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19.01.13 / »Regelrecht zerschossen« / Schwarzer Peter um Flughafen-Desaster – SPD weiß nicht, wie sie Wowereit loswerden kann

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 03-13 vom 19. Januar 2013

»Regelrecht zerschossen«
Schwarzer Peter um Flughafen-Desaster – SPD weiß nicht, wie sie Wowereit loswerden kann

Die für Berlin-Brandenburgs Großflughafen BER zuletzt auf dieses Jahr verschobene Eröffnung ist bereits wieder vom Tisch. Jeder weitere Monat Bauzeit erhöht nach Expertenberechnungen die Kosten um 15 Millionen Euro. Selbst die EU verliert die Geduld.

Für die Politik wird es eng, das spürt die SPD. Ihr linker Flügel hofft bereits, aus ihren Reihen einen Nachfolger für Klaus Wowereit stellen zu können. Dessen Nachfolger an der BER-Spitze, Matthias Platzeck (SPD), ist als bisheriger Aufsichtsrats-Vize kaum weniger belastet. Er steht als Brandenburgs Ministerpräsident noch stärker unter dem Druck der dort aktiven Nachtfluggegner.

Als neues politisches Gesicht des Flughafens erntete Platzeck vor Tagen noch Vorschusslorbeeren. Bei Günther Jauch stellte er sich im TV den aus Steuertöpfen zu tragenden Mehrkosten im nicht enden wollenden BER-Planungsdesaster. „Eine gute Figur“ habe er gemacht, bescheinigte ihm der „Tagesspiegel“. „Interessant irgendwie“ sei der Auftritt gewesen, doch „am Ende war die Schuldfrage nicht geklärt, es wurde auch kein neuer Eröffnungstermin ausgerufen“, so das Blatt, was viele Internetkommentare anregte, ob die Redaktion die „gute Figur“ in einer anderen Sendung gesehen habe.

Am Montag stellte Platzeck im Parlament die Vertrauensfrage. Die Zukunft des Landes hänge am Flughafen, der „in sehr schwerwiegender Weise in Not“ sei. Die von der Politik bisher benannten Sündenböcke erhöhen den Druck. Sie schlagen zurück: Die BER-Architekten gmp (Gerkan, Marg und Partner) haben auf eine Klage Erwiderung beim Landgericht Potsdam eingereicht. Darin werfen sie laut „Spiegel“ der Flughafengesellschaft und indirekt auch dem Aufsichtsrat vor, das Bauvorhaben und dessen Ablauf „regelrecht zerschossen“ zu haben.

Laut Gerkan, Marg und Partner gab es 286 Planänderungsanträge. Jahrelang hätten die Verantwortlichen ihre Warnungen, Termine seien bei so vielen, so spät vorgebrachten Änderungswünschen nicht einzuhalten, ignoriert, so die Architekten. Völlig neu konzipiert wurden demnach mitten in der Bauphase der Gastronomiebereich, die Ladenflächen und die Andockpositionen für den Airbus A380. Dadurch verlagerten sich die Wege für die Fluggäste. Eine Kostenlawine sei so losgetreten worden.

Und die Lawine rauscht weiter. Nach den jüngsten Planungspannen diskutieren bundesweit Architekten und Planer, ob Politiker überhaupt Großprojekte schaffen – ein Vertrauensverlust ohne Gleichen. Immer mit dabei im BER-Aufsichtsrat saß Matthias Platzeck, der es nun anstelle von Wowereit richten soll.

Mit der Verzögerungsbotschaft vom Frühjahr 2012 hatten die politisch Verantwortlichen noch den Architekten wegen angeblich unvollständiger Pläne gekündigt. Jetzt steht ihnen selbst das Wasser bis zum Hals. Neben dem juristischen Kriegsschauplatz öffnet sich in Brüssel ein weiterer, fürchtet Brandenburgs CDU-Europaabgeordneter Christian Ehler. Das dringend benötigte frische Geld für das Projekt, das aus Berlin, Potsdam und vom Bund kommen soll, muss von der EU genehmigt werden. Doch Brüssel stellt sich quer.

Nur „mit Mühe und Not“ habe die EU im Dezember die 1,2 Milliarden Euro abgesegnet, die zum Ausgleich der Mehrkosten der im Juni gescheiterten Eröffnung aus den staatlichen Kassen fließen müss­ten, so Ehler. Sowohl wegen des Unvermögens der Politik als auch als finanzielle Lösung droht dem Projekt die Privatisierung. Der letzte Kostenrahmen von 4,3 Milliarden Euro liegt inzwischen bei fünf Milliarden plus x. Das ruft EU-Wettbewerbshüter auf den Plan, die eine komplette Neubewertung der staatlichen BER-Beihilfen fordern. Im schlimmsten Fall droht der Politik ein ähnliches Desaster wie im Fall der Berliner Landesbank.

Und auch der Bundestag hat genug: Der Haushaltsausschuss lud diese Woche Wowereit, Platzeck, BER-Geschäftsführer Rainer Schwarz sowie Technikchef Horst Amann zur Ausschuss-Sitzung vor. Brandenburgs im Dezember mühsam von Rot-Rot durchgebrachter Haushalt ist bereits wieder Geschichte. Der nochmals gestiegene Sparzwang auf die anderen Ressorts schnürt Platzeck die Luft ab.

Wowereit will indes die erneute Verschiebung der Flughafeneröffnung nicht als „politisches Versagen“ gelten lassen. Hinter den Kulissen sucht die SPD angesichts solch befremdlicher Worte einen Nachfolger. Der Parteilinke und Verwaltungsrichter Jan Stöß gilt derzeit als ein Favorit, ein anderer ist der SPD-Fraktionsvorsitzende im Abgeordnetenhaus, Raed Saleh. „Rück­trittsgerüchte sind übertrieben“, sagt dazu Stöß.

Bei dem von Grünen und Linkspartei eingeleiteten Misstrauensvotum gegen Wowereit gelang es der SPD, die Reihen nochmals zu schließen. Wowereit bekam sogar eine Stimme mehr, als SPD und CDU Abgeordnete haben. Das spricht dafür, dass die SPD schon eine Regelung angebahnt hat, sich aber mit der Ablösung Zeit lassen will. Medien spekulieren auf einen vertraulichen Ablöseplan: 2014, zwei Jahre vor der nächsten Berlin-Wahl, könnte Stöß oder ein erfahrenerer Kandidat Wowereit als Bürgermeister beerben, ohne Streit.

Heinz Buschkowsky, Bezirks-Bürgermeister von Neukölln, äußerte sich dennoch gegenüber dem Sender RBB über mögliche Nachfolger. An der Basis gärt es und der SPD-Kreischef von Mitte, Boris Velter, sagte: „Aber es versucht absolut niemand, eine Treibjagd auf den Regierenden anzuzetteln.“ Sverre Gutschmidt


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