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09.02.13 / Wackeliger Herrscherstuhl / Seismosgraph unter dem Thron Karls des Großes erregt die Gemüter in Aachen

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 06-13 vom 09. Februar 2013

Wackeliger Herrscherstuhl
Seismosgraph unter dem Thron Karls des Großes erregt die Gemüter in Aachen

Seit Mitte November letzten Jahres ist die alte Kaiserstadt Aachen um eine Attraktion reicher: Im Oktogon, dem ältesten Teil des Doms, wurde tief unter dem Marmorthron Karls des Großen ein Seismograph installiert. Zwar ist die Niederrheinische Bucht eine bekannt „wacklige“ Region – seit 1980 gab es rund 1600 Erdbeben, fast alle aber unterhalb menschlicher Wahrnehmung –, aber die neue Warnanlage hätte man auch anderswo postieren können, meinen viele Aachener Bürger.

Dem widersprachen die zuständigen Experten, Klaus Reichert von der TH Aachen und Klaus Lehmann vom Geologischen Dienst Nordrhein-Westfalens. Der Dom wurde 1978 als erstes deutsches Bauwerk ins Unesco-Weltkulturerbe aufgenommen, und was immer Bezug zum Dom hat, kann allgemeiner Aufmerksamkeit sicher sein, wie zum Beispiel der kleine Bebenwarner, dessen Wert die Flughäfen Düsseldorf und Köln und zahlreiche weitere Betriebe sehr zu schätzen wissen.

Fragt man die Aachener, dann empfinden sie das als verdienten Tribut für ihre lokale, nationale und europäische Führungsrolle. Um 793 ließ Karl, der im Jahr 800 zum Römischen Kaiser gekrönt wurde, seine Pfalzkapelle bauen, deren achteckiger Grundriss später Vorbild für zahlreiche weitere Kirchen wurde. Im mittleren Arkadenumgang des Oktogons ist Karls schlichter „Kaiserstuhl“ zu sehen, der aus Platten der Jerusalemer Grabkirche Christi gefügt ist. Karl selber wurde auf ihm nicht gekrönt, wohl aber 31 deutsche Herrscher, die bis 1531 hier inthronisiert wurden. 814 starb der Kaiser und fand seine letzte Ruhestätte im Dom, wo seine Gebeine seitdem im „Karlsschrein“ liegen.

Seine „Königliche Kirche der heiligen Maria zu Aachen“, die erst seit 1930 offiziell „Dom“ ist, baute man später prachtvoll aus. Besonders beeindruckend ist die spätgotische Chorhalle („Glashaus von Aachen“) aus dem 13. und 14. Jahrhundert. Die ganze Anlage war ab 1349 mit der erstmaligen „Heiligtumsfahrt“, die alle sieben Jahre stattfindet (demnächst wieder 2014), neben Jerusalem, Rom und Santiago der bedeutendste Wallfahrtsort der Christenheit. Hauptanziehungspunkt war stets die „Aachener Domschatzkammer“, von der Albrecht Dürer sachkundig rühmte, dass „keiner köstlicher Ding gesehen hat“. Die Aachener Reliquien, unter ihnen eine „Windel Jesu“, hat er nicht erwähnt.

Am Aachener Markt, Ecke Pontstraße, verkündet eine Bronzetafel, dass Karl der Große Analphabet war, der seine Akten mit einem Goldstab signierte. In München behauptete der Privatgelehrte Heribert Illig in einem Buch, dass es Karl, die Karolinger, den Aachener Dom, ja das ganze Mit­telalter nie gegeben hätten, das al­les seien Lügen oder Fehl­datie­rungen. Und ähnliche Be­haup­tungen mehr: Der Bildungsreformer und Begründer der „karolingischen Minuskel“, der einheitlichen Buch- und Verwaltungsschrift im gesamten Frankenreich, soll ein Analphabet gewesen sein? Das können doch nur seine Feinde in Umlauf gesetzt haben, allen voran Araber, Awaren, Sachsen und Bayern, deren feigen Herzog Tassilo er 788 wegen „hariisliz“ („Heerverlassen“, das heißt „Fahnenflucht“) zum Tode verurteilen ließ, womit die „lingua theodisca“ (deutsche Sprache) erstmals aktenkundig wurde.

Viele Fragen sind indes noch offen. Wie sah Karl überhaupt aus? War er groß, wie von Einhard in seiner „Vita Karoli Magni“ beschrieben? Majestätisch wie in der „Karlsbüste“ im Aachener Domschatz oder dicklich-tumb, wie in dem (mehrfach veränderten) Reiterstandbild aus dem 9. Jahrhundert? Wird Rom seine Heiligsprechung durch Friedrich Barbarossa im späten 12. Jahrhundert doch noch anerkennen? War Karls Oktogon immer ein Sakralbau, oder plante er es anfänglich als Observatorium, durch dessen Fenster er den Lauf von Sonne und Gestirnen verfolgen konnte? Von seinem Thron aus blickte der Kaiser jedenfalls genau nach Osten, von wo er den Jüngsten Tag und das Ende aller weltlichen Herrschaft erwartete. 

Der Jüngste Tag lässt zum Glück auf sich warten, Karls Erbe und sein Wert als Stammvater Europas sind allgemein anerkannt. An sie erinnert der „Karlspreis“, den die Stadt Aachen seit 1950 an verdiente „Europäer“ verleiht und den dieses Jahr die litauische Staatspräsidentin Dalia Grybauskaite erhalten wird. Was ja der Karls-Hymnus „Urbs Aquensis“ im 12. Jahrhundert vorwegnahm: „Festesfreude füllet wieder/Karls des Großen Heiligtum“. Daran kann kein Seismograph etwas ändern.      Wolf Oschlies


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