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23.02.13 / »Der letzte große Preuße« / Kein deutscher Offizier wurde so oft in den Ruhestand versetzt und wieder reaktiviert wie Gerd von Rundstedt

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 08-13 vom 23. Februar 2013

»Der letzte große Preuße«
Kein deutscher Offizier wurde so oft in den Ruhestand versetzt und wieder reaktiviert wie Gerd von Rundstedt

Als der Generalfeldmarschall Gerd von Rundstedt vor 60 Jahren zu Grabe getragen wurde, sprach der Geistliche in seiner Trauerrede von der Beisetzung „des letzten großen Preußen“. Dessen Karriere weist eine Besonderheit auf: Nicht nur, dass er die Spitze des Olymps militärischer Führung erklommen hat, wohl kein deutscher Offizier wurde so oft in den Ruhestand versetzt und wieder reaktiviert wie er.

Der Militärdienst hatte in der über 800-jährigen Geschichte der Junkerfamilie von Rundstedt Tradition. So kam auch für den am 12. Dezember 1875 in Aschersleben in der preußischen Provinz Sachsen geborenen Gerd von Rundstedt nie ein anderer als der Soldatenberuf in Frage. Seiner Berufung folgend, wurde er Zögling der Oraniensteiner Kadettenanstalt in Diez an der Lahn und wechselte von dort auf die Hauptkadettenanstalt in Groß-Lichterfelde, die er 1892 mit der Primarreife verließ. Anschließend trat er als Fähnrich in ein Infanterieregiment in Kassel ein, besuchte die Kriegsschule in Hannover, diente zehn Jahre in unterschiedlichen Truppenverwendungen und absolvierte die Ausbildung zum Generalstabsoffizier. Rundstedt verkörperte den typischen Generalstäbler in der von Helmuth von Moltke geprägten Tradition. Seine Vorgesetzten bescheinigtem ihm neben militärischen Fähigkeiten Fleiß, Enthusiasmus, Takt und Reserviertheit. Allerdings zeigte er auch Eigenschaften eines preußischen Offiziers, die häufig in Karikaturen aufs Korn genommen wurden: Er galt als betont standesbewusst und hochmütig.

Während des Ersten Weltkriegs bewährte sich der Major als Generalstabsoffizier an der West- wie an der Ostfront sowie in der Türkei und in Wien, wo er heikle Missionen auf dem schwierigen Feld der Militärdiplomatie mit Bravour meisterte. Nach dem Untergang des Kaiserreichs wurde Rundstedt in die Reichswehr übernommen, in der er innerhalb von nur neun Jahren vom Major bis zum Generalleutnant avancierte. Zu seinem großen Missfallen wurden jedoch immer wieder dienstjüngere Kameraden bei der Besetzung von Spitzenstellungen bevorzugt, was erst 1932 mit seiner Ernennung zum Oberbefehlshaber des vier Wehrkreise umfassenden Gruppenkommando I in Berlin geheilt wurde. Damals 57 Jahre alt, war Rundstedt der dienstälteste aktive deutsche Offizier, so dass er sich „Erster Soldat des Heeres“ nennen durfte.

Den Machtwechsel 1933 nahm er teilnahmslos zur Kenntnis, galt für ihn doch eine politische Positionierung als mit dem Soldatenberuf unvereinbar. Kameraden, die sogleich auf die neue politische Linie einschwenkten und sich dadurch in Berlin für höhere militärische Weihen empfahlen, lehnte er als überehrgeizige und opportunistische Karrieristen ab. Nachdem er in 46 Dienstjahren mehrfach bei Beförderungen und Stellenbesetzungen übergangen worden war, reichte er Anfang 1938 seinen Abschied ein, den er nach der Beförderung zum Generaloberst jedoch wieder zurück nahm. Ende des Jahres trat er dann doch in den Ruhestand, der allerdings nur von kurzer Dauer war. Im April 1939 wurde er reaktiviert und als Chef eines geheimen Arbeitsstabes damit beauftragt, eine Operation gegen Polen zu planen.

Am 1. September 1939 wurde er Oberbefehlshaber der Heeresgruppe Süd, mit der er das Zentrum der polnischen Streitkräfte umging und durch diese Zangenbewegung den Gegner innerhalb von vier Wochen besiegte. Konsequent praktizierte er schon hier den Führungsstil, der für ihn den ganzen Krieg über typisch blieb. Er begab sich nie an die Front, sondern führte von hinten von seinem Hauptquartier aus. Operative Details interessierten ihn nicht und er übertrug alles, was nicht von strategischer Bedeutung war, seinem Stab. Im Westfeldzug 1940 befehligte er die Heeresgruppe A, deren Panzerkräfte er durch die Ardennen bis zur Kanalküste angreifen ließ, wodurch ihm erneut eine Umklammerung des Gegners gelang. Dessen Vernichtung zum Greifen nahe, befahl Adolf Hitler ihm bei Dünkirchen Halt, so dass das Gros der britischen Expeditionsstreitkräfte über den Kanal entkommen konnte. In Anerkennung seiner Verdienste wurde Rundstedt am 19. Juli 1940 zum Generalfeldmarschall befördert.

Den Feldzug gegen die Sowjetunion 1941 erlebte er als Oberbefehlshaber der Heeresgruppe Süd. Seine Truppen überrannten die Krim und das Donezbecken und stießen bis an den Don vor. Anfang November befahl Hitler die Einnahme von Rostow, das als „Tor zum Kaukasus“ indes weniger militärische als symbolische Bedeutung für den Erfolg des Feldzuges hatte. Angesichts der erbitterten sowjetischen Gegenangriffe schlug Rundstedt vor, sich zurückzuziehen und für den Winter einzugraben – ohne Erfolg. Schließlich befahl er eigenmächtig den Rückzug, woraufhin er abberufen wurde. Dies war einer der wenigen Fälle, in denen Rundstedt sich nicht als „gehorsamer Diener seines Führers“ erwies. Hitler, den er abfällig als den „böhmischen Gefreiten“ titulierte, verachtete er. Dennoch wäre es ihm nie in den Sinn gekommen, den Willen seines Obersten Befehlshabers nicht umzusetzen oder gar gegen ihn zu opponieren. Alles andere wäre „ganz gemeiner, nackter Verrat“ gewesen, rechtfertigte er sich nach dem Krieg im Zeugenstand in Nürnberg. Man müsse, falls erforderlich, der Führung vorschlagen, wie ein Auftrag wirksamer durchgeführt werden könne, allerdings dürfe man einem Vorgesetzten niemals sagen, dass das, was er macht, falsch sei.

Um dem Eindruck einer Führungskrise entgegenzuwirken, holte Hitler ihn im März 1942 aus dem Ruhestand zurück und ernannte ihn zum Oberbefehlshaber West, ein zwar repräsentativer aber militärisch relativ unbedeutender Posten. Hinsichtlich der Erfolgsaussichten bei der Abwehr einer alliierten Landung in Frankreich gab er sich keinen Illusionen hin. Als es nach der Invasion zwischen ihm und dem Führerhauptquartier zu Auseinandersetzungen über die Verteidigungsmaßnahmen kam, bat er entnervt um seinen Abschied und erklärte, nie wieder ein militärisches Kommando zu übernehmen. Überliefert ist ein Telefongespräch Rundstedts mit Generalfeldmarschall Wilhelm Keitel, Chef des Oberkommandos der Wehrmacht, vom gleichen Tag, in dem Rundstedt diesem schwere Vorhaltungen machte. Rundstedts Antwort auf Keitels angesichts der kritischen militärischen Lage verzweifelte Frage „Was können wir machen?“: „Schluss machen, ihr Idioten. Was wollt ihr denn sonst noch machen?“

Im August 1944 ernannte Hitler den „Senior-Offizier“ der Wehrmacht zum Vorsitzenden des Ehrengerichts, das die an der Verschwörung vom 20. Juli beteiligten Offiziere aus der Wehrmacht ausschloss und sie damit dem Volksgerichtshof auslieferte – eine Aufgabe, die ihm selbst nicht zur Ehre gereichen sollte. Dennoch nahm Rundstedt sie aus einem ihm selbstverständlich erscheinenden Gehorsam an. Der Vorwurf, er habe dies aus Karrierestreben getan, entbehrt jeder Grundlage. Denn zu diesem Zeitpunkt befand Rundstedt sich schon lange im Pensionsalter und hatte alles erreicht, was ein Berufssoldat erreichen kann.

Anfang September rief Hitler ihn auf seinen alten Posten als Oberbefehlshaber West zurück. Vergessen war Rundstedts Schwur, nie wieder ein Kommando zu übernehmen. Stattdessen versicherte er seinem Obersten Befehlshaber, was immer dieser ihm befehle, werde er „bis zum letzten Atemzug“ erfüllen. Bei der Führung der Ardennenoffensive stellte er erneut sein großes strategisches Geschick unter Beweis. Selbst die US-amerikanische Zeitschrift „Life“ erwies ihm ihre Reverenz, indem sie ihn als „der Wehrmacht besten General, den bei weitem größten der preußischen Meister“ bezeichnete. Nachdem er keine weiteren Erfolge mehr erringen konnte, schickte Hitler den nunmehr 70-Jährigen am 11. März 1945 endgültig in den Ruhestand.

Kränkelnd und gebrechlich, geriet Rundstedt in westalliierte Gefangenschaft. Da er nachweisen konnte, dass er nie an herausragender Stelle an der Kriegsplanung beteiligt gewesen war, blieb ihm eine Anklage als Hauptkriegsverbrecher erspart. Allerdings wurde von der alliierten Anklagebehörde Material zusammengetragen, das ihn belastete. Dabei ging es hauptsächlich um die Erschießung gefangengenommener sowjetischer Politkommissare und die Auslieferung britischer Kommandosoldaten an die Gestapo in seinem Befehlsbereich. Bevor jedoch über eine Anklage entschieden war, wurde er im Mai 1949 aus gesundheitlichen Gründen entlassen. Dies war allerdings weniger ein Akt der Milde als politisches Kalkül. In britischer Gefangenschaft waren bereits vier deutsche Generalfeldmarschälle gestorben und in London wurde befürchtet, dass Rundstedts Tod in Gefangenschaft zu einer antibritischen Stimmung in der Bundesrepublik führen und dadurch den westdeutschen Verteidigungsbeitrag gefährden könnte. Diese Sorge war nicht unbegründet, denn der „Erste Soldat des Heeres“ wurde von vielen ehemaligen Soldaten, die man demnächst für die neuen deutschen Streitkräftige benötigen würde, noch immer als höchste militärische Autorität angesehen.

Ob der „letzte große Preuße“ sein Handeln jemals kritisch reflektiert hat, ist unbekannt, denn er hat sich nie dazu geäußert. Zweifellos verkörperte Rundstedt die preußischen Tugenden Gehorsam und Treue, allerdings gibt er auch ein Beispiel dafür, wie diese gerade nicht bis ins Extreme gelebt werden sollten, nämlich nicht als bedingungslose Unterordnung unter die Obrigkeit, den sprichwörtlichen Kadavergehorsam. Rundstedt starb am 24. Februar 1953 in Hannover. Jan Heitmann


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