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26.01.13 / Die sicherheitspolitische Dimension der Euro-Krise

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 04-13 vom 26. Januar 2013

Gastbeitrag
Die sicherheitspolitische Dimension der Euro-Krise
von Dieter Farwick

In Deutschland beherrscht ein Thema die öffentliche Diskussion: die sogenannte Euro-Krise. De facto ist es eine Krise der Banken, die sich mit den von den Nehmerländern gezahlten hohen Schuldzinsen zunächst eine „goldene Nase“ verdient haben, plötzlich jedoch auf „faulen“ Krediten saßen. Die verschuldeten Staaten konnten auf dem Finanzmarkt keine neuen Kredite zu tragbaren Schuldzinsen mehr aufnehmen. Fast ein Drittel der 17 Euro-Staaten musste unter den EU-Rettungsschirm flüchten. Mit dieser Krise geht einher eine gigantische Staatsverschuldung, eine hohe Arbeitslosigkeit von über 20 Prozent in einigen südeuropäischen Ländern, der Verlust der Wettbewerbsfähigkeit dieser Länder auf den europäischen und globalen Märkten durch zu hohe Produktionskosten. Die permanenten Diskussionen drehen sich um die Zukunft der „Eurozone“ und damit auch der EU – sowie Gesamteuropas. Dabei geht es im Wesentlichen um die Frage „Ende mit Schrecken oder Schrecken ohne Ende?“ Die Mehrheit der Deutschen plädiert für ein „Ende mit Schrecken“, obwohl die Kosten immens wären. Die sind jedoch auch hoch, wenn die bisherigen finanziellen Hilfsmaßnahmen über Jahre und Jahrzehnte fortgesetzt werden müssten – bis die jetzt noch zahlungsfähigen und zahlungswilligen Länder selbst in existentielle Schwierigkeiten geraten. Wer rettet diese Länder? China?

Ein Thema spielt in der Diskussion nur eine Nebenrolle: die Sicherheitspolitik der EU-Staaten und damit auch der Nato. Weder die politisch Verantwortlichen noch die Öffentlichkeit zeigen großes Interesse da-ran. Das frühere „freundliche Desinteresse“ (Zitat des früheren Bundespräsidenten Horst Köhler) der deutschen Öffentlichkeit an Fragen der Sicherheitspolitik und der deutschen Streitkräfte ist einer „gleichgültigen Nichtbeachtung“ gewichen – besonders verstärkt durch die Abschaffung der Wehrpflicht, mit der der damalige Bundesverteidigungsminister Karl Theodor zu Guttenberg die politisch Verantwortlichen und die deutsche Öffentlichkeit überraschte und überrollte. Dieser Entscheidung ging keine tiefschürfende Untersuchung voraus. Sein zweiter Coup folgte auf dem Fuße – die Reduzierung der deutschen Streitkräfte auf eine Stärke von „bis zu 185000 Soldaten“. Auch dieser Entscheidung ging keine tiefergehende Studie voraus. Das Urteil des Generalinspekteurs, mit den eingeplanten Finanzen lediglich eine Stärke von rund 163000 angemessen bezahlen, ausbilden und ausstatten zu können, wurde ohne weitere Diskussion beiseite gewischt.

Am Anfang war das Wort des Finanzministers Wolfgang Schäuble. Er verlangte Anfang 2010 von Guttenberg eine Einsparung von rund acht Milliarden Euro in den nächsten vier Jahren – unter anderem konkret den Abbau von jeweils 20000 Berufs- und Zeitsoldaten. Bereits nach zwei Jahren fühlen sich die Skeptiker in der Annahme bestätigt, dass diese Reform ein Rohrkrepierer ist. In einer im Oktober 2012 veröffentlichten Studie des Bundeswehrverbandes wird das Ausmaß der persönlichen Planungsunsicherheit und der Frustration der Betroffenen deutlich. Die „Jahrhundertreform der Bundeswehr“ kann die nächsten drei Jahre nicht überleben, wenn ihr nicht mehr Geld zur Verfügung gestellt wird, zumal die Kosten für das Personal, das zu einem freiwilligen vorzeitigen Ausscheiden aus der Bundeswehr bewegt werden soll, sowie die Kosten für die Infrastrukturmaßnahmen in den durch die Reduzierung aufzugebenden und den aufnehmenden Standorten deutlich höher sind als naiv-optimistisch angenommen worden war. Ein Verteidigungshaushalt von knapp über 31 Milliarden Euro mit einem Investitionsanteil von knapp 23 Prozent – bei einem Daumenwert von 30 Prozent – ist unausgewogen und unterfinanziert. Die deutschen Streitkräfte schieben eine Welle aufgeschobener Rüstungsprojekte vor sich her. Selbst die Soldaten im Kriegseinsatz in Afghanistan verfügen nicht über ausreichende, gut gepanzerte Fahrzeuge, Aufklärungs- und Kommunikationsmittel sowie eine angemessene Bewaffnung – zu der auch sogenannte Kampfdrohnen gehören. Das größte Defizit sind in dem Terrain Afghanistans fehlende Kampf- und Transporthubschrauber.

Hier kommt die sogenannte Euro-Krise ins Spiel. Sie wird auf Jahre eine Erhöhung des deutschen Verteidigungshaushaltes von derzeit 1,3 auf moderate zwei Prozent des Bruttosozialproduktes – eine Zielgröße der Nato – verhindern. Die noch stark sprudelnden Steuereinnahmen würden diese Steigerung ermöglichen, aber es fehlt der öffentliche und politische Druck. Trotz der höheren Steuereinnahmen steigen die Staatsausgaben – in erster Linie für den Ausbau des Wohlfahrtstaates. Darüber hinaus muss Deutschland vom Gesamthaushalt von rund 300 Milliarden Euro bereits 40 Milliarden an Schuldzinsen bezahlen, ohne dass die Gesamtschulden und Verbindlichkeiten von über sechs Billionen Euro reduziert werden.

Staatsbürger, die für die Einsatzfähigkeit deutscher Streitkräfte im Rahmen der kollektiven Bündnis- und Landesverteidigung sowie der Auslandseinsätze der Bundeswehr in UN-mandatierten und von der Nato geführten politisch-militärischen Operationen eintreten, sehen keine reelle Chance für die notwendige Verbesserung. Es wird an der „Drehschraube Finanzen“ gedreht – in Verbindung mit einer weiteren Reduzierung der Bundeswehr auf maximal 150000 Soldaten. Dies wird unabhängig von der Farbenkombination der zukünftigen Regierung nach den Bundestagswahlen im September 2013 geschehen. Es ist kein Trost, dass nahezu alle Nato-Mitgliedsstaaten denselben Weg der Reduzierung der Verteidigungshaushalte und der Truppenstärken einschlagen.

Bei der politisch-militärischen Operation „Unified Protector“ zur Unterstützung der libyschen Bevölkerung haben 18 von den 28 Nato-Mitgliedsstaaten die militärische Teilnahme verweigert – aus politischen Gründen und wegen unzureichender militärischer Fähigkeiten. Selbst die militärisch noch starken europäischen Staaten Großbritannien und Frankreich mussten nach Tagen zugeben, dass ihre Vorräte an Präzisionswaffen erschöpft waren. Sie mussten den „Großen Bruder USA“ um Nachschub bitten. Dabei ist aus militärischer Sicht nüchtern zu analysieren, dass es sich bei „United Protector“ um eine geografisch überschaubare, zeitlich begrenzte Operation gehandelt hat – gegen einen schwachen Gegner. Der Generalsekretär der Nato, der Däne Anders Fogh Rasmussen, thematisiert die negative Entwicklung innerhalb der Nato. Er fordert eine stärkere Arbeitsteilung und Rollenspezialisierung. Bisher sind seine Forderungen nach „smart defense“ oder „pooling and sharing“ jedoch Schlagwörter ohne Substanz geblieben. Um Kosten zu sparen, muss man in der Regel zunächst investieren. Dafür fehlen die Bereitschaft und die Ressourcen.

Was kann die Nato noch leisten, wenn die derzeitig eingeleiteten Reduzierungen – besonders die europäischen – vorläufig abgeschlossen sind? Man kann nur hoffen und beten, dass die Schwäche nicht von anderen Staaten oder anderen Gewaltakteuren dieser Welt ausgenutzt wird. Angesichts der aktuellen und zukünftigen Risiken – wie beispielsweise Migration, internationaler Terrorismus und globale Energiesicherheit – ist dies nur ein frommer Wunsch. Es bleiben nur begrenzte Fähigkeiten für geographisch, militärisch und zeitlich überschaubare Einsätze wie Evakuierungen nach Naturkatastrophen oder im Umfang und der Zeitdauer begrenzte Stabilisierungsmaßnamen. Die Nato ist zu einer Allianz der Fähigen und Willigen degeneriert, deren Fähigkeiten zur Landes-/Bündnisverteidigung weiter sinken werden.

 

Der Autor ist Verfasser des Buches „Wege ins Abseits. Wie Deutschland seine Zukunft verspielt“. Der Beitrag erschien in der „Allgemeinen Schweizerischen Militärzeitschrift“ 12/2012.


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