29.03.2024

Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung

Suchen und finden
05.01.13 / Fliegen war ihre Leidenschaft / Melitta Gräfin Schenk von Stauffenberg: Jüdischer Abstammung und dennoch vom Dritten Reich hofiert

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 01-13 vom 05. Januar 2013

Fliegen war ihre Leidenschaft
Melitta Gräfin Schenk von Stauffenberg: Jüdischer Abstammung und dennoch vom Dritten Reich hofiert

Melitta Gräfin Schenk von Stauffenberg geborene Schiller ist eine der bedeutendsten Fliegerinnen, welche die deutsche Nation hervorgebracht hat. Einerseits war sie jüdischer Abstammung und Ehefrau eines KZ-Insassen, andererseits leistete sie für das Deutsche Reich kriegswichtige Arbeit und wurde von einem alliierten Soldaten getötet. Vor 110 Jahren, am 9. Januar 1903, kam die Preußin in Krotoschin, Provinz Posen zur Welt.

Die sportlich wie künstlerisch talentierte zweite Tochter des preußischen Baurats jüdischer Abstammung Michael Schiller und seiner Ehefrau Margarete geborene Eberstein hatte die mathematisch-technische Begabung sowie das naturwissenschaftliche Interesse ihres Vaters geerbt. Bereits als Schülerin beschäftigte sie sich mit anspruchsvolleren physikalischen Lehrbüchern sowie der Philosophie Immanuel Kants und Arthur Schopenhauers. Nach dem Ersten Weltkrieg kam die preußische Provinz Posen größtenteils zu Polen, die deutschen Schulen wurden geschlossen, so dass Melitta gezwungen war, ihre gymnasiale Ausbildung anderswo fortzusetzen. Sie beendete sie im schlesischen Hirschberg. Nach dem Abitur begann sie 1922 in München ein mathematisch-naturwissenschaftliches Studium, ergänzt um Vorlesungen in Flugmechanik. Dabei musste die das Studium und ihren Lebensunterhalt selbst finanzieren.

Schon vor dem Studium, nämlich während ihrer Hirschberger Schulzeit, hatte es Melitta zur Segelfliegerei hingezogen, und das Streben zur Fliegerei sollte sie auch nicht mehr loslassen. Nach dem Abschluss des Studiums im Jahre 1927 bewarb sich Diplomingenieurin Melitta Schiller erfolgreich bei der Deutschen Versuchsanstalt für Luftfahrt (DVL) in Berlin Adlershof, wo sie sich hauptsächlich mit Verstell-Luftschrauben und mit Raketenantriebsystemen befasste, wie einige ihrer Forschungsberichte belegen.

Im Jahre 1936 verließ Melitta, die inzwischen sämtliche Flugscheine für Motorflugzeuge ein-schließlich Wasserflugzeuge sowie Lizenzen für Kunst- und Blindflug erworben hatte, auf eigenen Wunsch die DVL und trat in die Dienste der Askania Werke für Bordgeräte. Im selben Jahr führte sie im Rahmen der Olympischen Spiele auf der Großen Flugschau Kunstflüge mit der Heinkel He 70 „Blitz“ durch.

1937 heiratete Melitta Schiller den Althistoriker Alexander Graf Schenk von Stauffenberg, einen Bruder des späteren Hitler-Attentäters Claus Graf Schenk von Stauffenberg. Ebenfalls 1937 wurde der Fliegerin als zweiter Frau in Deutschland der Titel „Flugkapitän“ verliehen.

Beim Küstenflug für Pilotinnen 1938 gewann Gräfin Stauffenberg, in Fliegerkreisen mehr noch unter ihrem Mädchennamen bekannt, den ersten Preis. Während der Sudetenkrise flog Melitta im Auftrag des Nationalsozialistischen Fliegerkorps (NSFK) und auf Einladung der englischen Pilotinnen-Vereinigung mit einer Klemm Kl 35 nach England, um zusammen mit Elly Beinhorn und deren Me 108 „Taifun“ den Flugplatz Chigwell bei London einzuweihen.

Nach dem Ausbruch des Zweiten Weltkrieges wurde ihr der Wunsch, als Sanitätsfliegerin des Deutschen Roten Kreuzes Dienst zu tun, abgeschlagen. Das Reichsluftfahrtministerium mochte auf ihr technisches Können und ihre Bombenzielgeräte-Erfahrung nicht verzichten. Es verpflichtete sie für die Luftwaffenerprobungsstelle Rechlin. Dort widmete sich Gräfin Stauffenberg hauptsächlich der Aufgabe, Sturzflugvisiere für Sturzkampfbomber zu verbessern und zu erproben. Diese Tätigkeit forderte ihr insgesamt rund 2500 Sturzflüge ab, täglich manchmal bis zu 15 an der Zahl auf schweren Kampfmaschinen der Muster Ju 87 „Stuka“ und Ju 88. Von Rechlin wechselte sie 1942 zur Luftkriegsakademie Berlin-Gatow. Vor dem Hintergrund der enormen körperlichen und seelischen Belastungen sind ihre fliegerischen und wissenschaftlichen Leistungen heute kaum noch zu ermessen.

Für ihre kriegswichtige Tätigkeit wurde Gräfin Stauffenberg im Januar 1943 als vierter Frau das Eiserne Kreuz zweiter Klasse verliehen. Sie wurde aus diesem Anlass von Reichsmarschall Hermann Göring persönlich empfangen und auch mit dem Goldenen Flugzeugführerabzeichen mit Brillanten und Rubinen ausgezeichnet.

Unter den erschwerten Bedingungen des vierten Kriegsjahres nahm die Ingenieurpilotin im Auftrag der Kulturabteilung des Auswärtigen Amtes eine infolge der Luftangriffe auf Berlin besonders strapaziöse Reise nach Stockholm auf sich, um vor der Deutsch-Schwedischen Gesellschaft den Vortrag „Eine Frau in der Flugerprobung“ zu halten. Unter ihren Zuhörern war der bekannte Asien-Forscher Sven Hedin.

Das gescheiterte Attentat ihres Schwagers Claus Graf von Stauffenberg am 20. Juli 1944 hatte auch für die Fliegerin, deren wissenschaftliche Tätigkeit ihr im selben Jahr einen „Reichsvertrag“ für ihre „Versuchsstelle für Flugson­dergerät e.V.“ beschert hatte, bittere Konsequenzen. Während der Inhaftierung als „Ehrenhäftling“ wurde ihr jedoch die Fortsetzung ihrer Arbeiten erlaubt, auch wurde sie als einzige Verwandte des Attentäters nach sechs Wochen aus der „Sippenhaft“ entlassen. Das war aufgrund der Bemühungen von Oberst Hajo Herrmann, mit dem sie wegen des von ihr entwickelten optischen Nachtlandeverfahrens zur Vermeidung von Brüchen bei der einmotorigen Nachtjagd eng zusammenarbeitete, und dessen Verbindung zu Göring möglich geworden.

Melitta, die sich nur noch Gräfin Schenk nennen durfte, nutzte die ihr eingeräumten Freiheiten zu Besuchen bei ihrem inhaftierten Mann und den Verwandten, die sie mit Lebensmitteln und Kleidung versorgte. Ihr „Fieseler Storch“ kreiste mehrfach über dem KZ Buchenwald, wo sie ihren Mann sprechen durfte. Melitta unterstützte die inhaftierten Familienangehörigen auf alle erdenkliche und aufopferungsvolle Weise.

Auf ihrem letzten Flug zu den inzwischen westlich Passau in Schönberg untergebrachten Sippenhäftlingen, unter denen sich auch ihr Mann befand, wurde sie am 8. April 1945, an einem Sonntagmorgen, mit ihrer unbewaffneten Bücker 181 von der North American P-51 „Mustang“ des US-amerikanischen Piloten Leutnant Norbourn A. Thomas abgeschossen. Der Absturz erfolgte aus geringer Höhe an der Bahnlinie nach Passau östlich von Straßkirchen. Melitta Gräfin Stauffenberg starb auf dem Weg ins Krankenhaus an inneren Verletzungen.

Auf derart tragische Weise endete kurz vor Kriegsende das Leben dieser bedeutenden Frauenpersönlichkeit von allgemeiner Zurückhaltung und Bescheidenheit. Die von Anfang an dem Nationalsozialismus gegenüber kritisch eingestellte Gräfin fühlte sich nicht allein von ihrer Flugbegeisterung angetrieben, die sie Höchstleistungen vollbringen ließ, sondern auch von der Liebe zu ihren nächsten Angehörigen. Sich daher pflichtbewusst in den Dienst ihres Volkes zu stellen, war für sie trotz allem eine Selbstverständlichkeit, weil sie sich, wie sie in ihrer Stock­holmer Rede verdeutlichte, als Teil der Schicksalsgemeinschaft empfand.

Gerhard Bracke

Der Verfasser dieses Beitrags ist Autor des Buches „Melitta Gräfin Stauffenberg. Das Leben einer Fliegerin“, komplett überarbeitete und erweiterte Neuauflage mit einem Geleitwort von Generalmajor a.D. Berthold Graf Stauffenberg, Herbig Verlag, München 2012, gebunden, 304 Seiten, 19,99 Euro.


Artikel per E-Mail versenden
  Artikel ausdrucken Probeabobestellen Registrieren