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© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 13-13 vom 30. März 2013
Watschen statt Applaus Für den 31. März 1913 lud der Akademische Verband für Literatur und Musik zu einem Konzert im Musikvereinssaal in Wien ein. Es spielte das Orchester des Konzertvereins unter Leitung von Arnold Schönberg. Ein Teil der Texte und die neuartige Musik empfand das Publikum als Provokation, so dass die Veranstaltung in wüsten Beschimpfungen und einer Schlägerei endete, als Schönbergs Anhänger ihn gegen dessen Gegner und Befürworter der tonalen Musikrichtung, den Operettenkomponisten Oscar Straus, verteidigten. Bereits bei der Uraufführung von Schönbergs atonaler Komposition „Dreimal sieben Gedichte aus Albert Girauds Pierrot lunaire“ im Oktober 1912 gab es beleidigende Zwischenrufe. Zu derartigen Szenen wie am Abend des 31. März war es aber nach Schilderung der zeitgenössischen Presse noch nie gekommen. Bereits während der ersten Nummern, Anton von Weberns „Sechs Stücke für Orchester“ und Alexander von Zemlinskys „Vier Orchesterlieder nach Gedichten von Maeterlinck, wurde es unruhig. Einige lachten, andere applaudierten. Das setzte sich bei Schönbergs „Kammersymphonie“ fort und steigerte sich zu Pfiffen und Beschimpfungen. Der Lärm verstummte kurzzeitig, als Alban Bergs „Fünf Orchesterlieder nach Ansichtskarten von Peter Altenberg“ an die Reihe kam, um aber dann erneut mit voller Wucht loszubrechen. Nach dem zweiten Lied sah sich Schönberg vom Hohngelächter dazu gezwungen, am Pult abzuklopfen und um Ruhe zu bitten. Zwar setzte der Tenor Alfred Boruttau wieder ein, aber es ging mit den Pfui-Rufen und Pfiffen weiter, im Publikum gab es gegenseitige Beschimpfungen. Schönberg schrie, dass er Ruhestörer unter Anwendung von Gewalt abführen lassen werde. Damit erreichte er genau das Gegenteil. Ohrfeigen, die sogenannten Watschen, und Rangeleien sollen kein seltener Anblick gewesen sein. Anton von Webern forderte aus seiner Loge heraus, dass man das Gesindel entfernen sollte. Wo-raufhin die Antwort kam, dass die Anhänger der freien Tonart in die Irrenanstalt gehörten. Vor den geplanten „Kindertotenliedern“ Gustav Mahlers musste das „Watschenkonzert“ endgültig abgebrochen werden. Die „Reichspost“ berichtete „Ein Herr war nun so unvorsichtig, das Benehmen des Veranstalters und das wüste Treiben der jugendlichen Demonstranten als ,lausbübisch‘ zu bezeichnen, worauf eben dieser Präsident herabsprang und dem Herrn eine Ohrfeige versetzte, so dass dessen Zwicker herabfiel.“ Um die erregten Gruppen zu trennen, wurden schließlich die Lichter gelöscht. Die Neue Musik der Wiener Schule Arnold Schönbergs und seiner Schüler von Webern und Berg dürfte nicht der einzige Grund für die Handgreiflichkeiten gewesen sein. Der Lyriker und Theaterkritiker Edmund Wengraf beschrieb das damalige Wiener Theaterpublikum als eines der gefürchtetsten der Welt, „wegen seiner Blasiertheit, wegen der anspruchsvollen Lässigkeit mit der es dasitzt und unterhalten sein will, ohne seinerseits hierzu mit der allermindesten Anstrengung beizutragen. Man sitzt im Theater wie im Kaffeehaus.“ Alban Berg empfand trotz der Tumulte zunächst nur „das Glück über Ihre Aufführung meiner Lieder“, wie er Schönberg später per Postkarte mitteilte. Das erste handfeste Skandalkonzert der Geschichte hat beider Ruhm ohnehin mehr genützt als geschadet. Ulrich Blode |
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