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30.03.13 / Der »moderne« Unterricht hat versagt

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 13-13 vom 30. März 2013

Gastbeitrag
Der »moderne« Unterricht hat versagt
von Josef Kraus

Deutschland ist das Land der Dichter, der Denker und der großen Pädagogen. Wirklich? Besser würde man sagen: Deutschland war das Land der Dichter, der Denker und der großen Pädagogen. Bleiben wir bei der Pädagogik: Hier gilt in Deutschland mittlerweile eine Erkenntnis nur noch, wenn sie von irgendwoher aus dem Ausland oder aus der OECD kommt. Siehe das OECD-Produkt Pisa!

Mit der Unterrichtsforschung ist es genauso. Was Hunderttausende von Lehrern, was Millionen von Schülern in Deutschland am eigenen Leib erfahren haben und was seit gut zwei Jahrzehnten von deutschen Unterrichtsforschern einmütig immer wieder bestätigt wird, hat die „moderne“ Schulpädagogik nicht gekratzt. Munter wurde der Unterricht in beflissenen Reformkreisen zur offenen Selbsterfahrungsgruppe deformiert, damit unter dem Strich abgeschafft und der Lehrer de facto überflüssig gemacht beziehungsweise zum Moderator, Gemeinwesenarbeiter oder Sozialagenten „befördert“. „Erziehungswissenschaftler“ marschierten voran, und Schulminister hechelten hinterher. Frontalunterricht? Igittigitt! Mindestens präfaschistoid! So hatte noch Ende der 1990er Jahre ein Soziologieprofessor namens Oskar Negt argumentiert: „Man kann nicht über den Faschismus in einem autoritären Klima unterrichten, das heißt im Frontalunterricht und entlang operationalisierter Lernziele, ohne Schüler latent zu faschisieren.“

Nun haben Unterrichtsforscher aus Neuseeland und aus Israel dieser Ideologie und so manch anderen „kindzentrierten“ unterrichtspädagogischen Luftschlössern ein Ende bereitet. Hoffentlich auf Dauer!

Noch kein Jahr ist es her, dass eine bis dato im deutschsprachigen Raum kaum bekannt gewordene Unterrichtsstudie der „Hebrew University of Jerusalem“ aus dem Jahr 2011 zu dem Schluss kam, dass Schüler durch zwei Unterrichtsverfahren besonders gefördert würden: Zum einen hätten Schüler vor allem Nutzen von der eher als „traditionell“, eventuell sogar als „altmodisch“ geltenden Unterrichtsmethode. Das ist die Methode, bei der Lehrer viel Wert auf Verstehen, Wiederholung und Übung legen. Hier kommt hinzu, dass diese Methode gerade Schülern mit einem sogenannten bildungsfernen Hintergrund viel hilft. Zum anderen schneiden Schüler dann bei Prüfungen beziehungsweise Tests gut ab, wenn der Unterricht das analytische und kritische Denken fördert. Demgegenüber fanden die Unterrichtsforscher um Professor Victor Lavy keine Belege dafür, dass die Schüler durch selbstständiges Lernen, zum Beispiel in Gruppen, überdurchschnittliche Lerngewinne hätten.

Grundlage der Studie war eine Schülerstichprobe, die man im Jahr 2002 in der fünften und 2005 noch einmal in der achten Klassenstufe getestet hatte. Den Unterrichtsverlauf bewertete das Forscherteam anhand von 29 Kriterien. Die Forscher um Victor Lavy zogen aus ihrer Studie den Schluss, dass eine Mischung aus sogenanntem Frontalunterricht und aus der Förderung des analytischen sowie kritischen Denkens am besten in der Lage sei, gute unterrichtliche Ergebnisse zu erbringen. Der Wirtschaftswissenschaftler Lavy wies zugleich darauf hin, dass die positiven Auswirkungen der von ihm beschriebenen effektiven Unterrichtsmethoden größer seien als etwa die Verkleinerung der Klassenstärke.

Noch überzeugender, weil auf viele weltweit vorliegende Unterrichtsstudien rekurrierend, ist nun die sogenannte Hattie-Studie, datiert bereits auf das Jahr 2008, auch in Deutschland. John Hattie ist Neuseeländer und Bildungsforscher an der University of Melbourne. 2008 hat er ein Buch mit dem Titel „Visible Learning“ (sinngemäß: Sichtbare Lernvorgänge) geschrieben. Im Kern geht es Hattie auf der Basis einer Auswertung von weltweit 800 Metaanalysen und – darin enthalten – von mehr als 50000 Einzelstudien um die Frage, was guter Unterricht sei.

Die Ergebnisse dieser Auswertung sind für jeden halbwegs bodenständigen Lehrer alles andere als überraschend. Aber es ist dennoch gut, dass es diese Studie gibt. Nach Hattie sind nämlich folgende Merkmale unterrichtliche Erfolgsfaktoren: kontinuierliche Leistungsüberprüfungen, Zusatzangebote für starke und für schwache Schüler, Programme zur Leseförderung, Lehrerfeedback, ein vertrauensvolles Verhältnis zwischen Lehrern und Schülern – und: der lehrergeleitete Unterricht mit einer stringenten Führung der Klasse und damit einem zuerst einmal fachlich souveränen Lehrer. Ein guter Lehrer, so Hattie, sollte sich auch nicht viel mit unwichtigen Dingen aufhalten, sondern schnell erkennen, wann er auf eine Störung mit Strenge und wann mit Humor reagieren soll. Jedenfalls verwahrt sich Hattie dagegen, den Lehrer im Unterricht zu marginalisieren. Dass Finnland bei Pisa so gut und manche deutsche Länder so miserabel abgeschnitten haben, hat zwar auch mit dem äußerst geringen Migrantenanteil finnischer Schulen zu tun; es hat aber auch damit zu tun, dass finnische Schulen einen Hattie’schen Unterricht praktizieren und manch deutsche Länder den Unterricht reformpädagogisch aufgemotzt haben.

Überhaupt dürfte Hattie für Reformpädagogen mit deren Visionen vom offenen schülerzentrierten Unterricht, von Frei-, Partner-, Gruppen-, Stationen- und Projektarbeit ein rotes Tuch sein. Aber es wird höchste Zeit, dass diese Illusionen zertrümmert werden. Wie erfolgreicher Unterricht aussieht, dazu muss man freilich nicht nach Melbourne oder Jerusalem reisen und Hattie oder Lavy interviewen, das wussten wir in Deutschland schon lange, ohne dass es allerdings in die Kreise vorgedrungen wäre, die den bildungspolitischen und pädagogischen Ton angeben.

Leisten wir uns einen Blick zurück in die 1990er Jahre, in denen sich erstmals auch empirisch das Desaster mancher Schulpolitik und Unterrichtspädagogik kundtat. Der Lüneburger Erziehungswissenschaftler Dieter Neumann hatte sich damals gerade hinsichtlich des Unterrichts gegen eine Schule „vom Kinde aus“ gewandt, weil eine solche Schule das Kind überschätze und weil die Vorstellung, Lernen könnte immer den Charakter des Leichten, Spielerischen und Unzwanghaften aufweisen, eine „wirklichkeitsfremde Utopie“ sei. Eine Ikone oder ein Kultbild „Kind“ also Maßstab für Unterrichtsgeschehen? Das wäre der falsche Weg, weil er außer einer Sentimentalisierung der Kindheit nichts bringe. Man hätte auch den Züricher Erziehungswissenschaftler Oelkers ernst nehmen müssen, der gewarnt hatte: „Die Fetischisierung des Kindes in der modernen Pädagogik ist genau die Grenze, die nicht überschritten werden darf.“ Ernst nehmen hätte man auch die Engländer sollen, die das romantisierende Verständnis von „child centered learning“ damals für gescheitert erklärt hatten. Was Kinder ansonsten von kindzentriertem und schülerorientiertem Aktionismus halten und wie sehr sie sich am Ende damit langweilen, bringen sie in der ihnen eigenen Offenheit auf den Punkt. Der Schülerspruch „Müssen wir heute wieder tun, was wir wollen, oder dürfen wir heute, was wir sollen?“ könnte wahr sein!

Auch die sozial Bewegten sollten die vernichtenden Urteile der Forschung zum reformpädagogischen Unterricht zur Kenntnis nehmen. Schließlich ist ein solcher „Unterricht“ ineffizient im Hinblick auf schwächere Schüler. Gerade diese benötigen die genaue Anleitung des Lehrers.

Der Autor ist Vorsitzender des Deutschen Lehrerverbands und Leiter eines Gymnasiums bei Landshut.


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