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23.02.13 / Zerstörerisches Schweigen / Autor recherchiert die Vergangenheit seiner deutsch-polnischen Familie

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 08-13 vom 23. Februar 2013

Zerstörerisches Schweigen
Autor recherchiert die Vergangenheit seiner deutsch-polnischen Familie

Bereits in seinem Buch „Schweigen die Täter, reden die Enkel“ von 2006 hat sich der Journalist und Autor Uwe von Seltmann mit der SS-Vergangenheit seines aus Wien stammenden Großvaters Lothar von Seltmann auseinandergesetzt. Über ihn hatte der 1964 geborene Autor lange Zeit nur gewusst, dass er 1944 in Schlesien vermisst war, da in der Familie über ihn nicht geredet wurde. Irritierend klingt der Titel seines neuen Buches: „Todleben“. Man ahnt den Sinn der bizarren Wortschöpfung aufgrund des Untertitels „Eine deutsch-polnische Suche nach der Vergangenheit“ umso mehr, wenn man erfährt, dass Uwe von Seltmanns polnische Ehefrau, die Künstlerin Gabriela Maciejows-kaja, seit ihrer Kindheit ebenfalls mit dem Schweigen zurechtkommen musste, das über die Existenz ihres Großvaters verhängt war. 2006 hatten sich die Ehepartner in Kazimierz kennengelernt, dem ehemaligen jüdischen Viertel Krakaus. Doch Gabriela Maciejowskajas Großvater, der Agraringenieur Michał Pazdanowski, war Opfer, nicht Täter. Nach Aufgabe der Vorbehalte, die Gabrielas Geschwister dem Autor als Deutschem anfangs entgegengebracht hatten, überließ ihm sein Schwager einige Dokumente, aus denen hervorging, dass Michał Pazdanowski von der Gestapo im November 1942 im damals polnischen Zabie verhaftet wurde. Der Ort in der Huzulei heißt heute Verkhovyna und liegt in der Westukraine nahe der rumänischen Grenze. In dieser Gegend der Ostkarpaten hatte sich zeitweilig auch Uwe von Seltmanns Großvater aufgehalten, der bis 1942 in Polen zum Stab des Odilo Globocnik gehörte, einem der brutalsten Massenmörder des NS-Staates. Wie nicht anders zu erwarten, bedeutete diese Verknüpfung der Vergangenheit beider Familien zunächst eine Belastung für das deutsch-polnische Ehepaar.

Das Buch beginnt mit einem Aufenthalt – von insgesamt fünf – am zentralen Ort ihrer Spurensuche, in Verkhovyna. In dem Dorf im „Hinterhof Europas“ begegneten ihnen Menschen, denen es heute wirtschaftlich äußerst schlecht geht. Uwe von Seltmann hat in seinem Buch die Lebenslinien von Michał Pazdanowski nachgezeichnet, obwohl ihn zwischenzeitlich immer wieder Zweifel an der Sinnhaftigkeit seines aufwändigen Vorhabens ankamen. Die Nachrichten, die noch über ihn in Erfahrung zu bringen waren, sind spärlich. Sie sind eingebettet in eine manchmal ausufernde Erzählung von den sich über fast vier Jahre hinziehenden Rechercheaufenthalten im Baskenland, in Wien, Krakau, Lublin, Lemberg, Majdanek, Auschwitz. Nicht immer ist es einfach, die Zusammenhänge nachzuvollziehen. Lange Gespräche mit Verwandten der Ehefrau des Autors sowie die Auskünfte einiger hoch betagter Zeitzeugen sind teilweise im Wortlaut wiedergegeben. Bevor Westgalizien am 1. August 1941 dem Generalgouvernement zugeschlagen wurde, waren dort mehrere Tausend Polen vom sowjetischen NKWD, aber auch von Partisanen liquidiert worden. Bereits in den ersten Monaten nach dem Einmarsch der Wehrmacht fielen erneut Zehntausende Zivilisten den Einsatzkommandos der Sicherheitspolizei und des Sicherheitsdienstes zum Opfer. Michał Pazdanowski, der 1925 an der altehrwürdigen Universität Krakau seinen Abschluss in Agrarwissenschaften gemacht hatte, wurde im November 1942 von der Gestapo verhaftet und starb im April 1944 während eines Transports vom KZ Majdanek nach Auschwitz.

Die Reise in die Vergangenheit sei wichtig gewesen, befindet von Seltmann abschließend, denn: „Moralische Schuld vererbt sich nicht. Doch die sozialen Folgen des Ver- und Beschweigens von Schuld beschädigen noch die folgenden Generationen.“ Das Projekt „Zwei Familien, zwei Vergangenheiten – eine Zukunft“ hat ihn und seine Frau zusammengeschmiedet. Dagmar Jestrzemski

Uwe von Seltmann: „Todleben. Eine deutsch-polnische Suche nach der Vergangenheit“, Herbig Verlag 2012, gebunden, 317 Seiten, 19,99 Euro


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