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30.03.13 / Paris unterschlägt Bedrohung / Studie über Folgekosten eines Atomunfalls verheimlicht

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 13-13 vom 30. März 2013

Paris unterschlägt Bedrohung
Studie über Folgekosten eines Atomunfalls verheimlicht

Rhetorisch war schon einiges an Geschick nötig, um beim französischen Institut für Nuklearsicherheit eine einigermaßen plausibel klingende Erklärung für zwei völlig unterschiedliche Studienergebnisse parat zu haben. Der Öffentlichkeit hatte man eine Studie über zu erwartende Folgekosten eines schweren Nuklearunfalls auf französischem Boden präsentiert und schätzte dabei die Schadenssumme auf 430 Milliarden Euro. Parallel war das „Journal de Dimanche“ allerdings an eine bisher geheim gehaltene Studie des Instituts aus dem Jahr 2007 gelangt, in dem von Schadenssummen in ganz anderen Dimensionen die Rede war.

Das untersuchte Szenario des Gutachtens, das unter Verschluss gehalten worden war, spielte mit der Möglichkeit eines Nuklearunfalls im zentralfranzösischen Kernkraftwerk Dampierre im Département Loiret vom Kaliber des Tschernobyl-Unglücks. Selbst im günstigsten Fall würde ein Gau in diesem Kraftwerk Schäden von 780 Milliarden Euro hinterlassen, was immerhin einem Drittel der Wirtschaftskraft Frankreichs entspricht.

Sollte es allerdings zum schlimmstmöglichen Szenario kommen, dann würden sich die langfristigen Folgekosten zu einer Summe aufaddieren, die sich fast jeder Vorstellungskraft entzieht: insgesamt 5,8 Billionen Euro, so die Berechnungen des Instituts für Nuklearsicherheit. Im Fall von Dampierre müssten bei einem schweren Unfall fünf Millionen Franzosen unmittelbar evakuiert und langfristig umgesiedelt werden. Ausgegangen wird davon, dass bei einem schweren Unglück von den Dimensionen des Tschernobyl-Gaus zwölf Prozent der Fläche Frankreichs entseucht und Böden sogar ausgetauscht werden müssten. Kostenpunkt: 475 Milliarden Euro. Betroffen wäre allerdings nicht nur Frankreich. Je nach Windrichtung wären in Frankreich, aber auch in den Nachbarländern bis zu 90 Millionen Menschen betroffen. Das Gebiet das potenziell mit Cäsium-137 belastet wäre, könnte sich über Belgien, die Niederlande, Großbritannien, die Schweiz, aber auch über den weitaus größten Teil Deutschlands erstrecken. Die geschätzten Schäden für Landwirte, Unternehmen und Umwelt sowie Kosten im Gesundheitssystem, etwa für die mehr als 28000 Krebstoten, die zu befürchten wären: 4,4 Billionen Euro. Ebenso unverblümt wie die Auflistung zu erwartender Schäden ist die Ansage zur Haftung im Fall der Fälle: „Die Betroffenen müssen nicht notwendig entschädigt werden.“ Denn die Schäden würden die finanziellen Möglichkeiten Frankreichs übersteigen, so die Begründung.

Die Quelle der Zahlen ist keines der üblichen alarmistischen Gutachten eines Umweltschutzverbandes, sondern das „Institut de radioprotection et de sûreté nucléaire“ (IRSN), also quasi eine staatliche Einrichtung, der kaum nachgesagt werden kann, Frankreichs Nuklearprogramm ablehnend gegenüber zu stehen. Neben anderen Ressorts ist am Institut auch das Verteidigungsministerium beteiligt. Der Chef des IRSN, Jacques Repussard, hat inzwischen versucht, Vorwürfe zu entkräften, dass politischer Druck auf das Institut ausgeübt wurde, um die zuerst erstellte Studie aus dem Jahr 2007 mit ihren Horror-Zahlen in der Versenkung verschwinden zu lassen. Das bisher geheim gehaltene Gutachten, so seine Erklärung, hätte ein Szenario à la Tschernobyl durchgespielt. Die veröffentlichte Untersuchung, bei der die Kostenschätzung nicht ganz so extrem ausgefallen war, hätte dagegen eine Fukushima-Variante auf französischem Boden zum Thema gehabt. Würde man sämtliche Folgekosten – etwa durch Einbußen beim Tourismus oder durch wegfallende Exporte – berücksichtigen, würde man auch bei der Untersuchung, die ganz offiziell veröffentlicht wurde, letztendlich auf Gesamtkosten von einer Billion Euro kommen. Eine Schadenssumme in dieser Höhe wird dem IRSN-Chef zufolge langfristig auch Japan durch die Fukushima-Katastrophe zu schultern haben. Folgeschäden für Landwirtschaft, Tourismus und Krebserkrankungen in der japanischen Bevölkerung seien nämlich derzeit noch nicht voll absehbar.

Dass die bisher unter Verschluss gehaltenen Berechnungen aus dem Jahr 2007 anscheinend von Insidern an die französische Presse weitergereicht wurden, könnte ein Zeichen dafür sein, dass hinter den Kulissen des französischen Nuklearsektors ein handfester Streit ausgebrochen ist. Weltweit wurde das Unglück von Fukushima zum Anlass genommen, um die Sicherheit der eigenen Anlagen zu überprüfen und Gefahren einzuschätzen. In Frankreich könnte es mittlerweile darum gehen, was ein Mehr an Sicherheit bei den immerhin 58 französischen Reaktoren am Ende Kosten darf. Norman Hanert


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