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12.01.13 / Würde bis zum Ende / Sachbuch übers Sterben

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 02-13 vom 12. Januar 2013

Würde bis zum Ende
Sachbuch übers Sterben

Der griechische Philosoph Epikur hatte ein simples Rezept für den Umgang mit dem Sterben: „Der Tod geht mich eigentlich nichts an. Denn wenn er ist, bin ich nicht mehr, und solange ich bin, ist er nicht.“ Ganz so einfach macht es sich der erfahrene Palliativmediziner Gian Domenico Borasio nicht. Der Autor beschäftigt sich in seinem Buch „Über das Sterben“ eingehend mit schwierigen Themen wie Organ- und Hirntod, Wachkoma, Demenz, Patientenverfügung und Sterbebegleitung. Er bohrt im wunden Punkt einer Gesellschaft, die das Sterben und den Tod verbannt hat – in Krankenhäuser, in Pflegeheime, in Hospize, in Krematorien und auf Friedhöfe hinter dicken Mauern. Schwerkranke und deren Angehörige sind häufig schlecht informiert und fühlen sich hilflos. Genau diesem Zustand möchte der Autor Abhilfe schaffen.

Borasio geht es um die existenzielle Frage der Würde bis zum Ende. Er gibt konkrete Hinweise zu Vorsorgevollmacht und Patientenverfügung. Ärzte würden sich oft über den Willen ihrer Patienten hinwegsetzen und alles medizinisch und technisch Mögliche tun. Der Autor lehnt zwar die aktive Sterbehilfe, das heißt eine Legalisierung der Tötung auf Verlangen wie in den Niederlanden oder in Belgien, ab. Doch die passive Sterbehilfe als Verzicht auf unnötige lebenserhaltende Maßnahmen oder den Abbruch solcher Maßnahmen hält er in aussichtslosen Situationen für sinnvoll.

Kritisch setzt sich Borasio mit der Frage auseinander, ob ein ärztlich assistierter Suizid erlaubt sein sollte. Obwohl er für die Aufhebung der Garantenpflicht, den Zwang zur Rettung bei stattfindender Selbsttötung, plädiert, äußert er Bedenken gegenüber einer aktiven Beihilfe zur Selbsttötung: Der Autor befürchtet, für Ärzte könnte es teurer und aufwendiger sein, einen Patienten am Lebens-ende angemessen zu betreuen, als ihm eine tödliche Medikamentendosis zu verschreiben.

Über eine Reform der Strafgesetze hinaus fordert Borasio eine bessere Aus- und Weiterbildung der Ärzte und des Pflegepersonals in der Palliativmedizin. Aus Unwissen würden Mediziner kaum Morphium verordnen. Sie hätten Angst, das starke Schmerzmittel mache süchtig, setze die Atmung aus und führe so zum Tod. Mit diesen und anderen Mythen räumt der Autor dank zahlreicher Statistiken und Fakten auf und bezieht ebenso kritisch Stellung zu Übertherapie und Unterversorgung.

Zur Palliativmedizin gehöre jedoch nicht nur Schmerzlinderung und Krebstherapie, sondern auch psychosoziale Betreuung, das Gespräch aller Beteiligten, der persönliche Kontakt und die spirituelle Begleitung. Der Autor betrachtet Spiritualität losgelöst von einer ausschließlich religiösen Angelegenheit. Er verbindet damit Wertvorstellungen und Lebenssinn, die in schwierigen Situationen eine Ressource für die Betroffenen darstellen können, und stellt Meditation als bewährtes Mittel für viele Patienten vor.

Das Buch Borasios sei allen ans Herz gelegt, die sich beruflich und ehrenamtlich mit der Sterbebegleitung beschäftigen oder die für sich beziehungsweise ihre Familienangehörigen wichtige praktische Fragen zum Lebensende beantworten möchten. Einfühlsam und anschaulich erklärt der Autor alle biologischen, medizinischen, rechtlichen, psychologischen und sozialen Aspekte rund um Sterben und Tod. Ein Standardwerk.

Sophia E. Gerber

Gian Domenico Borasio: „Über das Sterben. Was wir wissen. Was wir tun können. Wie wir uns darauf einstellen“, C.H. Beck, geb., 207 Seiten, 17,95 Euro


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