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23.02.13 / Unsere schöne neue Welt

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 08-13 vom 23. Februar 2013

Gastbeitrag
Unsere schöne neue Welt
von Ulrich F. Sackstedt

Wollen wir bei unserem Projekt nicht etwas mehr auf Kreativität achten?“, fragt die Lehrerin ihre achte Klasse. „Kevins kooperative Kompetenz ist noch nicht sehr ausgeprägt, wenn es um gruppendynamische Prozesse geht!“ steht in Henriks Zeugnis. „Leider haben wir keine Destinationen mehr frei, die Ihren individuellen Wünschen zusagen würden!“, äußert die Angestellte des Reisebüros. Diese Beispiele zeitgeistiger Ausdrucksweise mögen dazu dienen, der Sache näher zu kommen. Wahrlich keine „Hi-Lites“, pardon „Highlights“ deutschsprachlicher Ausdrucksfähigkeit. Ja, sind wir denn von allen guten Geistern verlassen, dass wir uns hinter diesen Fremdwörtern verbarrikadieren, um auszudrücken, was wir eigentlich mitteilen wollen? Ist unser Deutsch nicht mehr tauglich, wenn es darum geht, anderen unsere Intellektualität zu beweisen? Warum sprechen wir nicht so, wie uns der Schnabel gewachsen ist? Was ist in unsere Geister gefahren, jene, die wir riefen, um im internationalen Wettbewerb mitzuhalten? Warum schreiben Schulbuchautoren, die meist selbst aus dem Lehrerberuf hervorgingen, nicht mehr schülergemäß? Warum müssen Schüler aller Schularten sich abquälen mit Fachbegriffen, deren Inhalte sich in den meisten Fällen auf Deutsch viel besser erschließen lassen?

Als jemand, der selbst Jahrzehnte im Bildungsbetrieb tätig war, weiß der Autor dieser Zeilen nur zu genau, was heute in unseren Kompetenztrainingszentren, pardon: Bildungsanstalten, „abgeht“. Statt sich zu verständigen, bauen Lehrer untereinander und Lehrer gegenüber Schülern und Eltern Sprachbarrieren auf. Das erinnert unwillkürlich an die Gepflogenheit der Ärzte, Benennungen von Krankheiten, Diagnosen, Therapien oder Arzneien in lateinisch-kryptografischen Begriffen zu verstecken. Man grenzt sich ab, man ist ja schließlich nicht irgendwer. Das gemeine Volk mag denken, was es will, aber Fachsprache muss nun mal sein, oder? Was teuer ist, muss auch aufwendig verpackt werden, könnte man sagen. Jedem das Seine. Ist so etwas hilfreich, wenn wir Menschen weiterhin im humanistischen Sinne bilden wollen? Und was ist mit den sogenannten einfachen, nichtakademischen Berufen? Gibt es die nicht mehr? Doch, doch. Aber auch hier wirft man mit unverdaulichen Begriffsbrocken lateinischer oder angelsächsischer Herkunft um sich. Ein Restaurationsfachmann ist nichts weiter als ein gelernter Kellner oder auch ein Hotelangestellter. Wiederholungskurs heißt auch in dieser Branche jetzt Repetitorium. Fähigkeiten sind zu Kompetenzen mutiert, ein Lebenslauf heißt jetzt überall „vita“ oder „curriculum vitae“. Der wird aber nicht mehr in Sätzen formuliert wie früher, sondern bitte nur als Tabelle. Wegen des Datenschutzes und überhaupt geht das keinen etwas an, wie meine Eltern heißen und was sie beruflich machen.

Wie gebildet und rücksichtsvoll sind wir doch! Wirklich? Aber der Geist des Menschen wehrt sich. Ganz unten an der Basis, kurz über dem Bauchgefühl, hat er sich ein Biotop an sprachlicher Rohheit geschaffen beziehungsweise erhalten. Da herrscht im allerersten Rang das Wort „Scheiße“, was aber auch wirklich bei allen nur erdenklichen Gelegenheiten eingesetzt wird. Es ist salonfähig geworden unter den Intellektuellen und den Scheinintellektuellen unserer Gesellschaft. Immer, wenn etwas nicht so läuft, wie wir es erwartet haben, kommt „Scheiße“. Mal lauter, mal leiser gesprochen. Je nach Situation und Umgebung. Ganz Gebildete benutzen die amerikanische Form und sagen: Das ist doch bull-shit! Klingt dann irgendwie sauberer, nicht wahr? Deutsche Vulgarität englisch reingewaschen. Man liest jetzt sogar von sogenannten „shit storms“ (Stürmen von Scheiße), wenn es darum geht, dass über jemanden in übler Weise hergezogen wird.

Brav gemacht, Deutsche! Das ist eine Glanzleistung neuamerikanischer Kultur in einem von der westlichen Wertegemeinschaft beglückten Land. Nachdem wir unsere Währung, die Deutsche Mark, verloren haben, verlieren wir jetzt auch unsere Sprache und damit unsere Kultur. Na, da werden sich die Grünlackierten und die Neulinken aber freuen. Kulturelles Niemandsland war schon immer ihre Stärke. Unter ihrer „Rothen Führung biegen wir uns unsere solarstromgespeiste, ökologische Nische gendermainstreammäßig so hin, dass sie in jedes politische System passt, und wenn es „neoatlantischer kapitalistischer Globalsozialismus“ heißt. Dafür werden wir unsere Jugend schon kompetent qualifizieren. Bertelsmann- und Rockefellerstiftung sind dabei unsere treuen Helfer. Wer hätte das gedacht, dass es nur 50 oder 60 Jahre braucht, um „reeducation“ wahr werden zu lassen. Tja, das haben wir uns wohl mit der weltweiten Vernetzung durch Internet, Fernsehen, Telefon und Luftverkehr zugezogen. Aber macht nichts, wenigstens sind wir nun viel intelligenter als unsere Eltern oder Großeltern. Sprachlich und zugleich historisch reingewaschen. Hört man nicht, wie wir uns (schriftlich bei Bewerbungen zumindest) ausdrücken können? Alles andere lässt sich im Short-Message-System von Mensch zu Mensch „smsen“.

Und während dieses reale Theaterstück weiterläuft, zeigt sich in der real existierenden Wirtschaftswelt, was denn noch wirklich zählt. In jedem Beruf werden jetzt Qualifikation und Fachkompetenz, nicht etwa Können und Geschick gefordert. Sind Können und Geschick, Begabung oder Erfahrung nicht vorhanden, so treten dafür eben Qualifikation und Fachkompetenz an ihre Stelle. Und wenn das nicht ganz klappt, dann geht es vielleicht mit Teamgeist und Kooperationsbereitschaft. Zu Deutsch: Wir fragen andere. Wenn ein Mechatroniker-Azubi nicht weiß, an welcher Stelle er die Zündkerzen eines Autos findet, dann scrollt er die Linkliste der entsprechenden Navigation herunter und klickt auf die entsprechende Bild- oder PDF-Datei. Das kennt er schließlich von klein auf. 30 Jahre zuvor stand der Kfz-Schlosserlehrling neben dem Gesellen oder Meister und schaute zu, um zu sehen, wo die Zündkerzen sich versteckt halten. Oder er fragte ihn. Hörte früher ein Kfz-Geselle am Geräusch des Motors, ob ein Zylinder nicht richtig lief oder ein Lager untypische Geräusche machte, so holt er heute ein handliches Gerät heraus, verbindet es mit einer im Auto vorgesehenen Diagnose-Steckdose und „liest den Fehler aus“. Das klingt nach Auslese. Ist aber kein guter Wein, sondern das glatte Gegenteil: Eine Macke. Manchmal ist es nicht einmal eine solche, sondern man kann durch einfaches Löschen den scheinbaren Fehler elektronisch zur Strecke bringen. Und schon ist das Auto wieder ein super Teil. Wäre das doch auch mit unserer zeitgeistigen Kompetenz so einfach, dann wäre vieles wieder normaler. Löschen und – reset, pardon: Zurück-setzen.

Sind wir eigentlich alle intelligenter geworden oder sind wir geistig-sinnlich verkümmert, indem wir statt unserer fünf Sinne nur noch Computer benutzen, für die wir in Schule und Fachschule kompetent gemacht wurden. Sind wir jetzt qualifizierter als früher, wo es noch auf Fingerspitzengefühl und Fingerfertigkeit ankam, wenn man ein guter Handwerker sein wollte? Was haben Intellektualisierung und Akademisierung mit uns allen gemacht? Manchmal wünschte ich, ich wär’ mein Hund ... Dann verschwände aller antrai- nierte Intellekt und ich wäre wieder Mensch.

 

Ulrich F. Sackstedt, geboren 1946, studierte Pädagogik und Naturwissenschaften. Seit 1990 ist er als Sachbuchautor tätig. Seine Interessensgebiete sind Politik, Wirtschaft, alternative Finanzsysteme und neue Energietechnologien.


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