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09.03.13 / Diktatur der Post-Demokratie

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 10-13 vom 09. März 2013

Gastbeitrag
Diktatur der Post-Demokratie
von Hinrich E. Bues

Nahezu einhellig empört, verärgert oder gar entsetzt äußerten sich vor einigen Wochen Politiker und Medien gleichermaßen über den britischen Premier David Cameron. Was hatte er verbrochen? Der Regierungschef hatte eine Volksabstimmung über den Verbleib in der Europäischen Union (EU) für sein Land angekündigt, zwar erst in drei oder vier Jahren, aber das reichte für einen europaweiten Aufschrei.

Cameron hatte rundherum erklärt, dass in seinem Land sehr viele Bürger über das „undemokratische“ Gebaren der EU befremdet seien, die immer mehr Kompetenzen an sich ziehen würde. Die Briten wollten weniger Zentralismus aus Brüssel und dafür mehr nationale Souveränität. Ist diese Forderung, die da aus dem Mutterland der westlichen Demokratien erschallte, völlig illegitim? Immerhin funktioniert die britische Demokratie seit über 300 Jahren – und damit wesentlich länger als die Demokratien in Frankreich, allen europäischen Ländern oder den USA. Im englischen Unterhaus, dem Parlament, sitzen sich die Parlamentarier immer noch auf engstem Raum, auf grünen Ledersitzen in alter Formation, dicht gegenüber. Manchmal erreicht die Spucke eines Redners sogar die gegenüberliegende Sitzbank, so heftig wird debattiert, was im Deutschen Bundestag, schon auf Grund der räumlichen Entfernungen, kaum möglich wäre.

Wie ist die Demokratie nach Deutschland gekommen? Man darf vielleicht daran erinnern, dass diese Regierungsform nicht wirklich vom „Deutschen Volk“, das in großen Lettern über dem Reichstagsgebäude prangt, nicht unbedingt gewünscht oder gewählt worden ist. 1919 wurde die Weimarer Republik und 1948/49 die Bundesrepublik und die „Deutsche Demokratische Republik“ installiert. Dazwischen lag ein zwölfjähriges Interregnum einer Regierung, die vor jetzt 80 Jahren am 30. Januar 1933 nicht durch eine „Machtergreifung“, sondern durch demokratische Wahlen ans Ruder gekommen war. Erst durch sogenannte „Ermächtigungsgesetze“, wenige Wochen und Monate nach der legitimen Wahl, erfolgte dann die Aushöhlung der demokratischen Institutionen durch die NSDAP. Die vorher, vielfach mehr schlecht als recht, arbeitenden demokratischen Parteien, das Parlament, die Rechtsprechung und die Presse wurden ihrer Unabhängigkeit und Mitsprachemöglichkeiten systematisch beraubt. Kann so etwas nie wieder passieren? Oder stehen wir heute bereits wieder mitten in einem Prozess der Machtergreifung durch Brüsseler Bürokraten, die zudem teilweise noch nicht einmal voll demokratisch legitimiert sind?

Die Forderung von EU-Kommission und vielen europäischer Politiken nach einem „mehr an Europa“ deuten darauf hin. Der Politologe Colin Crouch nennt das sich hier abzeichnende System eine „Post-Demokratie“. Damit meint er ein Verwaltungssystem, in dem direkte Bürgerbeteiligung gar nicht mehr erwünscht ist, sondern nur noch eine „institutionelle Exzellenz“ herrscht. Die Idee der Herrschaft des Volkes wird hierbei abgelöst von der Idee der Herrschaft des Allgemeinwohls und bestimmter Institutionen. Verwaltungsgremien und Experten organisieren ein vermeintliches Allgemeinwohl, wo die Güter eines Landes – oder eben von ganz Europa – nach dem Gesichtspunkt einer „objektiv“ angenommenen Gerechtigkeit verteilt werden sollen.

Als Symptome einer solchen post-demokratischen Konstruktion gelten nach Crouch der Verfall politischer Kommunikation durch Machtkonzentration in den Medien und ein möglichst ausgeklügeltes System von Institutionen, das den Bürger von der Macht fernhalten soll. Auch ein möglichst undurchschaubares Wirtschaftssystem, das bestimmte Entscheidungen immer wieder als „alternativlos“ erscheinen lässt, dient dem Ziel, eine Bürgerbeteiligung von vornherein auszuschließen. Solch eine Post-Demokratie sieht von außen vielleicht noch aus wie eine einwandfrei funktionierende Demokratie, es brennen keine Parlamente oder werden auch keine Konzentrationslager für politische Gegner errichtet; es geht heute viel geschmeidiger zu.

Periodische Wahlen, Wahlkämpfe, Parteienkonkurrenz, Gewaltenteilung – all das funktioniert scheinbar wie geölt. Nur der Prozess der politischen Legitimation stimmt nicht mehr mit den konkreten politischen Entscheidungen überein. Crouch nennt Wahlen in der Post-Demokratie daher „Wahlspiele“. Denn hinter dem Rücken der demokratisch gewählten Volksvertreter werden taktische Entscheidungen getroffen, die sich dem Einfluss von Lobbygruppen und/oder mächtigen Männern und Frauen verdanken, die im Hintergrund ihre Fäden ziehen.

Sobald aber der Ruf nach einer Volksabstimmung auftaucht, fühlen sich diese Gruppen und Personen in ihrer Machtausübung gestört, sie reagieren „empört“ und geschickt ziehen sie auf allen medialen Kanälen, die bereits unter ihrer Kontrolle sind, die Register. Wer diese Zusammenhänge beachtet, reibt sich dann nicht mehr die Augen, wenn Cameron in fast allen Medien diskreditiert wird.

Ins Nachdenken kommen müssten eigentlich alle, wenn erklärt wird, dass die Forderung nach einer Volksabstimmung etwas total Unanständiges sei. Unser Nachbarland Schweiz müsste demnach aus total unanständigen Menschen bestehen, weil die Bürger dort doch ständig über kleinere oder größere Fragen abstimmen dürfen. Auch ein Land wie Norwegen, das sich per Volksabstimmung gegen den Euro und die Mitgliedschaft in der EU entschieden hat, müsste aus solchen, politisch gesehen, unanständigen Leuten bestehen. Schade nur, dass die von Eurokraten ständig prophezeiten Unheilsszenarien in diesen Ländern nicht eintreten und sogar vermehrt Deutsche dorthin auswandern. Und wie soll man erst die Schotten betrachten, die tatsächlich im Jahr 2014 über die Unabhängigkeit von England und dann eventuell sogar über einen Beitritt in die EU abstimmen wollen?

Im Gegensatz zu einer Diktatur, wie sie jetzt beispielsweise in Ägypten (wieder) eingeführt wird, gibt sich das System der Post-Demokraten eleganter. Anstatt den Bürgern ihre Ohnmacht direkt vor Augen zu führen, macht man sie zu Zuschauern auf der politischen Bühne. Die Feudalisierung der Europa-Politik ist dabei das krasseste Beispiel für die Abkapselung des Systems von seinen eigentlichen Protagonisten. Auf europäischer Ebene spielt sich eine Eliteveranstaltung ab, die statt auf Transparenz und Erklärungsbereitschaft auf kaltschnäuzige Selbstermächtigung setzt. Gerade die Idee des modernen Europas aber müsste auf Durchsichtigkeit, Deutungsbereitschaft und Verantwortung gebaut sein, wenn die immer wieder erhobene Forderung nach Abgabe der Souveränität von Nationalstaaten für die Bürger plausibel sein soll. Sonst erscheint die Drohung mit dem übergeordneten politischen oder wirtschaftlichen Allgemeinwohl irgendwann nur noch als hohl.

Wie lange aber wird sich der Bürger mit der Zuschauerrolle bei diesem hochsubventionierten Theaterstück namens EU zufrieden geben? Wer nicht hinter die Kulissen schauen oder die Schauspieler oder den Regisseur abwählen darf, wird unzufrieden bleiben. Eine kleine Minderheit in Europa wird sich immer daran erinnern, dass einmal vom „mündigen Bürger“ die Rede war und „Freiheit“ am Beginn demokratischer Bewegungen stand.


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