19.04.2024

Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung

Suchen und finden
26.01.13 / Im Bauch der Weißen Spinne / Ganz hoch hinaus: Eine winterliche Zugfahrt zu Europas höchster Bahnstation am Schweizer Junfraujoch

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 04-13 vom 26. Januar 2013

Im Bauch der Weißen Spinne
Ganz hoch hinaus: Eine winterliche Zugfahrt zu Europas höchster Bahnstation am Schweizer Junfraujoch

So stellt man sich den Himalaya vor. Ringsherum nichts als schneeweiße Berge, dünne Luft in 3000 Metern Höhe und die Bahn voller Asiaten. Doch wir befinden uns mitten in der Schweiz, genauer gesagt im Berner Oberland. Von Grindelwald aus wollen wir eine winterliche Zugfahrt zu Europas höchst gelegener Bahnstation machen. Das Ziel ist das Jungfraujoch in über 3500 Metern Höhe. Mindestens 300 Japaner und Chinesen haben das gleiche Ziel. In ihrer Heimat wird diese Tour als Touristenattraktion gepriesen ähnlich wie der Besuch von Neuschwanstein.

Die wenigen Deutschen im Zug sind eher an der Eiger-Nordwand interessiert, an der sich schon viele Bergsteigerdramen abgespielt haben. Die Zahnradbahn windet sich direkt unterhalb der imposanten Steilwand zur kleinen Scheidegg hinauf. Von dieser Mittelstation aus mit ihrem Almhotel starten die Eiger-Touren. Geradeaus geht es über den Bergrücken hinab zur autofreien Stadt Wengen, wo erst Mitte Januar das berühmte Lauberhornrennen der Ski-Elite stattgefunden hat.

Wir aber biegen links ab direkt auf den Eiger zu, wo die Bahn nach kurzer Fahrt aufwärts im Berg verschwindet.

Vor rund 120 Jahren hatten die Schweizer die fixe Idee, eine Seilbahn zu dem 4150 Meter hohen Jungfraugipfel zu bauen. Dann entschloss man sich doch lieber zu einer günstigeren Zahnradbahn, die mitten durch den Eiger führt und auf dem Berggrat zwischen Mönch und Jungfrau endet. 1896 begann man mit dem Unternehmen und tat das, wofür die Schweizer nicht nur für ihren löchrigen Käse bekannt sind: Man durchbohrte die Berge. Mit Unmengen an Dynamit sprengte man sich sieben Kilometer weit durch den Eiger. Katastrophen blieben dabei nicht aus. Bei einer Explosion verloren sechs italienische Arbeiter ihr Leben. Trotzdem kam das Projekt rasch voran, und am 1. August vor 100 Jahren wurde der Betrieb aufgenommen.

Auf 2860 Metern Höhe macht der Zug mitten im Eiger-Tunnel halt. Denn hier hat man dicht an der Nordwand gesprengt und mitten an der Steilwand Panoramafenster angebracht. Nur wer schwindelfrei ist, traut sich den Blick in den klaffenden Abgrund Richtung Grindelwald. In der Nähe befindet sich ein Stollenausgang zur Wand. Von hier aus sind schon viele Rettungsaktionen zu Bergsteigern angelaufen, die an der „Mordwand“ in Not waren. In Erinnerung bleiben die 30er Jahre, als es einen Wettlauf um die Erstbesteigung des Eigers von der Nordwand aus gab. Von der Westflanke her ist der Eiger schon 1858 bestiegen worden. Ein Spaziergang im Vergleich zu der 1650 Meter senkrecht he­rab­fallenden Nordwand, deren bergsteigerische Herausforderung bislang über 50 Menschen das Leben gekostet hat. Das größte Drama fand 1936 statt, als vier Bergsteiger nach einem Wettersturz an der Wand erfroren waren. Die vom Stollengang herbeigeeilten Retter sahen nur zwei Meter über sich den jungen Toni Kurz noch lebend am Seil baumeln. Sie konnten ihn nicht erreichen. „Ich kann nicht mehr“, waren seine letzten Worte. Zwei Jahre später gelang einer Seilschaft mit Heinrich Harrer die Erstbesteigung über die legendäre Route entlang des „Bügeleisens“, des „Todesbiwaks“, des „Götterquergangs“ und des Schneefelds „Weiße Spinne“ in drei Tagen. 2008 schaffte der Schweizer Ueli Steck das Kunststück in knapp drei Stunden ­– solo und ohne Seilsicherung.

Wir fahren weiter durch den Tunnel, und nach einem Zwischenstopp an der Station Eismeer, wo man zwischen Eiger und Mönch einen umwerfenden Blick auf die Gletscherwelt hat, geht es weiter zum Jungfraujoch. Hier in 3500 Metern Höhe ist Endstation von Europas höchster Bahnlinie. Per Lift geht es noch ein paar Meter höher zu den Souvenirshops und Fast-Food-Ständen, die sofort von den Asiaten bevölkert werden. Wir aber gehen weiter zur Aussichtsplattform, von der man nach Norden hin einen tollen Blick auf den Thuner- und den Brienzer See hat und nach Süden auf Europas größten Gletscher, den Großen Aletsch. Eiger und Mönch auf der einen und Jungfrau auf der anderen liegen zum Greifen nah.

Minus 17 Grad zeigt das Thermometer, Zeit, sich drinnen aufzuwärmen. Schilder ermahnen, langsam zu gehen. Offenbar gibt es Übermütige, die in der dünnen Luft ihren Kreislauf überschätzen und dann kollabieren. Die Japaner tun das Richtige. Wie auf Kommando halten sie ein kollektives Nickerchen, um nach einer Viertelstunde wieder mit der Jungfraubahn zurückzufahren. Für sie war es ein touristisches Pflicht­programm, für uns ein unvergessliches Erlebnis. Harald Tews


Artikel per E-Mail versenden
  Artikel ausdrucken Probeabobestellen Registrieren