28.03.2024

Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung

Suchen und finden
19.01.13 / Ohne Tabus und Hysterie / Namhafte Historiker traten bei der Jahrestagung der Stiftung Deutsche Kultur im östlichen Europa (OKR) auf

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 03-13 vom 19. Januar 2013

Ohne Tabus und Hysterie
Namhafte Historiker traten bei der Jahrestagung der Stiftung Deutsche Kultur im östlichen Europa (OKR) auf

Die politische Gestaltung der Zukunft hängt ebenso wie die kollektive Identität von Völkern wesentlich von der Sicht auf die Vergangenheit ab. Das wird am Beispiel Deutschlands überdeutlich, lässt sich aber auch in Ungarn eindrucksvoll studieren.

Dr. Gabór Tallai veranschaulichte in seinem Vortrag bei der jüngsten Jahrestagung der Stiftung Deutsche Kultur im östlichen Europa – OKR (Ostdeutscher Kulturrat) die Auseinandersetzungen über die ungarische Geschichtspolitik, indem er die Arbeit des „Terror-Hauses“ (Terror Háza) in Budapest vorstellte. Tallai, Programmdirektor und Stellvertreter der Gedenkstättenleiterin Dr. Mária Schmidt, hob hervor, dass das in der Prachtstraße Andrassy ut. im Gebäude eines einstigen Foltergefängnisses untergebrachte Museum von Anfang an höchst umstritten gewesen sei. Ende der neunziger Jahre hatte die seinerzeitige nationalliberale Fidesz-Regierung nicht nur Gedenktage sowohl für die kommunistischen Opfer als auch für die des faschistischen Pfeilkreuzlerregimes eingeführt, sondern wenig später auch Erinnerungshäuser für beide Leidensgruppen initiiert.

Dennoch wurde die politische Linke des Landes nicht müde, das im Februar 2002 eröffnete Haus des Terrors wegen einer angeblich unzureichenden Berücksichtigung der Pfeilkreuzler-Untaten zu kritisieren. Derartige Bewertungen ließen sich bis heute beobachten, beklagte Tallai, zumal die politische Polarisierung in seinem Land anhalte und obwohl „Leiden letzten Endes unvergleichbar“ seien.

Die Keller des Terror-Hauses, in denen zuerst faschistische Schergen folterten und dann – fast übergangslos – kommunistische, wurden rekonstruiert und wie das ganze Museum mit Filmen und Musik bewusst emotional ausgestaltet: Die Deportationen von über 700000 ungarischen Staatsbürgern in sowjetische Arbeitslager nach 1945 (rund 300000 starben) sind zum Beispiel durch einen Eisenbahnwaggon versinnbildlicht, in dessen Fenstern Besucher verschiedenste Filmsequenzen zu kommunistischen Massenverbrechen anschauen können.

Hinsichtlich der donauschwäbischen Leidens- und Vertreibungsgeschichte wurde 2006 ein Schwerpunktjahr veranstaltet: Bis heute gibt es nach Angaben des Referenten regelmäßige Informationsrundgänge für Schulklassen, in denen auch das Unrecht an den Ungarndeutschen zur Sprache kommt. Der 1970 geborene Sohn eines Deutschen und einer Ungarin mahnte eine enttabuisierte Geschichtssicht an, die auch deutsche Opfer nicht ausklammere.

Die mit einer Reihe ausgezeichneter Vorträge gespickte OKR-Tagung im Schloss Eichholz in Wesseling bei Bonn lief unter dem Titel „Wege in die Zukunft. Zusammenarbeit mit den östlichen Nachbarländern“. Stiftungspräsident Klaus Weigelt zitierte in seiner Begrüßung den aus dem hinterpommerschen Stolp stammenden Philosophen Odo Marquard mit der Erkenntnis „Keine Zukunft ohne Herkunft“ sowie den an der Universität „Viadrina“ in Frankfurt/Oder lehrenden Historiker Prof. Karl Schlögel mit Worten, die dieser im Oktober im Berliner Reichstag vor der Gruppe der Vertriebenen, Aussiedler und deutschen Minderheiten der CDU-/CSU-Bundestagsfraktion äußerte: „Die europäische Geschichtslandschaft ist ein vermintes Gelände. (...) Deshalb geht es um Enthysterisierung.“

Einem anderen Kerngedanken Schlögels folgend, der in seinem 2002 erschienenen Band „Die Mitte liegt ostwärts. Europa im Übergang“ die Bedeutung des deutschen Kulturerbes im Osten für ganz Europa herausstellte, sieht Weigelt den besonderen Ansatz seiner Stiftung in der Frage nach dem Platz dieser Spuren für das grenzübergreifende Geschichtsbewusstsein des Kontinents.

Der begeisternde Vortrag Elisabeth von Küsters über ihre Arbeit am und im schlesischen Schloss Lomnitz [Lomnica], die Ausführungen Lisaweta von Zitzewitz‘ über die Buchreihen „Külzer Hefte“ und „Schlösser und Gärten in Pommern“, von Dr. Jörg B. Bilke über „Die Stasi und die Vertriebenen“ sowie von Dr. Stefan Cosoroaba aus Hermannstadt über die deutsche evangelische Kirche Rumäniens spiegelten verschiedenste Aspekte dieser Aufgabenstellung.

Einblicke in die Vorstellungswelt der Verantwortungsträger in Brüssel und Straßburg eröffneten das Referat von Prof. Dr. Hans-Gert Pöttering, Vorsitzender der Adenauer-Stiftung und zwischen 2007 und 2010 Präsident des Europäischen Parlaments, über „Die europäische Perspektive – Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft“ sowie der Vortrag von Prof. Dr. Hans Walter Hütter zum Thema „Europa erzählen. Überlegungen zum Haus der Europäischen Geschichte“. Dieses soll in Brüssel entstehen und bereits im Sommer oder Herbst 2015 seine Pforten öffnen.

Als Direktor des Hauses der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland in Bonn und gemeinsam mit dem polnischen Historiker Prof. Wlodzimierz Borodziej Leiter der Konzeptionsgruppe des künftigen Geschichtsmuseums in der EU-Hauptstadt sprach mit Hütter ein mit der Thematik eng vertrauter Wissenschaftler. Zweifel aus dem Publikum, ob das in der Öffentlichkeit und selbst unter führenden Politikern weitgehend unbekannte Vorhaben nicht an den sehr unterschiedlichen Vorstellungen der Nationalstaaten scheitern werde, begegnete der Bonner Historiker mit der Ankündigung, es mit seinem stark forcierten Planungsstand „unumkehrbar“ machen zu wollen.

Überdies sei das Vorhaben mit seinen konzipierten 4500 Quadratmeter Dauerausstellungsfläche in der gegenwärtigen Phase „vielleicht besonders wichtig“, da sich trotz der „nach wie vor unterschiedlichen nationalen Erinnerungskulturen in Europa (...) das Gemeinsame herausstellt“. Hierbei gelte es, so der Museumsfachmann, bekannte Fakten in einen neuartigen Nationen übergreifend Raumbezug einzufügen. Das Massenphänomen von Flucht und Vertreibung im 20. Jahrhundert sei in diesem Zusammenhang ebenso als „konstitutives Element“ zu werten wie der Gedanke nationaler Selbstbestimmung ab dem Ende des 19. Jahrhunderts oder die Idee europäischer Integration nach dem Zweiten Weltkrieg.

Auf seiner Suche nach Neuland in der Geschichtsschreibung wandte sich Hütter zwar zu Recht gegen „gewisse Kreise, für die Identitätsbildung etwas Böses“ sei, und wissenschaftliche Zirkel, in denen Protagonisten wie Aleida Assmann oder Claus Leggewie Debatten über „Identitätskonstruktionen“ führten. Und doch begab er sich bei der Skizzierung des Raumstrukturplanes des Brüsseler Hauses selbst auf hochideologisches Terrain, als klar wurde, wie sehr die Zeitgeschichte – allen voran die zwei Weltkriege, die beiden berüchtigtsten Totalitarismen des 20. Jahrhunderts und der Holocaust – das Museum zu dominieren drohen. Für die älteren und zugleich tieferen Identitätsbausteine Europas wie die griechische und römische Antike, das Christentum oder die frühe Neuzeit bleibt, daran ließ Hütter wenig Zweifel, lediglich die Funktion von Vorlagen für mehr oder weniger detaillierte Rückbezüge. Martin Schmidt

Kontakt: Stiftung Deutsche Kultur im östlichen Europa – OKR, Cäsariusstraße 91, 53639 Königswinter, Telefon (02223) 9066011-2, www.kulturportal-west-ost.eu

Haus des Terrors/TerrorHáza, 1062 Budapest, Andrássy út 60, www.terrorhaza.hu


Artikel per E-Mail versenden
  Artikel ausdrucken Probeabobestellen Registrieren