20.04.2024

Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung

Suchen und finden
19.01.13 / Doch nicht alles Unmenschen? / Heeresrichter behauptet, dass humane Urteile bedingt möglich waren

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 03-13 vom 19. Januar 2013

Doch nicht alles Unmenschen?
Heeresrichter behauptet, dass humane Urteile bedingt möglich waren

Das Tagebuch „,Man hat es kommen sehen und ist doch erschüttert‘. Das Kriegstagebuch eines deutschen Heeresrichters 1944/1945“ bietet nichts sensationell Neues, und doch ist die Lektüre sehr aufschlussreich. Im Verlaufe von Jahrzehnten hat der Verfasser dieser Zeilen hunderte Rezensionen verfasst, ohne je auf einen so krassen Widerspruch zwischen Vorwort und authentischem Text zu stoßen.

Das Tagebuch beginnt mit dem 28. März 1944 und endet mit dem 7. Juni des folgenden Jahres, also kurz nach Kriegsende. Im Mittelpunkt steht nicht der private oder dienstliche Alltag des Autors Werner Otto Müller-Hill, auch nicht dessen Familie. Von all dem erfährt der Leser wenig. Im Ersten Weltkrieg diente Müller-Hill als Kriegsrichter, in der Weimarer Republik arbeitete er als Anwalt. Den Nationalsozialisten stand er distanziert gegenüber und trat nicht in die NSDAP ein, meldete sich aber bei Kriegsbeginn 1939 bei der Wehrmacht als Heeresrichter, nach 1945 war er als Staatsanwalt tätig. Typisch sind Betrachtungen des Tagebuchschreibers wie: „Konnte eine denkende Führung überhaupt einen Krieg wünschen, nachdem der größte Teil ihres Programms in außenpolitischer Hinsicht … erreicht war?“ „Und das Volk? Es tut still seine Pflicht, ob Arbeiter oder Soldat. Und wer muckst, verliert den Kopf.“

Doch dazwischen stehen jene Passagen, die aufhorchen lassen: „Ich bin glücklich, dass bei unserem kriegsgerichtlichen Betrieb noch Recht gewährt werden kann. Bei schwersten Fällen von Fahnenflucht mit verbrecherischer Betätigung sind schwere Strafen nicht zu vermeiden, aber folgender Fall beweist, dass die normalen Kriegsgerichte ihre Unabhängigkeit doch mit Entschiedenheit bewahren.“ Dann schildert er einen Fall, wo der Täter zu 15 Jahren Zuchthaus wegen Fahnenflucht und Beihilfe zur Fahnenflucht in mehreren Fällen verurteilt worden ist. Zweimal wurde das Urteil als zu milde angefochten. Und zweimal wurde es bestätigt – von insgesamt drei verschiedenen Spruchkörpern!

„Über die Heeresrichter könnte man wohl Essays schreiben. Es gibt darunter ausgesprochenen Blutrichter … Diese Herren sind eine absolute Plage … Es gibt noch viele anständige Menschen, besonders in der Armee.“ „Auch im Strafmaß bremste ich so gut dies ging und hatte – zu Ehren der vielen Generäle, denen ich vorzutragen hatte, sei es gesagt – im allgemeinen immer Erfolg.“

Dem entgegen heißt es im Vorwort von Wolfram Wette: „Das Bundessozialgericht sprach 1991 der NS-Militärjustiz die rechtstaatliche Qualität ab und bezeichnete diese Institution des Dritten Reiches als ‚terroristisch und ‚verbrecherisch‘.“

Welches Urteil ist richtig? Müller-Hill spricht aus eigener Erfahrung. Seine kritische Distanz den Mächtigen gegenüber machen jede Schönfärberei unwahrscheinlich. Die Richter des Bundessozialgerichts hingegen folgen einem Trend, der dazu neigt, das Bild der Deutschen, die unter Hitler lebten, zu verfinstern, und zwar ohne Rücksicht auf die Zeitzeugen, auch wenn sie, wie die betroffenen Juden, über jeden Zweifel erhaben sind. Und so betrachtet sind Müller-Hills Aufzeichnungen von zeitlosem Wert, geeignet, die Judikatur des obersten Gerichts in sozialen Fragen zu revidieren. Konrad Löw

Werner Otto Müller-Hill: „,Man hat es kommen sehen und ist doch erschüttert‘. Das Kriegstagebuch eines deutschen Heeresrichters 1944/1945“, Siedler Verlag, München 2012, 176 Seiten, 19,99 Euro


Artikel per E-Mail versenden
  Artikel ausdrucken Probeabobestellen Registrieren