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30.03.13 / Mit belgischem Akzent erbaut / Weimar hat viele Dichter und mindestens einen berühmten Architekten: Henry van de Velde, der vor 150 Jahren geboren wurde

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 13-13 vom 30. März 2013

Mit belgischem Akzent erbaut
Weimar hat viele Dichter und mindestens einen berühmten Architekten: Henry van de Velde, der vor 150 Jahren geboren wurde

In Weimar gibt es nahezu jährlich einen Titanen zu feiern. Diesmal hat man das „Van-de-Velde-Jahr“ ausgerufen. Der Architekt hat dort viele Jugendstil-Spuren hinterlassen, die man bei einem Spaziergang verfolgen kann.

Für den belgischen Jugendstilkünstler Henry van de Velde stand fest, dass nur eine schön gestaltete Umwelt das Leben lebenswert macht. Daran arbeitete er als Produktgestalter und Architekt. Seine künstlerisch besten Jahre verbrachte er in Weimar, das er 1901 erstmals besuchte. Später erinnerte er sich: „Als ich die Stufen des Bahnhofs in Weimar hinabstieg, empfand ich die Bewegung aller jener Intellektuellen, die wie ich zum ersten Male den heiligen Boden Ilm-Athens berührten. Während aber seit fast einem Jahrhundert Goethe das Ziel der Pilgerfahrten war, galt mein Kult einem anderen Titanen“: dem Philosophen Friedrich Nietzsche. Dass van de Velde mit seinem Schaffen selbst einmal das Ziel von Pilgerfahrten gen Weimar werden würde, hätte er sich wohl selbst nicht träumen lassen.

Anlässlich des 150. Geburtstages des Belgiers hat Thüringen das „van de Velde-Jahr“ ausgerufen und ihn ob seiner Vielseitigkeit zum „Alleskünstler“ erklärt. Der am 3. April 1863 in Antwerpen geborene und am 25. Ok-tober 1957 in Zürich gestorbene van de Velde entwarf Gebäude mitsamt der Einrichtung bis hin zu den Nägeln für die Bilder. Seine auf Funktionstüchtigkeit ausgerichtete Formgebung erwächst aus der so elegant wie kraftvoll geschwungenen Linie.

Großherzog Ernst Wilhelm von Sachsen-Weimar-Eisenach berief Henry van de Velde 1902 nach Weimar. Er sollte durch Rat und Tat die kunsthandwerkliche und industrielle Produktion Thüringens auf internationales Niveau heben. Zudem war er Direktor der 1908 eröffneten Kunstgewerbeschule. Den Einheimischen war dieser Alleskünstler nicht ganz geheuer: „Es war mir unangenehm, als ein Star, als ein Zauberer, gewissermaßen als ein Clown betrachtet zu werden“, beklagte sich van de Velde.

Nach Ausbruch des Ersten Weltkrieges galt er gar als „feindlicher Ausländer“. Erst 1917 durfte er ins Schweizer Exil ausreisen. Trotz aller Widrigkeiten vollbrachte er während seiner Weimarer Jahre „einen Großteil seiner glanzvollsten Leistungen, die heute seinen weltweiten Ruhm ausmachen“, wie der van-de- Velde-Spezialist Thomas Föhl betont. Davon kann man sich in Sonderausstellungen und auf Stadtführungen überzeugen. Nirgends sonst gibt es mehr Bauwerke van de Veldes als in Weimar.

Der von Studenten geleitete Van-de-Velde-Spaziergang führt zum heutigen Hauptgebäude der Bauhaus-Universität und dem sogenannten „Winkelbau“. Sie wurden nach Entwürfen des Alles­künstlers 1904 bis 1911 errichtet und gehören seit 1996 zum Unesco-Weltkulturerbe. Wuchtig ragt das jetzt als Rektorat und durch die Fakultät der Architektur genutzte Hauptgebäude vor uns auf. Dieser mit enorm großen Fensterflächen ausgestattete „gelbe Riese“ beherbergte früher die Großherzogliche Kunstschule und war 1919 Gründungsort des legendären Bauhauses. Im Inneren zieht die so imposante wie fotogene Haupttreppe alle Blicke auf sich zieht. In ovalen Rundungen schraubt sie sich in die Höhe.

Im Oberlichtsaal wird vom 29. März an der „Architekt Henry van de Velde“ vorgestellt. Besonderer Reiz der Schau: Man be­kommt virtuellen Zutritt zu nie errichteten oder nicht mehr existierenden Gebäuden sowie zu solchen, die nicht von innen be­sichtigt werden können. Zu letzteren gehören die in Weimar stehenden Bauwerke Haus Hen­neberg und Palais Dürck­heim.

Im Vergleich zum majestätischen Hauptgebäude wirkt der gegenüber liegende „Winkelbau“ schmächtig. Das heute von der Fakultät Gestaltung genutzte Gebäude wurde für van de Veldes Kunstgewerbeschule erbaut. Höhepunkt seines Äußeren ist ein hufeisenförmiger Giebel. Dahinter erstreckte sich das Privatatelier des Künstlers. Der Haupteingang des Gebäudes befindet sich dort, wo seine beiden rechtwinklig zueinander angeordneten Flügel aufeinander treffen.

Henry van de Velde war auf Vorschlag von Elisabeth Förster-Nietzsche nach Weimar berufen worden. Sie hatte sich 1897 mit ihrem Bruder, dem damals bereits geistig umnachteten Philosophen Friedrich Nietzsche, in einer Villa niedergelassen, die so heißt wie der Hügel, auf dem sie steht: „Silberblick“. In ihr wurde das Nietzsche-Archiv eröffnet.

Die Hausherrin beauftragte van de Velde 1902 mit der Neugestaltung des Portals, Vestibüls und Erdgeschosses. Das als Museum zugängliche Parterre ist die einzige Raumschöpfung des Belgiers in Deutschland, die nie verändert worden ist. Die Holzeinbauten, die zierlichen Möbel, die wuchtigen Öfen und selbst die Vasen hat der Künstler entworfen. Eine prominente Ausnahme ist die von Max Klinger für den Bibliotheksraum geschaffene überlebensgroße Porträtbüste des Philosophen.

Sein selbst entworfenes Eigenheim bezog Henry van de Velde mit seiner Gattin Maria und den fünf Kindern im Jahr 1908 an der Belvederer Allee. Es wurde unter dem Namen „Haus Hohe Pappeln“ bekannt. Van de Velde erinnerte sich, wie es zu dem Namen kam: „Ich habe ihn oft aus dem Mund erstaunter und auch schockierter Spaziergänger ge­hört, die sich über seine ungewohnte architektonische Form aufregten.“

Es ist fürwahr ein merkwürdiges Bauwerk. Denn statt sich auf die üblichen vier Schauseiten zu be­schränken, vermittelt es durch seine vor- und zurückspringen­den Bauteilen beim Umschreiten ständig neue Eindrücke. Mit seinem Bruchsteinmauerwerk und dem wie ein Schutzhelm tief herabgezogenen Dach sieht es wie eine Miniaturfestung aus.

Öffentlich zu­gänglich sind Garten und Hochparterre mit Wohndiele, Ar­beitszimmer, Sa­lon und Speisezim­mer. Die Schlafräume der Familie befanden sich im ersten Obergeschoss. Sie sind sehr klein, wie Thomas Föhl verrät. Er muss es wissen, denn er wohnt in ihnen.

Thomas Föhl hat die wichtigste Ausstellung des „Van-de-Velde-Jahres“ erarbeitet. Sie heißt „Leidenschaft, Funktion und Schönheit“, wird am 24. März in Weimars Neuem Museum eröffnet und präsentiert Beispiele aus allen Gattungen und Schaffensphasen des Künstlers: Gemälde, Möbel, Schmuck, Bestecke, Lampen, Kleider, Stoffe, Keramik, Buchkunst, Tapeten, Architektur sowie Inneneinrichtungen von Passagierschiffen und Eisenbahnabteilen. Veit-Mario Thiede


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