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16.03.13 / Erziehung im Geiste des Pietismus / Der Gründer und Namensgeber der Franckeschen Stiftungen wurde vor 350 Jahren geboren

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 11-13 vom 16. März 2013

Erziehung im Geiste des Pietismus
Der Gründer und Namensgeber der Franckeschen Stiftungen wurde vor 350 Jahren geboren

Ebenso einzigartig wie die Gründungsgeschichte der Franckeschen Stiftungen in Halle an der Saale ist der Gesamtkomplex der fast 50 historischen Gebäude im Zentrum von Halle. Sie bilden heute wieder eine Schulstadt mit angegliederten gewerblichen und wissenschaftlichen Einrichtungen im Sinne ihres Stifters, des evangelischen Theologen, Pädagogen und Kirchenlieddichters August Hermann Francke. Am 22. März 1663 kam der Pietist in Lübeck zur Welt.

August Hermann Francke war nicht einfach nur ein Angehöriger, sondern einer der Hauptvertreter dieser für Preußens Entwick­lung und Staatsidee so wichtigen Frömmigkeitsbewegung innerhalb der Kirche. Durch sein Wirken wurde Halle zu einem der wichtigsten Zentren des lutherischen Pietismus. Die „Halleschen Anstalten zur Erziehung der Jugend“ galten zu Franckes Lebzeiten und darüber hinaus als eine der bedeutendsten protestantischen Bildungseinrichtungen Europas. Franckes Ziel war es, die Kinder „zu einer lebendigen Erkenntnis Gottes und Christi und zu einem rechtschaffenen christlichen Tun“ zu führen. Seine Schulen hatten großen Zulauf aus allen gesellschaftlichen Kreisen und sogar aus dem Ausland, repräsentierten sie doch den Kanon der Tugenden, die man bald schon als die preußischen bezeichnete. Mit ihrem vielgliedrigen System wurden sie zum Vorbild für das preußische Schulwesen.

August Hermann Francke entstammte der Oberschicht der reichsunmittelbaren Hansestadt Lübeck. Sein Vater, Johannes Francke, war Syndikus beim Domkapitel des Stifts und der gesamten Landstände des Fürstentums Ratzeburg und seine Mutter Anna, eine Tochter des Lübecker Bürgermeisters David Gloxin. Die Erziehung der sechs überlebenden Kinder des Ehepaares wurde durch den sehr frommen Vater beeinflusst. Dieser erhielt 1666 eine Berufung als Hof- und Justizrat nach Gotha. Er starb bereits 1770.

August Hermann wurde überwiegend privat unterrichtet und auf ein Hochschulstudium vorbereitet. Ab 1679 studierte er in Erfurt, Kiel und Leipzig Philosophie und Theologie. 1684 wurde er Magister der Philosophie, habilitierte sich in Leipzig und begann, an der Paulinerkirche zu predigen. 1687 setzte er seine biblischen Studien mittels einer Familienstiftung in Lüneburg fort.

In dieser Zeit durchlebte Francke eine Glaubenskrise. Möglicherweise wurden seine starken Zweifel durch die von den pietistischen Theologen postulierte Notwendigkeit verstärkt, dass ein Mensch erst durch ein Erweckungserlebnis Gewissheit über die biblischen Wahrheiten erlangen könne. Mit derartigen Auffassungen widersprach der Pietismus der altprotestantischen Orthodoxie. Innerhalb der protestantischen Kirche war aus diesem Grund ein ausgeprägter Richtungsstreit entbrannt.

1687 erlebte Francke in Lüneburg nach seinen eigenen Worten eine geistliche Wiedergeburt und gewann damit einhergehend die von ihm ersehnte Glaubensgewissheit. Als Dozent nach Leipzig zurückgekehrt, hielt er im Anschluss an seine lateinischen Vorlesungen auch Kolloquien in deutscher Sprache für städtische Bürger ab. Da die Frömmigkeitsbewegung anschließend auch Teile der Stadtbevölkerung ergriff, erteilte der Magistrat ihm ein Vorlesungsverbot. Francke wirkte daraufhin als Pfarrer in Erfurt und wurde dort wegen seiner pietistischen Ausrichtung ebenfalls angefeindet und aus der Stadt vertrieben. Durch die Vermittlung des einflussreichen Theologen Philipp Jakob Spener (1635–1705) erhielt er 1691 einen Lehrauftrag für Griechisch und orientalische Sprachen an der neu entstandenen Universität im danals brandenburgischen Halle. 1694 schloss er mit Anna Magdalena von Wurm den Bund der Ehe, aus dem drei Kinder hervorgingen. 1698 wurde er zum Professor ernannt.

Ab 1691 bekleidete August Hermann Francke außerdem das Pfarramt in Glaucha, einem kleinen Ort vor den Toren der Stadt Halle. Mit einer Spende von vier Talern und 16 Groschen eröffnete er 1695 im Pfarrhaus eine Armenschule, ein Waisenhaus und ein Pädagogium als Erziehungs- und Bildungsanstalt für Kinder aus dem Adel und dem reichen Bürgertum. 1697 gründete er die Latina, eine höhere Schule für Knaben aus dem Bürgertum. Damit hatte Francke als ein begnadeter Organisator seine Lebensaufgabe gefunden. Er fuhr fort, nach dem Bibelwort zu handeln, das er zu seinem Motto erklärt hatte: „Die auf den Herren harren, kriegen neue Kraft, dass sie auffahren mit Flügeln wie Adler.“ Dank kurfürstlicher Privilegien und großzügiger Sach- und Geldspenden wurde von 1698 bis 1701 ein für damalige Verhältnisse sehr großes Gebäude als Waisenhaus und Hauptgebäude der Stiftungen errichtet. Wenig später schlossen sich ein Waisenhaus für Mädchen und eine Mädchenschule an. Aus dem Kreis der Studenten, denen ein Freitisch geboten wurde, konnte Francke Lehrer und Mitarbeiter für das immer umfangreichere schulische und soziale Aufgabenfeld gewinnen. Über die Einkünfte aus der angegliederten Buchdruckerei und Buchbinderei, der Buchhandlung sowie einer Apotheke wurde das Waisenhaus finanziert, und es wurden wertvolle Kunst- und Naturaliensammlungen angelegt.

1710 gründete Francke zusammen mit dem preußischen Freiherrn Carl Hildebrand von Canstein die Cansteinsche Bibelanstalt zur Herstellung preiswerter Bibeln. Sie gilt heute als die die älteste Bibelgesellschaft der Welt.

Mit Unterstützung des dänischen Königs förderte Francke zudem die lutherische Mission in Ostindien. Durch Missionare, Lehrer und Ärzte verbreiteten sich die Reformen des Halleschen Pietismus in zahlreichen Ländern. Mit der Zeit waren selbst seine schärfsten Kritiker verstummt. Als August Hermann Francke am 8. Juni 1727 starb, zählte man in seinen Schulen 2200 Kinder, die von 167 Lehrern unterrichtet wurden. In den Waisenhäusern waren 154 Kinder untergebracht, und 250 Studenten erhielten jeden Tag freie Mahlzeiten. Sein Denkmal im Lindenhof der Franckeschen Stiftungen zu Halle trägt die schlichte Inschrift: „Er vertraute Gott.“ D. Jestrzemski

Die meisten Gebäude der Stiftungen überstanden den Zweiten Weltkrieg unbeschadet, verfielen jedoch zur Zeit des Bestehens der DDR; die Stiftungen wurden in Volkseigentum überführt. Die Gebäude verfielen zusehends. 1991/92 begann nach der Wiederbelebung der Stiftungen eine groß angelegte Rettungsaktion zur Sanierung der Gebäude. Gegenwärtig umfasst der Bildungskosmos Franckesche Stiftungen wieder alle Bildungsstufen von der Kinderkrippe bis zur Universität. Als weltweit einzigartige soziale und pädagogische Zweckarchitektur sind die Franckeschen Stiftungen für das Unesco-Weltkulturerbe in Deutschland vorgeschlagen.


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