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06.04.13 / Aus dem Vergessensein geholt: Gutti Alsen / Novellen der Königsberger Autorin erschienen

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 14-13 vom 06. April 2013

Aus dem Vergessensein geholt: Gutti Alsen
Novellen der Königsberger Autorin erschienen

Sie gehörte zu den Vergessenen, die Schriftstellerin Gutti Alsen aus Königsberg. Ihre Arbeiten sind in keiner Anthologie ostdeutscher Dichtung zu finden, ihr Name ist in keinem greifbaren Literaturverzeichnis vermerkt. Und doch hat der Berliner Literaturwissenschaftler Dr. Martin A. Völker Spuren gefunden, die zu dieser eigenwilligen Künstlerin führen, die einmal das geistige Leben Königsbergs mit ihren literarischen Nachmittagen mitbestimmte und sich als Novellistin in die deutsche Literatur der 20er Jahre einschrieb. Gutti Alsen war ihr Künstlername, ihr wirklicher Name lautete Gustave, und sie entstammte der angesehenen Königsberger Familie Aschkanasy. Ein bekannter Mediziner und ein nicht minder prominenter Strafverteidiger waren ihre Brüder. Von ihrem Leben außerhalb der literarischen Präsenz weiß man wenig – es gibt anscheinend kein Foto, kaum persönliche Daten –, aber es gewinnt Konturen in ihren Arbeiten, in die sie ihre eigenen Empfindungen und Sehnsüchte mit einbringt. Herr Dr. Völker, der sich unentwegt bemüht – auch mit Hilfe unserer Ostpreußischen Familie – die Werke fast oder gänzlich vergessener ostpreußische Autoren aufzuspüren, hat nach der Novelle „Hugo von Brandenburg“ von Axel Lübbe und dem Novellenband der Katarina Botsky nun auch den Alsen-Band „Einsamkeitswandern“ herausgebracht. Er schreibt dazu: „Mit wenigen Worten versteht es Gutti Alsen, dem Unscheinbaren, Übersehenen, Ausgeblendeten Kontur, Farbe und Bewegung zu verleihen. Mit malender Feder zeigt sie die farbenreich schillernden wie böse funkelnden Facetten der lichtarmen Welt und des Unterbewusstseins.“ Schon diesen Worten ist zu entnehmen, wie schwer es ist, unseren literarisch interessierten Leserinnen und Lesern einen Einblick in das Schaffen der Gutti Alsen zu geben, sozusagen als Leseprobe. Ich versuche es trotzdem mit einem Ausschnitt aus ihrer Novelle „Augen im Dunkeln“:

„Der Aprilwind wandert über die buckligen Straßen der Altstadt und trägt Frische und Feuchte – ein Vorfrühlingsahnen – hinein. Hier, in den schmalen Gassen, die hurtig bergan und bergab setzen, füllt bereits Grauheit des Abends den knappen Raum zwischen den Häuserfronten. Menschen wimmeln und drängen durcheinander, als wolle mit Tagesende niemand mehr eine Minute seiner kostbaren Lebenszeit vergeuden. Ein nasser Nebel steigt auf und macht die einfallende Dämmerung zur feigen Nacht. Und gegen ihren Willen müssen die Eilenden den Schritt verlangsamen, wollen sie nicht in Gefahr kommen, überrannt und angestoßen zu werden. Dicht vor uns geht, gemacher noch als die anderen, ein schlanker Herr, den Hund an der Leine. Ein eigenwilliges Tier, wie mir scheint. Bald steht er still, bald zerrt er an der Schnur, dass sein Gebieter innehält und weitergeht nach seinem Geheiß. An einem Straßenübergang, da Lastfuhren und Gefährte aller Art, im Nebel halb verschwimmend, sich kreuzen, springt er zwei Schritte rückwärts. Sein Herr mit ihm. Und wie ich nun, durch das Verkehrshemmnis bedingt, an ihre Seite trete, verstehe ich … Und folge ihnen … Wie die behutsamste Mutterliebe ein Kind leitet der Hund seinen Herrn an allen Hindernissen vorbei, durch alle Fährnisse hindurch. Hemmt den Schritt, wo es erforderlich ist. Läuft wenn es nottut. Denn die Augen seines Herrn schauen unverrückbar und tot geradeaus. Die Augen des Hundes aber springen durch die mit Nebel und Finster verhängten Gassen, erspähen jede gute Gelegenheit, jede Gefahr. Von Zeit zu Zeit nur, im Weitergehen, wendet das Tier den Kopf, und seine Augen suchen traurig den Gefährten seines Weges, bleiben hingebend auf ihm haften, ungesehen von dem Empfänger, von dem Besitzer so treuer Neigung …“

Es ist diese bis in die letzte Regung verfolgte Wahrnehmung der Gefühle, die Gutti Alsen beherrscht und die sie zu der ihr eigenen Wortgestaltung führt. Man kann schon verstehen, dass Dr. Völker von ihren literarischen Arbeiten so angetan war, dass er dieses Bändchen unbedingt herausbringen wollte.

Auch einem Königsberger, der einmal die damalige Literaturszene maßgeblich bestimmte, erging es so: Es war der Schriftsteller und Dramaturg Martin A. Borrmann, der nach dem Tod der Künstlerin im Mai 1929 ihre nachgelassenen Werke in dem Sammelband „Geschichten von dunkeln Lieben“ herausgab. Aus diesem Nachlass konnte Dr. Völker den Novellenband zusammenstellen, der so langsam die von ihm herausgegebenen Werke der – nun nicht mehr vergessenen – ostpreußischen Literaten zu einer Reihe wachsen lässt. Das bestätigt er in seinem Begleitbrief: „Ich bin sehr zuversichtlich, dass weitere Bücher mit Texten ostpreußischer Autoren folgen werden“. Wir freuen uns darauf! (Gutti Alsen: „Einsamkeitswandern“, Hochroth Verlag, Leipzig 2013, 26 Seiten, 6 Euro, ISBN 978-3-902871-17-6.) R.G.


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