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06.04.13 / Schneller als der Schall / Die deutsche VJ 101C war der erste Senkrechtstarter, der auf über Mach 1 beschleunigte – Erster Schwebeflug vor 50 Jahren

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 14-13 vom 06. April 2013

Schneller als der Schall
Die deutsche VJ 101C war der erste Senkrechtstarter, der auf über Mach 1 beschleunigte – Erster Schwebeflug vor 50 Jahren

Senkrechtstartende Flugzeuge sind bis heute Exoten. Dabei sah es einmal so aus, als wären Flugzeuge, die keine Landebahn zum Start benötigen, der nächste logische Schritt in der technischen Entwick­lung. Ab Mitte der 50er Jahre arbeiteten alle großen Luftfahrtländer an Projekten für Kampfjets, die senkrecht starten und landen konnten. In der Bundesrepublik Deutschland entstand der Überschalljäger VJ 101, der am 10. April 1963 zu seinem ersten freien Schwebeflug aufstieg.

Diesem Meilenstein war bereits eine längere Entwicklung voraus gegangen. 1956 hatten sich Vertreter des Bundesverteidigungsministeriums, der Luftwaffe und der Industrie zu einem Gespräch über die künftige deutsche Luftrüstung getroffen. Bei diesem Gespräch vereinbarten sie die Entwicklung eines Überschalljägers mit kurzen Start- und Landestrecken sowie hoher Steig­leistung. Neben Heinkel und Messerschmitt beteiligte sich die neu gegründete Bölkow-Entwick­lungs-KG mit einem Entwurf. 1957 forderte dann die Bun-deswehr einen Senkrechtstarter.

Für den Kriegsfall rechnete das Militär damals mit einem Überraschungsangriff des Warschauer Paktes auf die Flugplätze des Nordatlantikpaktes in der Bundesrepublik. In England begann die Entwicklung des „Harrier“, und auch Frankreich und Italien brachten eigene Projekte auf den Weg.

1958 setzte der damalige Verteidigungsminister Franz-Josef Strau8 durch, dass die drei Firmen unter dem Dach des Entwicklungsringes Süd (EWR) einen gemeinsamen Entwurf ausarbeiteten. Aus zwei eigenen Designs wurde die VJ (VJ steht für „Versuchs-Jagdflugzeug“) 101C. Den Antrieb lieferten vier Haupttriebwerke, von denen jeweils zwei in schwenkbaren Gondeln an den Flächenenden saßen. Hubtriebwerke im Rumpf unterstützten Start und Landung. Die VJ 101 C war ein knapp 15 Meter langer und maximal sieben Tonnen schwerer Jet, der im Geradeausflug Mach 1, also rund 1200 Kilometer pro Stunde, erreichen konnte.

Für den Schwebeflug sowie für das Beschleunigen in den Geradeausflug und das Verzögern kurz vor der Landung musste eine völlig neue Regeltechnik entwickelt werden. Und auch die fliegerische Handhabung erforderte neue Verfahren. Zudem mussten Wege gefunden werden, um die Rezirkulation, bei der die Triebwerke ihre eigenen Abgase ansaugen und ausfallen, zu verhindern. Dafür bauten die Entwickler zunächst ein Schwebegestell. Ab Mai 1960 begannen erst Tests an einer Teleskop-Aufhängung, dann im freien Flug bis in Höhen um 20 Metern.

Im Herbst 1962 war die erste VJ 101C, die X1, fertig. Auch sie wurde anfangs an einer Teleskop-Aufhängung erprobt. Auf den ersten Schwebeflug am 10. April 1963 folgte im August ein erster konventioneller Flug und darauf am 8. Oktober der erste Senkrechtstart. Am 29. Juli 1964 flog die X1 als erster Senkrechtstarter überhaupt schneller als Mach 1. Allerdings stürzte sie im September 1964 ab; der Pilot konnte sich mit dem Schleudersitz retten. Grund für den Absturz war ein falsch eingestellter Regler.

Im Juni 1965 nahm die X2 ihre Testflüge auf. Sie verfügte über Nachbrenner, zusätzliche Treibstofftanks und eine elektronische Flugsteuerung.

Allerdings war die VJ 101C keineswegs ein ausgereiftes Flugzeug. „Sie war eindeutig untermotorisiert“, sagte Testpilot Hansfriedrich Rammersee gegenüber der Zeitschrift „Fliegerrevue Extra“. „Um etwa Geschwindigkeiten über Mach 1,5 zu erreichen, fehlten am Ende ein paar tausend Pfund Schub.“ Auch die Flugdauer bezeichnete er als ungenügend. Bis zum vollwertigen Kampfflugzeug wäre es noch ein weiter Weg gewesen.

Der Jagdbomber VJ 101D blieb eine Studie. Das politische Umfeld hatte sich mittlerweile geändert. Die Nato war zur abgestuften Vergeltung, der „flexible response“ übergegangen, was zu einer anderen Aufgabenstellung für die Bundeswehr führte. Sie sollte nun starke, auch nuklear bestückte Jagdbomberkräfte unterhalten. Die Luftverteidigung und die Wahrung der Lufthoheit blieben bis zur Wiedervereinigung Aufgabe der Verbündeten. Wenn der überschallschnelle Senkrechtstarter auch nie in Serie ging, so hatte doch andererseits die deutsche Luftfahrtindustrie mit dem Versuchs-Jäger wieder Neuland beschritten und so die Grundlagen für ihre späteren Erfolge gelegt. Friedrich List


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