19.04.2024

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05.01.13 / Allein am verschneiten See / Das Winterwunderland Ostpreußen lockt auch bei frostiger Kälte

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 01-13 vom 05. Januar 2013

Allein am verschneiten See
Das Winterwunderland Ostpreußen lockt auch bei frostiger Kälte

Unter meinen Stiefelsohlen quietscht der Schnee. Er knarrt nicht, er quietscht. Ein angenehmes, die Schritte beflügelndes Geräusch – das einzige, das in dieser weiten, weißen Einsamkeit an mein Ohr dringt. Immer wieder bleibe ich stehen, um zu lauschen. Aber da ist nichts als Stille.

Über eine Stunde bin ich nun schon unterwegs. Aber ich habe immer noch nicht genug. Nicht genug vom Glitzern des besonnten Schnees, von seinem Funkeln und Irisieren, nicht genug von dieser weiten, unverstellten Sicht.

Ich weiß, vor dem Kachelofen der kleinen Privatpension sitzen die Meinen und machen sich womöglich Sorgen, ob ich auf meiner einsamen Tour nicht doch in irgendein Eisloch eingebrochen oder gar mit dem Schneepflug kollidiert bin. Ja, es ist Zeit umzukehren, zumal unsere Gastgeberin selbst gebackenen Kuchen zum Kaffee versprochen hat.

Doch es fällt mir schwer, mich aus „Schnee’s Einsamkeit“ zu lösen. Schon in meiner gewohnten Umgebung versetzen mich die ersten weißen Flocken stets in Entzücken. Hier aber, in dieser Landschaft, die schon Generationen meiner Vorfahren gesehen hat, schlägt mich der besondere Zauber dieser Jahreszeit völlig in seinen Bann.

Ich ignoriere die Steifheit meiner Finger, kümmere mich nicht um das Spannen und Kneifen in meinen Wangen. Denn diese Stunde will mit allen Sinnen ausgekostet werden. Das Wissen um Vergangenes begleitet jeden meiner Schritte. Diese eisig-klare Luft hat schon meine Mutter geatmet, über diese weite, schneebedeckte Ebene sind die Großeltern mit dem Pferdeschlitten zur Kirche gefahren, und wäre das Dorf nicht niedergebrannt worden, so stünde ich nach kurzem Fußmarsch vor Mamas einklassiger Schule.

Die Gegend ist mir vertraut, ebenso der Weg, dem ich folge, und so weiß ich, dass hinter dem einsamen Gehöft, das jetzt vor mir auftaucht, der See liegt.

Als ich ihn das letzte Mal gesehen habe, spiegelte er das tiefe Blau des Julihimmels wider. Nun liegt er in unschuldigem Weiß vor mir da, kaum zu unterscheiden von den ihn umgebenden Wiesen-und Ackerflächen. Seine Ufer sind flach, fast baumlos. Lediglich das aus dem Eis ragende Schilfrohr verrät in etwa seine Ausmaße.

Der Hund des Bauern hat mein Näherkommen bemerkt und schlägt nun an. Sein tiefes, heiseres Bellen passt wunderbar zur Melancholie der Landschaft, es vertieft die Stille, vertieft ihr Mysterium.

Mit angestrengt spähenden schmalen Augen blicke ich zur Seemitte hin. Schon von weitem ist mir das regungslose dunkle Etwas aufgefallen.

Ein eingefrorener Fischerkahn? Ein Bündel Lumpen? Weder noch. Sogar vom Ufer aus ist jetzt der in der eisigen Luft kondensierende Atem zu erkennen. Ich bin erleichtert, auch ein wenig beglückt von dem unverhofften Anblick. Ein Eisfischer hat sich hier ein Loch geschlagen und harrt nun der Dinge beziehungsweise der Fische, die da kommen. Lange sehe ich der völlig bewegungslos erscheinenden Gestalt zu, die mit stoischer Ruhe die Angel ins Eisloch hält.

Dann greift die Kälte nach mir, treibt mich zum Aufbruch. Schon streut die sinkende Sonne ihr rosiges Licht über die weißen Flure, gibt sie der Schwermut des scheidenden Tages Raum.

Es dämmert bereits, als ich vor der Pension anlange. Ich bin völlig durchfroren, spüre kaum noch meine Zehen. Aber vielleicht ist es gerade das Wahrnehmen der eigenen Körperlichkeit, die das Glück, einen Wintertag ausgekostet zu haben, wie ihn Generationen meiner Familie erlebt haben, um ein Vielfaches verstärkt.

Bevor ich ins Haus trete, nehme ich noch den ziemlich schrägen Schneemann in Augenschein, dem der Enkel unserer Wirtin gerade den letzten Schliff geben will. Aber wie sehr der Junge sich auch bemüht: die dürren Zweige, die er dem weißen Gesellen als Augen in den Kopf drücken will, fallen immer wieder heraus. „Probier’s mal damit!“, fordere ich ihn lächelnd auf und hole die Tüte Hustenbonbons aus meiner Anoraktasche. Vorsichtig drückt Marius die dunklen Salmiakpastillen in die oberste Schneekugel und siehe da – sie halten!

Marius strahlt und ich beeile mich, ins warme Haus zu kommen. Denn ich rieche es schon auf der Veranda: Marius’ Großmutter hat ihr Versprechen gehalten – es gibt Mohnkuchen nach ostpreußischem Rezept. Renate Dopatka


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