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13.04.13 / Schiffbruch mit Eheweib / Deutsche Maler des Symbolismus in Bielefeld entschlüsselt – was sich hinter den geheimnisvoll mytholgischen Bildmotiven verbirgt

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 15-13 vom 13. April 2013

Schiffbruch mit Eheweib
Deutsche Maler des Symbolismus in Bielefeld entschlüsselt – was sich hinter den geheimnisvoll mytholgischen Bildmotiven verbirgt

Der heute etwas aus dem Blick geratene deutsche Symbolismus galt um 1900 als der Inbegriff des modernen Kunstschaffens. Diese realistische Malerei in für damalige Sehgewohnheiten ungewöhnlich bunter Farbgebung beschwört mythologische und märchenhafte Bildwelten, die die Aura des Geheimnisvollen und Unergründlichen umgibt. Die Kunsthalle Bielefeld präsentiert jetzt noch bis zum 7. Juli 150 Werke des Symbolismus, vor allem Gemälde, aber auch Druckgrafik sowie Skulp­turen, die von 32 Künstlern ge­schaffen wurden.

Viele Gemälde beschwören das Ideal der Harmonie des Menschen mit der Natur. Eines der schönsten Beispiele ist der „Frühlingsreigen“ (um 1910), den Franz von Stuck gemalt hat. Vier junge Frauen tanzen so ausgelassen auf einer Blumenwiese, dass ihre dezent durchsichtigen Gewänder flattern. Als Verkörperungen der vier Tages- wie der vier Jahreszeiten versinnbildlichen sie den ewigen Kreislauf des Lebens und der Natur.

Mit der fröhlichen Ausgelassenheit ist es hingegen auf Lovis Corinths Gemälde „Heimkehrende Bacchanten“ (1898) längst vorbei. Im rosigen Morgengrauen nach durchzechter Nacht wird getorkelt und gelallt. Hinter einem Musikanten und einem Eselsreiter wankt ein Trio: Zwei Frauen haben einen besoffenen Dicken in die Mitte genommen. Mit der einen hält er Händchen, die andere packt er an die Brust. Obwohl alle nackt und angeheitert wie die Gefolgschaft des antiken Weingottes Bacchus sind, nimmt man ihnen die mythologische Verbrämung nicht ab. Vielmehr hält man sie für Zeitgenossen Corinths, die maßlos über die Stränge geschlagen haben.

Kuratorin Jutta Hülsewig-Johnen verallgemeinert: „Hier geht es um die eigene wilde, ungezügelte und deshalb gefährliche Triebnatur des Menschen selbst.“ Aber auch die edle Gesittung des Menschen kommt zu ihrem Recht, wie etwa Hans Thomas „Wächter vor dem Liebesgarten“ (1890) be­weist. Weder der junge Mann in Ritterrüstung noch der seitlich hinter ihm liegende Löwe scheinen Interessenten am Betreten des Liebesgartens hindern zu wollen. Der Ritter blickt verträumt zur Seite – und die Raubkatze schaut uns freundlich an. Hinter ihnen geben sich Kinder sowie junge Männer und Frauen friedlicher Gelassenheit hin. Der Liebesgarten ist Schauplatz eines Familienidylls.

Dass aber letztlich nicht die Liebe, sondern die Todesgewissheit das menschliche Leben bestimmt, zeigt Thomas Gemälde „Selbstbildnis mit Amor und Tod“ (1875). Der Maler lauscht aufmerksam den Einflüsterungen des als Skelett neben ihm stehenden Todes. Den kleinen Liebesgott Amor, der ihn neckisch am Haar zupft, beachtet er nicht. Tod und Sinnenkitzel haben die Maler zu packenden Bildern angeregt. Arnold Böcklin hat sie im Gemälde „Sirenen“ (1875) zur Groteske mit komischem Einschlag vereint. Die Sirenen, Frauen mit dem Unterleib von Vögeln, sind in der antiken Sagenwelt als Wesen verrufen, die mit ihrem betörenden Gesang Seefahrer anlocken, um sie zu töten.

Auf Böcklins Gemälde hält ein Segelschiff aufs Meeresufer zu. Die Besatzung scheint unwiderstehlich von den Klängen einer schlanken Sängerin und einer fülligen Flötenspielerin angezogen zu werden, denen ein Felsbrocken als Brüstung dient. Wir aber sehen hinter die Kulissen und erblicken, was den Seeleuten noch verborgen bleibt: den abstoßenden tierischen Unterleib der Sirenen. Geradezu bieder bürgerlichem Schönheitssinn scheint geschuldet, dass die beiden Ungeheuer die Schädel dreier menschlicher Opfer sorgfältig zu einem Stillleben arrangiert haben. Warnt Böcklin hier etwa vor Schiffbruch mit Eheweib?

Kuratorin Hülsewig-Johnen verrät: „Das teuflische, lasterhafte Weib ist ein zentrales Motiv des Symbolismus.“ Franz von Stuck hat ihm das Gemälde „Die Sünde“ (1899) gewidmet. Aus bräunlicher Dunkelheit stechen Körperpartien einer nackt auf dem Bauch liegenden Frau hervor. Sie wird von einer schwarzen Schlange umwunden – und scheint das sehr zu genießen. Beglückt lächelnd schmiegt sie ihr Haupt an den Schlangenkopf. Die Schlange aber fixiert uns aus giftig grünen Augen. Die ursprüngliche Fassung des Gemäldes war 1893 auf der Münchener Secessions-Ausstellung ein Skandal-erfolg, den die Jury mit einer Auszeichnung belohnen wollte. Doch das wusste der sittlich entrüstete Kaiser Wilhelm II. zu verhindern.

Der schwülstig düsteren Lüs­ternheit Franz von Stucks steht eine schamlos fröhliche erotische Groteske gegenüber, die uns Leo Putz als „Das kitzlige Schneck­lein“ (1904) in heiteren Farben ausgemalt hat. Das Schnecklein sieht aus wie eine nackte junge Frau, die kein Haar, aber vier Fühler auf dem Kopf hat. Sie ist ihrem prächtigen Schneckenhaus entstiegen und aalt sich im seichten Uferwasser. Die Schneckenfrau lässt sich von einem Ungeheuer die Zehen kitzeln und sieht uns dabei verzückt an. Jeden Moment wird die heranrollende Woge über ihr zusammenbrechen. Das Gemälde ist ein Höhepunkt der Schau – und der bislang wenig bekannte Künstler eine große Entdeckung. Veit-Mario Thiede


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