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09.03.13 / Widerstand gegen russisches Dubai / Ein Jahr vor den Olympischen Winterspielen in Sotschi protestieren Bürger gegen Bauboom

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 10-13 vom 09. März 2013

Widerstand gegen russisches Dubai
Ein Jahr vor den Olympischen Winterspielen in Sotschi protestieren Bürger gegen Bauboom

Als Sotschi 2007 zum Austragungsort der nächsten Olympischen Winterspiele gewählt wurde, war die allgemeine Freude groß. Rosige Pläne von einer der Küste vorgelagerten künstlichen Insel mit den Umrissen der Russischen Föderation, Marina und Badestrände inklusive, beflügelten die Vorfreude. Nach fünf Jahren Bauzeit ist die positive Stimmung einer wachsenden Skepsis der ortsansässigen Bevölkerung gewichen. Sie sehen sich zunehmend als Opfer rücksichtloser Unternehmer und Politiker.

Fünf Jahre Baulärm, Dreck, löchrige Straßen sowie ständige Strom- und Gasausfälle zehren an den Nerven der Bewohner der Schwarzmeermetropole. Sotschi ist dabei, sich in ein russisches Dubai mit zahlreichen Wolkenkratzern und Fünf-Sterne-Hotels zu verwandeln. Das Stadtzentrum wurde bereits völlig umgebaut, allerdings handelt es sich bei den Wolkenkratzern nicht nur um Hotels, sondern um 20 bis 30 Stock-werke hohe Luxus-Appartement-häuser mit Schwimmbädern, Saunen und Fitness-Clubs.

Sahen viele Olympia bislang als Chance für die Stadt, deren Infrastruktur stark veraltet war, weicht der Optimismus immer mehr der Skepsis. Sotschi fehlen Sozialwohnungen, Straßen müssten erneuert, die Versorgung mit Wärme und Strom gesichert werden. Inzwischen glauben viele, dass die im  Zuge der Olympiade gebaute Infrastruktur nicht für die Mittelklasse gedacht ist. Der Küstenstreifen wird mit Dutzenden Wolkenkratzern zubetoniert. Daneben werden zwar auch Sozialwohnungen beim Olympischen Dorf gebaut, die während der Spiele als Hotelzimmer genutzt und nachher an Menschen vergeben werden sollen, die schon seit Sowjetzeiten auf eine neue Wohnung warten. Voraussetzung ist allerdings, dass sie als freiwillige Helfer bei der Olympiade mitgewirkt haben oder Mitglied der Regierungspartei „Einiges Russland“ sind.

Bislang war Sotschi eine Stadt der Sanatorien, die ihren Charme auch in der Postsowjet-Ära behalten hat. Die ersten Kurorte an der russischen Schwarzmeerküste waren zu Beginn des 20. Jahrhunderts entstanden. Sie nannten sich „Riviera“. Diese Periode en-dete mit der Revolution von 1917. Sotschi wurde der Lieblings-Erholungsort von Stalin, später von Putin. In der Sowjetunion war es das Urlaubsparadies der arbeitenden Klasse. Sanatorien für jedermann wurden gebaut, die mit ihren Säulen, Statuen und luxuriösen Gärten wie altertümliche Tempel anmuteten. Noch bis 2007 war in Sotschi viel Betrieb. Die Inhaber kleiner Geschäfte und Pensionen erhofften sich von der Winterolympiade viel, weil sie dachten, dass sich die Verbesserung der Infrastruktur auch auf ihre Geschäfte positiv auswirken würde. Sie rechnen jetzt eher mit dem Gegenteil: Sie fürchten, dass ihr bisheriger Kundenstamm, der zuletzt aus Russen mit geringem Einkommen bestand, auch noch wegbricht. Die Mittelklasse haben sie ohnehin schon verloren. Die reist nach Europa oder um die ganze Welt. Jetzt fürchten Sanatorien um ihre Existenz, bieten kostenloses Internet, Mineral- und Schwefelbäder an, um Touristen anzulocken.

In den vergangenen Jahren sind die Übernachtungszahlen von Jahr zu Jahr zurückgegangen. Niemand hat Lust, auf einer Baustelle seinen Urlaub zu verbringen. Im Augenblick gibt es auch kaum etwas, was die Gäste unternehmen könnten. Die ganze Region ist eine Baustelle. Kleine Cafés vom Typ „Pribreschnoje“  oder Restaurants wie das „Schaschlick-häuschen“ verschwinden nach und nach von der Bildfläche. Im Zentrum gibt es noch den Park „Riviera“, einige hundert Quadratmeter, die noch an das alte Sotschi erinnern. Hier befinden sich die Überreste der Pension „Kawkaskaja Riviera“, zu sowje-tischer Zeit eines der angesagtesten Häuser der Stadt. Nach dem Zerfall der Sowjetunion erlitt das Haus das gleiche Schicksal wie das einstige Vorzeigerestaurant Priboj in Cranz. Ein Geschäftsmann kaufte die Pension in den 90er Jahren, ließ sie aber ungenutzt. Zwei Brände zerstörten den Rest. Heute erinnern nur noch Ruinen an den einstigen Glanz.

Der Unmut der Bevölkerung entlädt sich inzwischen bei Demonstrationen und Mahnwachen. Am 3. März protestierten im Stadtteil Makarenko 150 Einwohner gegen den Bau eines Supermarktes der Kette „Magnit“. Sie wollen in die Planung einbezogen werden, richteten bereits Protestschreiben an Bürgermeister Pachomow und an Putin. Sie halten den Bau in einem reinen Wohnbezirk für gesetzeswidrig und wollen das Grundstück notfalls mit Körpereinsatz verteidigen. Der Widerstand richtet sich gegen die Beschäftigung von Migranten genauso wie gegen den Bau eines Kraftwerkes, das einzig für den Betrieb von Schnee- und Eismaschinen während der Winterspiele dienen soll. Die Aktivisten kritisieren, dass es genügend Energie gebe, die Ursache für die vielen Stromausfälle seien veraltete Leitungen. Der Bau eines weiteren Kraftwerks würde nur die Umwelt zerstören.

Es wächst die Furcht, dass Sotschi nach Olympia nicht mehr das ist, was es einmal war. „Eure Olympiade ist für uns die Pest“ war auf einem Protestplakat zu lesen. Ärmere Russen, die Mittelschicht und Kleinunternehmer würden in einem russischen Dubai untergehen.

Die Bürger von Sotschi sehen sich von der Politik abgehängt. Nach Olympia werde sich ohnehin kein Politiker mehr für ihre Probleme interessieren, so die Befürchtung. Manuela Rosenthal-Kappi


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