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12.01.13 / Ein masurischer Dichter / Neben dem Unterricht in der Dorfschule beschäftigte Lehrer Knafla sich mit Lyrik

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 02-13 vom 12. Januar 2013

Ein masurischer Dichter
Neben dem Unterricht in der Dorfschule beschäftigte Lehrer Knafla sich mit Lyrik

Zwei Tatsachen müssen zu Beginn dieser Geschichte festgehalten werden. Einmal, dass Masuren keineswegs der Mittelpunkt der Welt war, aber auch nicht gänzlich hinter dem Mond lag. Natürlich ist zuzugeben, dass die meisten Neuerungen diesen idyllischen Landstrich mit einiger Verspätung erreichten, aber sie erreichten ihn. Das galt beispielsweise für die Eisenbahn, welche im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts dort Einzug gehalten hatte und bald auch kleine Städte und zahlreiche Dorfgemeinden miteinander verband. Ebenso hatte das elektrische Licht nahezu überall die seither gebräuchliche Petroleumlampe vertrieben. Das zweite hier zu berücksichtigende Faktum weist aus, dass dem in Masuren lebenden Völkchen ein hohes Maß an dem innewohnte, was man als „poetische Ader“ bezeichnen konnte. Grob geschätzt befasste sich jeder fünfte Bewohner jener Gegend mit der Kunst des Reimens, zugegebenermaßen oft mehr schlecht als recht,

Unverdrossen wurden die edels-ten Gefühle bedichtet, etwa „Herz und Schmerz“ oder „Kuss und Schluss“. Selbstverständlich blieben aber auch die Dinge des Alltagslebens nicht unbeachtet. Man reimte etwa „Roggen“ auf „Poggen“, „Dittchen auf Kittchen“ und „weite Fluren“ auf „Masuren“.

Einer, der sich auf beiden Gebieten solcher Dichterei tummelte, war der Junglehrer Roderich Knafla. Er hatte die beiden jüngsten Jahrgänge der viertklassigen Volksschule in dem Marktflecken Großwaldau im Lesen, Schreiben und Rechnen zu unterrichten. Das ließ ihm Zeit genug, Pegasus zu satteln und die gewagtesten Reime zu ersinnen. Weil er sie alle zu Papier brachte, entstand mit der Zeit ein hübscher Stoß von Blättern, auf denen er sich verewigt hatte. Und je höher dieser Stapel anwuchs, desto stärker wurde der Wunsch, auch andere Menschen an den Erzeugnissen seines poetischen Geistes teilhaben zu lassen, soll heißen, er strebte deren Veröffentlichung an.

Roderich Knafla wusste, an wen er sich zu wenden hatte. Es gab da in der zuständigen Kreisstadt Johannes Michalek, welcher eine kleine Druckerei sein eigen nannte. In diesem Betrieb wurden alle Verlautbarungen, nicht nur der städtischen Amtsstellen, sondern auch der Behörden des Landkreises hergestellt und vertrieben. Außerdem gab Herr Michalek alljährlich einen lokalen Bauernkalender heraus, der sich einiger Beliebtheit erfreute. Darin waren neben Ratschlägen für Landwirtschaft und Viehzucht kleine, unterhaltsame Geschichtchen eingestreut sowie das eine oder andere Gedicht. Deshalb auch bezeichnete sich Johannes Michalek mit einigem Stolz gern als „Verleger“. Zudem war ihm seiner wirtschaftlichen Verdienste wegen der Kommerzienrat-Titel zuerkannt worden. Das alles qualifizierte ihn zur idealen Bezugsperson für den Poeten Roderich Knafla. Und so schickte dieser einige seiner besten Gedichte an dessen Adresse und bat in demutsvoller Höflichkeit um wohlwollende Prüfung derselben. Schon nach gut 14 Tagen kam Antwort. Und darin wurde der junge Pädagoge zu einem persönlichen Gespräch in die Stadt gebeten. Voller Hoffnung auf den Beginn einer großen literarischen Karriere machte sich Roderich auf den Weg. Er wurde von dem Verleger in dessen Kontor äußerst zuvorkommend empfangen, Man bot dem Gast ein Glas Rotspon an und eine Zigarre, die so duftete, als hätte sie mindestens gekostet – wenn nicht noch mehr.

Als die ersten Rauchschwaden sich kräuselten, ergriff Johannes Michalek, der sich als jovialer und behäbiger Herr entpuppt hatte, das Wort und sprach: „Ich habe die Gedichte, die mir sind geschickt worden, aufmerksam gelesen. Und dabei sind mir besonders zwei aufgefallen. Denn diese hätte weder der Herr Goethe machen können noch der Herr Schiller.“ Ob dieses ganz offensichtlichen Lobs bekam Roderich Knafla feuerrot glühende Ohren. „Ist das denn wirklich wahr?“, stammelte er völlig überwältigt und sein Gegenüber nickte nur. Worauf der Poet und Reimeschmied wissen wollte: „Und welche sind das?“ Johannes Michalek schaute freundlich über die etwas heruntergerutschte Brille hinweg. Dann meinte er in breitestem Ostpreußisch: „Nu ja, das eine, das jeht ieber das Telefon. Und das zweite ieber die Dreschmaschin.“

Heinz Kurt Kays


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