.

Der Titel der Ausstellung über neu gesehene Bilderwelten in der DDR ist irreführend: „Abschied von Ikarus“ suggeriert, dass sich die DDR im Übermut des Höhenfluges die Flügel verbrannt hätte, was den Absturz eines schönen Traums bedeutete. Zum Glück ist die Ausstellung meilenweit von einer solchen Fehlinterpretation entfernt. In der Präsentation selbst wird schnell klar, dass der utopische Anspruch nicht mehr als die Camouflage der zweiten deutschen Diktatur war. Dementsprechend wurden die Minen von DDR-nostalgischen Besuchern beim Rundgang lang und länger. Die Ausstellung ist keine Verharmlosung des Kunstbetriebes im untergegangenen Arbeiter-, und Bauernstaat, sondern eine realitätsnahe Erzählung, unter welchen Bedingungen Künstler dort leben und arbeiten mussten.

Das beginnt schon im ersten Raum, in dem sich eine Depothängung von Musterbildern des „Sozialistischen Realismus“ befindet, die von der SED für die III. Deutsche Kunstausstellung 1953 in Dresden in Auftrag gegeben wurde. Neben Otto Nagels „Maurerlehrling“ mit Elementen der bürgerlichen Porträtkunst hängt „Ehret die alten Meister“ von Hans Mayer Foreyt, das sich in DDR-typischer Doppeldeutigkeit versucht. Ein Kunststudent beugt sich über einen Arbeiter, der eine Skizze begutachtet. Auf der Mappe des Studenten steht Adolph Menzel, als Hinweis, wem sich der Maler verpflichtet fühlt.

Eine verkehrte Welt zeigt dagegen „Europa“ von Werner Tübke, der bereits 1958 im Stil altitalienischer Meister malte und sich den Freiraum mit propagandistischer Verdrehung der Realität erkaufte. Im Westen drängeln sich ärmliche Menschen vor den Schaufenstern, während im Osten gut gekleidete Sozialisten Überfluss genießen.

Wie frustrierend die sozialistische Realität war, zeigen zwei Selbstporträts von Kurt Querner, die im Abstand von mehr als 20 Jahren gemalt wurden, im National- und im Realsozialismus. Der Gesichtsausdruck ist bei beiden gleich. Querner, ein aktiver Gegner des Nationalsozialismus, der sich einen echten Neuanfang in der Kunst erhofft hatte, konnte im „Sozialistischen Realismus“ nicht das notwendige Korrektiv zur NS-Kunst erkennen.

Im Raum „Ein sozialistisches Bauhaus?“ wird der Widerspruch noch deutlicher. Hier wird Hermann Henselmanns gescheiterter Versuch dokumentiert, die Bauhaustradition in der Weimarer Hochschule für die Bildenden Künste neu zu beleben. Als er die jungen Surrealisten Heinz Trökes und Mac Zimmermann als Dozenten berief, wurde ihm von der SED nahegelegt, diese Berufung zu „überdenken“, da der Surrealismus „gesellschaftsfeindlich“ sei. Keine Einwände hatte die SED gegen den Bildhauer Hans van Breek, den Bruder Arno Brekers, dessen Vergangenheit im Nationalsozialismus nicht unbelastet war, der aber Büsten schuf, die dem geforderten Sowjetrealismus entsprachen.

Der Konflikt endete mit der Auflösung der Abteilung Bildende Kunst an der Weimarer Hochschule. Einer der bekanntesten Studenten dieser Einrichtung war Gerhard Altenbourg, der es nach der Exmatrikulation mit seinem bedeutenden Werk trotz staatlicher Repressionen zu europäischer Anerkennung brachte. Sein Bild „Vom inneren Leuchten erfüllt“, zeigt seine souveräne Meisterschaft.

Einer der interessantesten Räume, „Nagelprobe Moderne“, beschäftigt sich mit der halleschen Malerei in den Anfangsjahren der DDR. Damals galt Halle als „vitalste Stadt der ostzonalen Malerei“, wie es der westdeutsche Kunsthistoriker Fritz Löffler formulierte. Das war drei Männern zu verdanken: den von den Nazis entlassenen Malern Charles Cordel und Erwin Hahs, die an die Kunstschule Burg Giebichenstein berufen wurden, und dem Galeristen Eduard Henning. Letzterer eröffnete schon 1947 eine Galerie, mit der er von den Nazis verfemte Künstler, wie Max Pechstein und Karl-Schmidt- Rottluff ausstellte. Bald öffnete er seine Räume für junge Talente wie Ulrich Kitzel und Herbert Knispel. Darüber hinaus widmete er sich der modernen westeuropäischen Kunst. Unter den 160 Ausstellungen, die Henning in nur 15 Jahren organisierte, gehört die erste Picasso-Ausstellung der DDR. Henning musste sich mit seiner Galerie bald in seine Privatwohnung zurückziehen, später wurde ihm die Gewerbeerlaubnis ganz entzogen. Sein früher Tod und der Weggang von Cordel und Hahs aus Halle been­deten die kurze Kunstblüte in der Saalestadt. Ein unscheinbares Exponat legt Zeugnis vom Umgang des SED-Staates mit seinen Künstlern ab. Ein Artikel des „Neuen Deutschland“ anlässlich der ersten Ausstellung des Cordel-Schülers Knispel im Westen, schlägt Töne an, die in großer Gleichförmigkeit all die DDR-Jahre hindurch zu hören waren: „Wir weinen ihm keine Träne nach.“

Im Raum „Sozialistischer Realismus II“ wird eine Auswahl von Brigadebildern gezeigt, die von der SED immer wieder in Auftrag gegeben wurden. Selbst in diese Auftragswerke hält die Realität Einzug, etwa mit der Erschöpfung im Gesicht einer Arbeiterin von Norbert Wagenbrett. Werner Tübke präsentiert seine „Zimmerbrigade Schirmer“ in altitalienischer Entrücktheit. Wilfried Falkenthal lässt seine Brigade gar baden gehen. Die „Aura der Schmelzer“ hat Elemente der Pop-Art und treibt die Doppeldeutigkeit auf die Spitze: Hier wurde, wie die Ausstellungsmacher richtig feststellten, ein „Arbeitsverweigerungskollektiv“ abgebildet.

Es gab ein Gebiet, auf dem der utopische Anspruch des Realsozialismus mehr war als Camouflage: der wissenschaftlich-technische Fortschritt. Hier hatte der Realsozialismus tatsächlich die Nase vorn. Dem ersten Sputnik im All 1957 folgte der erste Mensch im All. Eine kurze Zeit schien die Chrustschowsche Parole von 1961, im Jahre 1980 sei der Kommunismus mit all seinen Segnungen erreicht, glaubhaft.

In der Kunst spiegelt sich dieser Optimismus, wie der Raum „Die technokratische Utopie“ zeigt, wider. Charakteristisch das Bild des Spaniers Josep Renau, der aus seinem mexikanischen Exil in die DDR gekommen war, „Der zukünftige Arbeiter im Kommunismus“. Ein männlicher Halbakt mit wohl definierten Muskeln, umgeben von den Merkmalen der wissenschaftlich-technischen Revolution, einschließlich der friedlichen Nutzung der Kernenergie, spielt mit seinen scheinbar unendlichen Möglichkeiten. Daneben führte Renau mehrere Wandbilder für Halle-Neustadt, der größten Planstadt der DDR aus.

Skepsis aber auch hier, zum Beispiel in Willi Neuberts Bild „Schachspieler mit einem Roboter“ Die Körperhaltung des Menschen zeugt von Unsicherheit, der Roboter ist gesichtslos.

Im Raum „Die Mühen der Ebene“ überwiegt endgültig die sozialistische Tristesse. In Wolfram Ebersbachs „Hausfassade“ von 1974, die in Halle-Neustadt, aber auch in jedem anderen Neubaugebiet der DDR entstanden sein konnte; in Konrad Knebels „Straße mit Mauer“ von 1977, die einen zerfallenen Altbau vor dem „antifaschistischem Schutzwall“ zeigt.

Zwei Bilder problematisieren die Doppel­belastung der berufstätigen Frau. Horst Sakulowskis „Nach dem Dienst“ porträtiert eine im Sessel erschöpft eingeschlafene Frau, die noch im Traum von ihren Dienstpflichten verfolgt wird. Kurt Dornis „Zweite Schicht“ zeigt den gebeugten Rücken einer Frau über der Spüle einer mit Durchreiche versehenen Plattenbauküche. Im Raum „Alter Adam, neue Eva“ herrscht bei den ausgestellten Paarbildern Düsternis und Hoffnungslosigkeit vor, gipfelnd in Joachim Völkners „Vorhof“ von 1983/84, auf dem das Paar als glatzköpfige Skelette abgebildet ist. Der einzige Kontrast ist das lebenspralle, sinnliche Bild von Willi Sitte: „Paar im Badezimmer“.

Der Raum mit Bezug zum Titel der Ausstellung heißt: „Melancholische Antike“ und zeigt das Ausweichen der Künstler auf vom Realsozialismus weit entfernte Stoffe. Mythenreflexion war in der DDR en vogue, nicht nur in der Bildenden Kunst, sondern auch in der Schriftstellerei. Die Sisyphos-Bilder von Wolfgang Mattheuer sind ein anschauliches Beispiel dafür. Seine „Flucht des Sisyphos“ wurde in der DDR als Allegorie auf das Scheitern an den eigenen Auflagen verstanden: Der „Sturz des Ikarus“ als Symbol für den tiefen Fall, der menschlicher Hybris folgt. Hans Hendrik Grimmling geht noch weiter. Er holt den Ikarus-Mythos ins heimische Wohnzimmer. Nach dem Absturz blickt durch das Balkonfenster ein maskenhaftes Gesicht: Big brother is watching you.

Der Raum „Ausbruch und Zerfall“ ist den Gegenkulturen gewidmet, die sich in der DDR entwickelt haben: Privatgalerien, autonome Künstlergruppen, Selbstverlage. Es ist kein Aufbruch, sondern „Ausstieg in den Grenzen der DDR“, wie es die Ausstellungsmacher richtig bezeichnen. Sie waren den Zersetzungsmaßnahmen der Staatssicherheit ausgesetzt. Über allem liegt Vergeblichkeit und Abschied. Mark Lammerts „Wartende“ von 1985 und Trak Wendischs „Mann mit Koffer“ spiegeln die Stimmung der Zeit. Der sozialistische Mythos hat sich als betonharte realsozialistische Realität erwiesen, die immer mehr Künstlern unerträglich wird. Es ist die Zeit des großen Exodus, der sich bis zum Ende der DDR verstärkte.

Ein eigner Raum ist einem fast vergessenen Vertreter dieser Künstlergeneration gewidmet, die heute von der Wissenschaft als die „vergessene“ bezeichnet wird.

Klaus Hähner-Springmühl aus dem damaligen Karl-Marx-Stadt galt als der Star der alternativen Kunstszene und wurde von New Yorker Galeristen als ihr interessantester Vertreter angesehen. Anders als die Exekutoren des „Sozialistischen Realismus“, die keine Schwierigkeiten damit hatten, sich nach dem Fall der DDR an die Marktverhältnisse anzupassen, verweigerte sich Hähner-Springmühl den neuen Verhältnissen, geriet sehr schnell an den Rand und starb verarmt und vereinsamt mit 56 Jahren. Es ist nicht das geringste Verdienst dieser Ausstellung, Hähner- Springmühl und seiner vergessenen Generation gedacht zu haben.

Was sich die Ausstellungsmacher gewünscht haben, ist gelungen. Diese Ausstellung ist ein entscheidender Beitrag im sogenannten Bilderstreit. Vera Lengsfeld


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