26.04.2024

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09.02.13 / Die ostpreussische Familie / Leser helfen Lessern

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 06-13 vom 09. Februar 2013

Die ostpreussische Familie
Leser helfen Lessern
von Ruth Geede

Lewe Landslied,
liebe Familienfreunde,

immer noch quält so viele ältere Menschen die Ungewissheit, wo ihre vermissten Angehörigen ruhen, die seit den letzten Kriegstagen oder der wirren Zeit danach verschollen sind. Da lässt jede Meldung oder Mitteilung aufhorchen, dass bisher unbekannte Gräber gefunden wurden, und zwingt zur Weitergabe an unsere Leserinnen und Leser. So müssen wir auch Frau Stephanie Heidelmeyer aus Alzenau danken, dass sie uns über ein Massengrab in Weißrussland informiert, das erst kürzlich entdeckt wurde. Es soll sich um deutsche Gefangene aus Elbing und Umgebung handeln, die verschleppt wurden und dort verstarben. Frau Heidelmeyer schreibt: „Kürzlich berichtete mir ein Bekannter, der sich die Suche nach deutschen Kriegsgefallenen in Weißrussland zur Aufgabe gemacht hat, dass am Nordrand der östlich des Dnjepr gelegenen Stadt Gomel ein Massengrab entdeckt worden sei. Es soll sich in einer Lehmgrube nahe einer Ziegelei befinden, die Kriegsgefangene der deutschen Wehrmacht und Zwangsdeportierte als Arbeitskräfte nutzte. Es sollen sich hierunter auch Zwangsdeportierte der Jahre 1944/45 aus dem Raum Elbing befunden haben, offenbar in größerer Anzahl. Ob Sie in der PAZ/Das Ostpreußenblatt einmal die Frage stellen könnten, ob jemand etwas von diesen Zwangsdeportationen weiß?“ Was hiermit in beiderseitigem Interesse geschieht. Wir können allerdings noch keine näheren Angaben machen, da sich der Informant von Frau Heidelmeyer zurzeit in Weißrussland befindet und vermutlich im Laufe dieses Monats an seinen Wohnort Hamburg zurückkehrt. Ich kann deshalb auch den Namen nicht nennen, der mir zwar bekannt ist, den ich aber ohne seine Genehmigung nicht veröffentlichen kann. Auch nicht den eines Zeitzeugen, der sich bei ihm gemeldet und von den damaligen Vorgängen in Gomel berichtet hatte. Frau Heidelmeyer weiß deshalb nicht, ob es sich bei diesem Informanten um einen Deportierten aus Elbing oder um einen Kriegsgefangenen handelt. Das ist im Augenblick auch nicht so gravierend, ausschlaggebend ist die Tatsache, dass es einen Zeitzeugen gibt, der aus eigenem Erleben über die damalige Lage in Gomel berichten kann. Aber es ist schon jetzt erkennbar, dass sich unter den Deportierten nicht nur Bewohner aus der Elbinger Gegend befanden, sondern auch Flüchtlinge aus anderen Gegenden Ostpreußens, die auf der Flucht von den Russen überrollt wurden, sowie Angehörige der deutschen Wehrmacht. Wer sich schon jetzt zu dieser Angelegenheit melden will, kann uns dies mit einer kurzen schriftlichen Information mitteilen. Ich reiche die Anschriften an Frau Heidelmeyer weiter, bis ich Verbindung zu dem Informanten aufgenommen habe. Die Verbindung zwischen ihnen kam übrigens zustande, weil Frau Heidelmeyer – wie auch der Herr aus Hamburg – einen Bruder hat, der seit Kriegsende vermisst ist. Zu den Suchenden, die immer noch hoffen, einen Hinweis auf das Schicksal ihres vermissten Angehörigen zu bekommen, gehören die Schwestern Edeltraut und Ursel Fritz aus Königsberg. Ihr Vater, der Oberzollsekretär Eduard Fritz, *27. Mai 1886, wird seit 1945 vermisst. Er ist Anfang 1945 noch zum Volkssturm eingezogen worden und hat die Kapitulation Königsbergs überlebt, denn er soll danach in Rothenstein als „Anstreicher“ gesehen worden sein. Dann 1946 endlich ein Lebenszeichen von ihm: Tochter Edeltraut, die im Krankenhaus der Barmherzigkeit in Königsberg arbeitete, erhielt einen Gruß von ihrem Vater mit der Mitteilung, dass er bald entlassen würde. Es kam aber leider keine weitere Nachricht mehr, von da an war und blieb Eduard Fritz verschollen. Seine Töchter haben ihn immer gesucht, aber niemals auch den geringsten Hinweis erhalten, wie das weitere Schicksal ihres Vaters verlief. Blieb der 60-Jährige in Gefangenschaft, wurde er – wann und wo – entlassen, war er krank und verstarb bald oder später? Vielleicht erinnert sich ein jüngerer Mitgefangener noch an Eduard Fritz, aber leider ist ja nicht einmal das Lager bekannt, aus dem er sich gemeldet hatte. „Wenn jemand etwas weiß, möge er sich doch an mich wenden“, beendet Frau Fritz ihr kurzes Schreiben. (Ursel Fritz, Küstriner Weg 7 in 21465 Reinbek.)

Eine kurze Anfrage und dann ein langes Gespräch mit einer Autorin aus Sachsen-Anhalt. Thema: die 1947/48 durchgeführte Ausweisung der in den Kriegs- und Nachkriegswirren verlassenen ostpreußischen Kinder, die in die Auffanglager der russisch besetzten Zone kamen. Treibgut der Nachkriegswirren: Etwa 2500 sollen in Sachsen-Anhalt „gestrandet“ sein, wie die Archivarin Bettina Fügemann sagt, die sich als Buchautorin hauptsächlich mit dokumentarischen Themen befasst. Und dazu gehören für sie diese elternlosen Kinder, die in Heimen oder Pflegefamilien untergebracht wurden. Zu den größeren Auffanglagern in Sachsen-Anhalt gehörten die in Wittenberg, Bernburg und Wolfsen. In Stendal sollen später auch die aus Litauen kommenden „Wolfskinder“ untergebracht worden sein. Das sind einige erste Hinweise, die sich aus dem Telefongespräch ergaben, aber Frau Fügemann benötigt weitere Unterlagen. Sie bittet deshalb unsere Leserinnen und Leser, die damals als Kinder ohne Familie nach Sachsen-Anhalt kamen oder die Hinweise auf diese geben könnten, sich bei ihr zu melden. Einige werden in ihrem Auffangland geblieben sein, wenn sich keine anderswo lebenden Angehörigen oder Adoptiveltern fanden, oder sie haben es später verlassen – wie sich auch immer ihr Schicksal gestaltete: Frau Bettina Fügemann ist für jede Meldung dankbar. Besonders interessiert ist sie an Aufnahmen aus den Lagern und Heimen, da hier kaum Bildmaterial vorhanden ist. Ich konnte der Autorin einige Hinweise geben, jetzt ist die Ostpreußische Familie dran! (Bettina Fügemann, Robert-Koch-Straße 5 in 06493 Ballenstedt, Telefon 039483/8898, Fax 039483/8653.)

Nach ehemaligen Flüchtlingskindern sucht auch der Caritasverband für das Erzbistum Paderborn. Aber wenn sich auch bei obiger Suchfrage schon jetzt erste Erfolge abzeichnen – unsere „Buschtrommel“ funktioniert eben großartig! –, dürfte es in diesem Fall doch länger dauern. Es handelt sich nämlich nur um ein Heim für Flüchtlingskinder, die dort im Jahr 1946 Zuflucht fanden, folglich ist die Zahl der Gesuchten begrenzt.  Das Schloss Körtlinghausen bei Rüthen war damals von dem Verein für Caritasheime des Erzbistums Paderborn angemietet worden. Die Kinder wurden dort von Hedwigs-Schwestern betreut, die aus Schlesien geflüchtet waren. Zu den wenigen Bilddokumenten, die von dieser Arbeit erhalten sind, zählen einige Fotos, die der Caritasverband 1948 in Auftrag gab. „Wir möchten mehr über das Schicksal der Kinder auf den Fotos erfahren“, erklärt Herr Jürgen Sauer vom Diözesan-Caritasverband, Paderborn. „Was ist aus ihnen geworden, welche Erinnerungen haben sie an die Zeit der Flucht und an das Leben auf Schloss Körtlinghausen?“ Es ist leider nicht bekannt, aus welchen Heimatgebieten die Kinder stammen, ob sie mit Transporten kamen, als verlassene Kinder von anderen Flüchtlingen mitgenommen wurden und ob es sich um Kinder aus katholischen Familien handelt. Vielleicht erkennt sich jemand aus unserem Leserkreis auf den Bildern oder erinnert sich an Flüchtlinge, die sich zu jener Zeit in der Paderborner Gegend aufhielten und vielleicht zu dem Schloss und den dort betreuten Kindern Verbindung hatten? Auch in diesem Falle werden die Informationen für ein Buchprojekt benötigt. (Diözesan-Caritasverband, Herr  Jürgen Sauer, Am Stadelhof 15 in 33098 Paderborn, Telefon 05251/209-311, E-Mail: j.sauer@caritas-paderborn.de)

„Leider sind inzwischen alle in Frage kommenden Informanten verstorben“ – so oder ähnlich steht es in vielen Suchbriefen, die wir erhalten, zumeist stammen die Absender aus der jüngeren Generation. Jeder aus der „Erlebnisgeneration“ – wie man uns halb anerkennend, halb schonungsvoll bezeichnet –, der von uns geht, hinterlässt eine Lücke, nimmt sein Wissen mit in das Grab. Da ist man froh, dass einige Verstorbene begehbare Spuren hinterlassen haben, und dazu gehört eine unserer emsigsten Mitdenkerinnen, Frau Gertrud Bischof aus Nürnberg. Ihr Tod hat mich sehr betroffen gemacht, denn Frau Bischof war immer bemüht, mit ihren Erinnerungen und Verbindungen zu Landsleuten an der Lösung von Suchfragen beizutragen. Umgekehrt konnte ich ihr helfen, ihre selbst gewählten Aufgaben zu erfüllen, von denen ich nur die Arbeit an dem Bericht über das Internierungslager Brakupönen/Rosslinde hervorheben möchte, den sie im vergangenen Jahr nach jahrzehntelanger Vorarbeit in Broschürenform herausgab. Da konnte man zu Recht sagen: Sie hat weder Kosten noch Mühen gescheut! Gertrud Bischof konnte die von ihr ermittelten und zusammengetragenen Namen der in Brakupönen von 1945 bis 1948 Internierten durch eine Personenliste ergänzen, die ihr Landsmann Hans Nagel bei seiner Entlassung aus dem Lager heraus schmuggelte. Natürlich wird mit 320 darin verzeichneten Namen nur ein Bruchteil der dort Internierten  erfasst, denn während des dreijährigen Bestehens waren dort etwa 1500 Lagerinsassen untergebracht. Die Sterblichkeitsrate war hoch, nach mündlichen von Frau Bischof aufgezeichneten Überlieferungen kamen dort täglich bis zu 20 Menschen ums Leben. Da bei den Russen aber immer die „Norm“ stimmen musste, wurde versucht, Menschen aus dem übrigen Gebiet zwangsweise in das im Kreis Gumbinnen gelegene Lager zu verschleppen. Wie es dort zuging, beweist der Schicksalsbericht von Ingrid Marie Neumann geborene Weber aus Weidengrund, der stellvertretend für alle dort Internierten in der Broschüre enthalten ist. Als sie im April vorigen Jahres herauskam und ich darüber unsere Leser informierte, zeigte sich reges Interesse an dem Heft. Frau Bischof war darüber sehr erfreut, fühlte sich aber durch ihre Sehbehinderung überfordert mit dem Versand. Deshalb nahmen wir ihr diese Aufgabe ab. Sie war dafür dankbar, wie sehr zeigte sich in ihrem Weihnachtsgruß, der mich erschütterte, denn das Geschriebene war kaum leserlich. Trotzdem konnte ich aus den über die ganze Karte verteilten Bruchstücken ihren Dank für die Mithilfe entnehmen: „Vergellt’s Gott für alles, was Sie für mich, uns getan haben …“ Ihr Augenlicht war am Erlöschen, dass aber auch ihr Lebenslicht zu Ende ging, ahnte ich noch nicht. Als ich nun die Anzeige von dem Tod der 93-Jährigen am Neujahrstag las, wurde mir bewusst, dass diese am 16. Dezember 2012 geschriebene Karte vielleicht die letzten Schriftzüge aus ihrer Hand enthält. „Sie darf nun sehen, was sie geglaubt hat“, schreiben ihre Hinterbliebenen.

Eure Ruth Geede


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