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12.01.13 / Thierses weiße Flecken / SPD-Politiker mault über schwäbische Neuberliner – und verschweigt wahre Probleme

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 02-13 vom 12. Januar 2013

Thierses weiße Flecken
SPD-Politiker mault über schwäbische Neuberliner – und verschweigt wahre Probleme

Wenig Sympathie dürfte sich Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse (SPD) mit seinem verbalen Rundumschlag gegen Neuberliner aus dem Schwäbischen im Südwesten Deutschlands eingehandelt haben. Nichts weniger als fehlenden Integrationswillen sah Thierse bei den schwäbelnden Zuzüglern, die sich bevorzugt in seinem Berliner Heimatbezirk Prenzlauer Berg ansiedeln.

Es ärgere ihn, wenn im Viertel Brötchen nach schwäbischer Art als „Wecken“ und nicht berlinerisch als „Schrippen“ verkauft würden, so Thierse am Neujahrstag im Deutschlandfunk. Nur wenige Tage legte er in der „Berliner Morgenpost“ nach: „Ich wünsche mir, dass die Schwaben begreifen, dass sie jetzt in Berlin sind und nicht mehr in ihrer Kleinstadt mit Kehrwoche.“ Selbst Thierses anschließender Versuch, die Wogen zu glätten, kamen nicht ohne Seitenhieb aus: Er staune, dass die „organisierte Schwabenschaft“ eine „freundlich-heitere Bemerkung“ so ernst nehme – „Die Berliner haben mehr Witz", so Thierse herablassend.

Auch wenn der „Berliner Humor“ oft genug bei Nichtberlinern als bloße Unhöflichkeit ankommt – Thierse hat es geschafft, eine Debatte über angeblich fehlenden Integrationswillen von Neuberlinern zu entfachen. Allerdings, die Diskussion weist deutlich weiße Flecken auf: Dass viele alteingesessene Berliner sich in ihrer Heimatstadt nicht mehr zu Hause fühlen, dürfte weniger an zugezogenen Schwaben, Hessen oder Hamburgern, sondern am massenweisen Zuzug von Menschen aus völlig fremden Kulturkreisen liegen. Mut hätte Thierse bewiesen, wenn er auf seine Schwabenschelte verzichtet hätte und stattdessen angesprochen hätte, was viele Berliner seit Jahrzehnten im Alltag erleben, was aber als öffentliches Tabuthema schlechthin gilt: den fehlenden Willen nichtdeutscher Neuberliner, sich zu integrieren.

Statt über schwäbische „Wecken“ und Berliner „Schrippen“ zu räsonieren, hätte Thierse etwa öffentlich ansprechen können, wie sich deutsche Eltern fühlen, wenn ihre Kinder in Grundschulklassen mit 90 Prozent Ausländeranteil eingeschult werden. Oder welche Erfahrungen Familien machen, die in ihrem Haus die letzte Mietpartei ohne den sogenannten Migrationshintergrund sind. Hätte Thierse es allerdings nur im Entferntesten gewagt, nichtdeutschen Berlinern im gleichen Tonfall wie seinen neuen Nachbarn aus dem Schwäbischen zu begegnen, ein breiter medialer Entrüstungssturm wäre die Folge gewesen. Die politische Karriere des Wolfgang Thierse hätte womöglich sogar ein Ende gehabt.

Es ist nicht das erste Mal, dass Thierse nur scheinbar ein heißes Eisen anfasst, in Wirklichkeit aber bloß ein sehr begrenztes Risiko eingeht: Der ehemalige Bundestagspräsident hatte sich bereits mehrfach demonstrativ über Gesetze hinweggesetzt. Öffentlichkeitswirksam beteiligte sich Thierse in Dresden und Berlin an illegalen Sitzblockaden gegen behördlich genehmigte Demonstrationen von Rechtsextremen. Die von der Berliner Justiz aufgenommenen Ermittlungen gegen Thierse wegen Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz und Nötigung wurden eingestellt. Da seine Aktionen im Kampf für die „gute Sache“ – sprich im „Kampf gegen Rechts“ – geschehen waren, war Thierse die Sympathie eines Großteils der etablierten Medien ohnehin sicher.

Trotz des Entrüstungssturms im „Ländle“ – auch mit seiner Schwabenschelte dürfte sich Thierse auf sicherem Eis bewegen: Bereits seit Längerem läuft in Berlin die Diskussion um die sogenannte Gentrifizierung einzelner Stadtviertel. Politisch korrekt geht es dabei nicht darum, dass sich Berliner durch Massenzuzug von nicht integrationsbereiten Ausländern in ihrer eigenen Stadt fremd fühlen. In den Blickpunkt sind die sogenannten Besserverdiener gerückt: Alteingesessene Anwohner werden in Berlin immer öfter durch zahlungskräftigere Zuzügler aus ihren Quartieren verdrängt. Unter denen, die angeblich dafür verantwortlich sind, dass die Mieten in Berlin immer weiter ansteigen, befinden sich gut verdienende Neuberliner, die oft aus dem Südwesten des Landes stammen.

In linken und linksextremen Kreisen steht der Begriff „Schwabe“ mittlerweile schlechthin für den finanzstarken Zuzügler, der den sozial Schwachen die Wohnung streitig mache. Insofern war auch diesmal das „offene Wort“ Thierses weniger Tabubruch denn gefahrloses Schüren von Ressentiments und linker Populismus.

Die Schwaben selbst scheinen die Schelte in der Mehrheit eher gelassen zu nehmen: Ein Unternehmer aus dem Oberschwäbischen schenkte Thierse ein Abonnement der „Schwäbischen Zeitung“: „Herr Thierse soll ab sofort täglich etwas über die Schwaben erfahren und sehen, dass wir da unten auch Kultur haben.“ Die „Schwäbische Zeitung“ selbst legte mit einem offenen Brief noch nach: Thierse solle sich ein wenig mit der schwäbischen Sprache beschäftigen, so die Empfehlung, und außerdem sei für den Katholiken Thierse der Gang zum Beichtvater angebracht – seine Äußerungen verstießen gegen den katholischen Geist.

Der gebürtige Breslauer Wolfgang Thierse dürfte der Stadt Berlin mit seinem verbalen Rundumschlag indes keinen Gefallen getan haben: Die Stadt ist größter Empfänger des Solidarpakts II und hält auch beim Länderfinanzausgleich am kräftigsten die Hand auf. Zu den Milliarden an Transfergeldern, die Berlin Jahr für Jahr kassiert, leisten die Schwaben einen erheblichen Anteil – mittlerweile seit Jahrzehnten.  Norman Hanert


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