25.04.2024

Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung

Suchen und finden
19.01.13 / Endstation »Speziallager« / Eine neue Ausstellung macht Opfern sowjetischer Lager Hoffnung auf eine objektive Erinnerungspolitik

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 03-13 vom 19. Januar 2013

Endstation »Speziallager«
Eine neue Ausstellung macht Opfern sowjetischer Lager Hoffnung auf eine objektive Erinnerungspolitik

Die sowjetischen Lager in Deutschland nach 1945 und ihre Opfer führen im öffentlichen Bewusstsein wie in der Wissenschaft ein Schattendasein. Vielen unbekannt, in der DDR totgeschwiegen und in westdeutscher Erinnerungskultur oft nur am Rande als notwendige Fußnote des Zweiten Weltkrieges abgetan, sind die zehn Internierungslager, von der Sowjetverwaltung „Speziallager“ genannt, heute oft Gegenstand eines Streits um Opferzahlen und das angemessene Gedenken.

Im brandenburgischen Ketschendorf geht eine Ausstellung jetzt einen anderen Weg: In der Stadtbibliothek sollen Dokumente und Schautafeln helfen, das 40 Jahre dauernde Schweigen zu durchbrechen. Auch Überlebende suchen den Ort auf, beteiligen sich am Gedenken. Das ist keine Selbstverständlichkeit. Vielerorts weisen eher versteckte Gedenksteine abseits der oftmals von den Sowjets weiter genutzten Lager aus der Zeit des Nationalsozialismus auf das spätere Unrecht ab 1945 hin. Nahe dem heute zu Fürstenwalde gehörenden Ketschendorf betrieb die sowjetische Siegermacht 1945 bis 1947 das „Speziallager 5“, in dem 4621 Menschen umkamen. Unter dem Titel „Die Straße, die in den Tod führte“ informieren jetzt 13 Tafeln über das Lager und gehen auf die Verhaftungen, aber auch auf die Schließung des Lagers, sowie die Aufarbeitung seit dem Zusammenbruch der DDR ein.

Dass die Ausstellung, zur der auch eine gleichnamige Publikation erschienen ist, so harmonisch verläuft, hängt nicht nur mit dem bildungspolitischen Nachholbedarf zusammen. Im Gegensatz zu anderen sowjetischen Speziallagern auf deutschem Boden wurde Ketschendorf erst nach 1945 Lager, gehörte zuvor zu einer Arbeitersiedlung. Konflikte mit NS-Opfern um den Gedenkort entfallen somit. Sie sind andernorts an der Tagesordnung, so in Sachsenhausen. Dort beklagen die Überlebenden des vom „Volkskommissariat für Innere Angelegenheiten“ (NKWD) einst als „Speziallager 7“ genutzten KZ-Geländes bis heute ihre Benachteiligung durch die offizielle Gedenkpolitik des Landes Brandenburg. „Die vor 1945 Inhaftierten wollten nicht, dass unsere Zeit zur Geltung kommt, aus Angst, ihre Zeit könnte abgeschwächt werden, aber wir wollen das nicht beurteilen, wir wollen nur unserer Toten gedenken“, sagt Gerhard Taege, der als 17-Jähriger von den Sowjets in Sachsenhausen eingesperrt wurde. Den heute verbreiteten Opferzahlen von dort rund 12000 Toten misstraut er: „Wir haben 25000 Tote in Sachsenhausen, das geht auf die Erfahrungen der Ärzte und der Kollegen zurück, die im Leichenkeller eingesetzt waren. Die Akten sind alle von den Sowjets vernichtet worden. Viele Massengräber wurden sofort planiert, sind bis heute nicht gefunden.“

Auch wenn die Zusammenarbeit der Opfergruppen sich gebessert hat, steht die Forschung noch am Anfang. Unter Berufung auf die Autorin Bettina Greiner erklärte die „Frankfurter Rundschau“ 2010 zu den Gesamtopferzahlen der Speziallager: „Die seriöse Forschung kommt auf 154000 Häftlinge, von denen rund 44000 starben, allerdings nicht durch gezielte Vernichtung, sondern an Hunger“ – die Zeitung ist inzwischen selbst Geschichte. Solche Verharmlosung des gezielten stalinistischen Terrors ist noch weit verbreitet. Überbelegung, Hunger, Seuchen, Schikanen und Gewalt gegen die Insassen prägten die Überlebenden. Im ersten Lager dieser Art, dem sowjetischen „Speziallager 1“ in Mühlberg, inhaftierten die Sowjets von Sommer 1945 bis Ende 1948 rund 21800 Menschen. Mindestens 6700 starben hier wegen schlechter hygienischer Bedingungen, Mangelernährung und schlechter medizinischer Versorgung.

Obwohl die Entnazifizierung formal zur Rechtfertigung diente, wurden tatsächlich kaum die von sow-jetischen Tribunalen wegen tatsächlicher oder vermeintlicher Kriegsverbrechen Verurteilten eingeliefert. Das Gros der Verhaftungen erfolgte willkürlich. Betroffen waren auch Sozialdemokraten wie einstige Soldaten, Jugendliche oder Menschen, denen das stalinistische Regime oppositionelle Einstellungen unterstellte. Vor allem ab dem Sommer 1945 und damit Monate nach Kriegsende setzte die große Verhaftungswelle ein, begleitet von Verhören. Gefangene wurden gefoltert, erpresste Geständnisse mussten in russischer Sprache unterschrieben werden. Dabei reichte eine Denunziation und somit die bloße Beschuldigung als Beweis. In vielen solcher Fälle bedurfte es daher nicht einmal eines Urteils. Auch NS-Widerstandskämpfer kamen in den Lagern ums Leben, so Horst Karl von Einsiedel, der als „amerikanischer Spion“ verurteilt unter ungeklärten Umständen 1947 in Sachsenhausen starb. Sverre Gutschmidt


Artikel per E-Mail versenden
  Artikel ausdrucken Probeabobestellen Registrieren