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12.01.13 / Museal kurzgefasst / In Bonn mit Siebenmeilenstiefeln durch die Menschheitsgeschichte

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 02-13 vom 12. Januar 2013

Museal kurzgefasst
In Bonn mit Siebenmeilenstiefeln durch die Menschheitsgeschichte

Jedes Mal stöhnen Besucher des Britischen Muse­ums in London: Selbst eine Woche reicht kaum aus, um alle kunsthistorischen Schätze in dem gigantischen Bau gesehen zu haben. Dafür kann man noch bis zum 7. April in der Bonner Bundeskunsthalle eine geschrumpfte Fassung des 1753 gegründeten Britischen Mu­seums erleben und dabei an nur einem Tag eine Zeitreise von über zwei Millionen Jahren mitmachen.

Durch Beschluss des englischen Parlaments wurde in London vor über 250 Jahren das erste Nationalmuseum der Welt gegründet. Das Britische Museum hat den Auftrag, das Weltverständnis und die Bildung zu fördern. Dazu erwirbt, bewahrt und interpretiert es Zeugnisse der materiellen Kultur von den frühesten menschlichen Hervorbringungen bis zu heutigen Produkten. Mit über sieben Millionen Objekten ist es eine der bedeutendsten Institutionen für das Studium der Kulturen unserer Erde.

Mit 250 Kostbarkeiten aus aller Welt und von vielen Kulturen stellt sich das Britische Museum in der Bonner Bundeskunsthalle vor. Sie belegen weit über zwei Millionen Jahre Menschheitsgeschichte. Der Besucher ist zu einem Schnelldurchlauf durch Zeit und Raum eingeladen, bei dem Religion, künstlerischer Ausdruck, Macht und Handel im Blickpunkt stehen. Die Welt wird bei dieser Objektauswahl zum immer wieder Erstaunen hervorrufenden Kuriositätenkabinett. Man achte nur einmal auf die Vielfalt der ausgestellten Zahlungsmittel. Das chinesische „Spatengeld“ (Bronze, 5. Jh. v. Chr.) ist in starker Verkleinerung dem realen Grabwerkzeug nachempfunden. Aus dem Nahen Osten stammt der „Larin“ (Silber, um 1524–1576), der wie eine gebogene Haarnadel aussieht. Ein Bronzebarren (6.–4. Jh. v. Chr.) ist Vertreter der ältesten Zahlungsmittel im antiken Nord- und Mittelitalien. Von solchen Barren wurde der fällige Betrag abgespalten. An der Schwarzmeerküste wurde mit kleinen Delfinen (Bronze, 6. Jh. v. Chr.) bezahlt. Und auf dem Gebiet der heutigen Demokratischen Republik Kongo wurde die Rechnung mit dem „Wurfmesser“ (Eisen, 19. Jh.) beglichen. Es sieht aus wie drei Klingen am Stiel, war Statussymbol der Reichen und höchste Stückelung der lokalen Metallwährung.

Bekanntlich begann die Entwicklung des Menschen in Afrika. Auftakt der in Bonn inszenierten Kulturreise ist eine Vitrine mit zwei Steinbrocken. Das in Tansania gefundene „Hackwerkzeug“ aus Basalt ist um die zwei Millionen Jahre alt und wurde zur Gewinnung von Knochenmark benutzt. Auf etwa 800000 Jahre bringt es der ebenfalls in Tansania entdeckte „Faustkeil“ aus Quarzit. Auf ansehnliche Fortschritte in der Steinbearbeitung treffen wir im weiteren Verlauf unserer Ausstellungsexpedition.

Von den griechischen Kykladen stammt die Statuette (2600–2400 v. Chr.) einer schwangeren Frau. Aus dem Alten Ägypten kommt die „Sitzstatue der Göttin Sachmet“ (1350 v. Chr.), die wie eine Frau mit dem Haupt einer Löwin aussieht. In Persepolis, der Hauptstadt des Achämenidenreiches, wurde das Relief (600–400 v. Chr.) gefunden, auf dem der Vertreter eines staatstragenden Berufsstandes in Erscheinung tritt, der nicht nur Freunde hat: ein Beamter.

Besonders eindrucksvoll ist das indische „Relief mit dem Gott Ganesha“ (um 1200). Er hat einen Elefantenkopf sowie vier Hände und wird als „Herr der Anfänge“ angerufen, bevor jemand mit etwas Neuem beginnt. Etwas grobschlächtig, aber ungemein reizvoll ist das Relief des auf der Osterinsel gefertigten „Vogelmann-Findlings“ (18.–19. Jh.): Ein Mischwesen – halb Vogel, halb Mann – hält ein Ei in den Händen. Die Darstellung bezieht sich auf das jährlich ausgetragene Wettrennen zur Ermittlung des Häuptlings, der in den nächsten zwölf Monaten der Repräsentant des Vogelgottes „Makemake“ sein sollte.

Allerorten trifft man auf wertvolle Materialien in edler Verarbeitung. Als eines der großartigs­ten Beispiele der europäischen Goldschmiedekunst der Bronzezeit gilt der in Portugal gefundene Halsreif (um 900–700 v. Chr.) aus drei miteinander verlöteten Rundstäben, an deren Ende sich kleine Kelche befinden. Die aus Kolumbien stammende goldene „Maske mit Nasenschmuck“ (600–1500) könnte ein Herrscher oder Priester getragen haben. Die Kunst der Elfenbeinschnitzerei wurde sowohl in Europa als auch in Afrika beherrscht, wie das unter den ottonischen Kaisern geschaffene „Täfelchen mit der Darstellung des letzten Abendmahls“ (Mitte 10. Jh.) und das von den Sapi in Sierra Leone gefertigte „Salzfässchen“ (um 1490–1530) zeigen, auf dessen Deckel ausgestreck­te Menschen und die in sie verbissenen Krokodile ein makaberes Dekor bilden. Zu einer Zeit, in der man nur in China das Geheimnis der Porzellanherstellung kannte, wurde der mit Melonen und deren Blüten bemalte „Blauweiße Teller“ (um 1403–1424) produziert. Ein Prunkstück der Glasbearbeitung ist die gravierte, geätzte und bunt emaillierte „Moscheeampel“ (Ägypten, 1350–1355), die als Lichtspender passenderweise mit dem berühmten „Lichtvers“ aus dem Koran geschmückt ist.

Zum anonymen Kunsthandwerk gesellen sich Werke namhafter Künstler. Das Britische Museum besitzt eine der weltweit größten und bedeutendsten Sammlungen westeuropäischer Grafik: über zwei Millionen Druck und etwa 50000 Zeichnungen. Als exquisite Kostprobe ist etwa Michelangelos mit schwarzer Kreide gezeichnete „Studie für einen von den Toten Auferstehenden“ (um 1536–1541) ausgestellt. Sie bereitete die Ausmalung der linken unteren Bildzone des „Jüngsten Gerichts“ in der Sixtinischen Kapelle des Vatikans mit vor.

Besonderen Wert legt man im Britischen Museum auf das Sammeln moderner und zeitgenössischer Kunst. Ein Hauptaugenmerk gilt dabei Werken, in die unterschiedliche Vorbilder und Traditionen eingeflossen sind. Das zeigt zum Beispiel der Beitrag des in Ghana geborenen El Anatsui, der als einer der bedeutends­ten zeitgenössischen Künstler Afrikas gilt. Sein „Tuch für eine Frau“ (2001) ist inspiriert von traditionellen, aus schmalen Seidenstreifen gewebten Stoffen – an deren Stelle Anatsui jedoch Flaschenhalsfolien und Kronkorken einsetzte. Veit-Mario Thiede

Bis 7. April 2013 in der Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland, Friedrich-Ebert-Allee 4, Bonn. Di., Mi. 10–21 Uhr, Do.–So. 10–19 Uhr. Informationen un­ter Telefon (0228)–9171200 und www.bundeskunsthalle.de. Eintritt: 10 Euro. Der Katalog kostet 33 Euro.


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