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26.01.13 / Was nun, Seume? / Vor 250 Jahren wurde der Reiseliterat geboren

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 04-13 vom 26. Januar 2013

Was nun, Seume?
Vor 250 Jahren wurde der Reiseliterat geboren

Am 19. Juli 1781 fand sich in der „Leipziger Zeitung“ eine Vermisstenanzeige: „Es ist am 28sten oder 30. Juni des Jahres ein Student aus Leipzig unter dem Vorgeben, seine Anverwandten zu besuchen, verreist, und zur Zeit weder zu seinen Verwandten, noch nach Leipzig zurückgekommen.“ Laut Anzeige war der Vermisste 18 bis 19 Jahre alt, trug sein schwarzbraunes Haar, welches ein wenig tief in die Stirn gewachsen war, in einem steifen Zopf und hatte starke schwarze Augenbrauen. „Es wird befürchtet“, heißt es ferner, „dass diesem jungen Menschen ein Unglück begegnet sein möchte.“

Tatsächlich fiel der junge Mann namens Johann Gottfried Seume Soldatenwerbern in die Hände. Der Landgraf von Hessen-Kassel verkaufte Soldaten an die Engländer, die frische Truppen für den Kampf gegen die Unabhängigkeit der aufständischen amerikanischen Kolonisten brauchten. Seume wurde in Halifax/Kanada stationiert, kam aber wegen des Friedensschlusses von 1783 nicht zum Einsatz und reiste zurück nach Bremen.

Diese halbe Weltreise sollte sein ganzes späteres Leben prägen. Denn Seume wurde so etwas wie ein früher Weltenbummler, der es nie lange in der Heimat aushielt und der schließlich die Gattung der Reiseliteratur um ein wichtiges Werk bereicherte. Bis heute ist Seume, der am 29. Januar vor 250 Jahren in Poserna (heute Sachsen-Anhalt) geboren wurde, in der deutschen Literatur durch seinen „Spaziergang nach Syrakus“ in Erinnerung geblieben.

Am 9. Dezember 1801 ließ er alles stehen und liegen und machte sich auf die Wanderschaft. „Ich schnallte in Grimme meinen Tornister, und wir gingen“, schreibt er zu Beginn der Tour, als er noch von Freunden begleitet wurde. Italien war spätestens seit Goethe das klassische Bildungsreiseziel. Das Land, in dem die Zitronen blühen, hat Kunst­historiker wie Johann Joachim Win­­ckelmann, Romanautoren wie den „Anton Reiser“-Schöpfer Karl Philipp Moritz oder Künstler wie Tischbein entscheidend geprägt.

Mit Ende dreißig suchte Seume, der zuvor als preußischer und als russischer Soldat, als Autor zeitgeschichtlicher Studien und als Lektor von Klopstock und Wieland sein Geld verdient hatte, eine neue dichterische Berufung. Italien sollte die Initialzündung sein. Doch anders als etwa Goethes „Italienische Reise“ ging es ihm nicht darum, Bildungsstätten abzufeiern. Er machte einen Bogen um die Venezianischen Barock-Kirchen oder den Petersdom und das Kolosseum in Rom. Seume war eher ein politischer Beobachter, der in seinen Reisebriefen – Adressat ist der Leser – mit kritischem Auge das rück­ständige Feudalsystem kritisiert. „Wer geht, sieht im Durschnitt anthropologisch und kosmisch mehr, als wer fährt“, schreibt er.

In Sizilien war er vom sozialen Elend erschüttert und von den Bettlern, die ihm die Hand küssten, wenn er ihnen ein Stück Brot gab: „Ich blickte fluchend rund um mich her über den reichen Boden, und hätte in diesem Augenblick alle sizilische Barone und Äbte mit den Ministern an ihrer Spitze ohne Barmherzigkeit vor die Kartätsche stellen können. Es ist heillos.“

In nur neun Monaten absolvierte er einen Gewaltmarsch von Grimma über Wien, Venedig, Rom, Neapel, Sizilien und zurück über Mailand, die Schweiz, Paris, Frankfurt nach Leipzig. Und er bleibt rastlos, macht in den kommenden Jahren weitere Reisen durch Polen, Russland und die skandinavischen Länder. Diese Erlebnisse zeichnete er in dem Reisebericht „Mein Sommer 1805“ auf. Weil er darin hinsichtlich der politischen Zustände kein Blatt vor dem Mund nahm, kam Seume ins Visier der Zensur. Das Buch wurde in Süddeutschland und Russland verboten. Dabei war Seume ein unabhängiger kritischer Geist, der trotz der Feudalkritik kein Adelsgegner war. Zeitlebens war er einem adeligen Gönner dankbar, der ihm, dem Sohn eines verarmten Bauern, ein Studium ermöglicht hatte. Andererseits ließ er sich auch nicht von der Napoleon-Begeisterung entflammen, die kurz nach 1800 in Deutschland aufkam. „Bonaparte konnte ein Fixstern werden und ist eine Sternschnuppe geworden“, schrieb er.

Wie ein Meteorit verglühte auch Seume. Am 13. Juni 1810 starb er während eines Kuraufenthaltes im böhmischen Teplitz an einer Nierenerkrankung. Dabei saß er gerade an seiner Autobiografie „Mein Leben“, bei der er nur seine ersten 20 Jahre schildern konnte, um dann mitten im Satz abzubrechen: „Und nun –“. Harald Tews


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