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13.04.13 / Vom »Starfighter« vielfach gebeutelt / Kai-Uwe von Hassel war als einziger sowohl Bundesrats- als auch Bundestagspräsident

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 15-13 vom 13. April 2013

Vom »Starfighter« vielfach gebeutelt
Kai-Uwe von Hassel war als einziger sowohl Bundesrats- als auch Bundestagspräsident

Mit dem Bonmot, nicht Politik verderbe den Charakter, sondern „schlechte Charaktere haben die Politik verdorben“, geißelte Kai-Uwe von Hassel formatlose Berufspolitiker. Obwohl es ihn nicht in die Politik gedrängt hat, bekleidete der vor 100 Jahren geborene Preuße doch als schleswig-holsteinischer Ministerpräsident, Bun­des­verteidigungsminister, Bundesvertriebenenminister und Bundestagspräsident bedeutende Staats- und Regierungsämter.

Kai-Uwe von Hassel ist zwar nicht in Preußen zur Welt gekommen, entstammte aber einer preußischen Familie. Sein Großvater Generalleutnant Friedrich Hassel war 1887 in den preußischen Adelsstand erhoben worden. Sein Vater Theodor war nach Deutsch-Afrika gegangen und hatte dort nach seinem Ausscheiden aus der Schutztruppe eine Plantage betrieben. So wurde Kai-Uwe von Hassel gebürtiger Afrikaner. Am 21 April 1913 kam er in Gare zur Welt.

Im Ersten Weltkrieg wurde die Familie interniert und anschließend 1919 ausgewiesen. Die Familie ging ins preußische und schleswig-holsteinische Glücksburg. Dort wuchs von Hassel auf. Doch obwohl Deutschland in Versailles alle Kolonien genommen worden waren, zog es ihn zurück auf den Kontinent seiner Geburt. Nach einer entsprechenden Ausbildung als Pflanzungskaufmann ging er 1935 in das nunmehr britische vormalige Deutsch-Ostafrika. Nach dem Ausbruch des Zweiten Weltkrieges wurde von Hassel abermals interniert, aber bereits 1940 ausgetauscht. Wieder in Deutschland, nahm er als Soldat am Zweiten Weltkrieg teil, wobei er ab 1943 im Range eines Leutnants für Wilhelm Canaris’ Abwehr als Dolmetscher arbeitete. Nach kurzer Kriegsgefangenschaft kehrte der Kriegsteilnehmer nach Glücksburg zurück und übernahm für den Landkreis Flensburg die Schlichtungsstelle für Wohnungssachen.

1946 schloss sich von Hassel den Christdemokraten an. Bereits ein Jahr später war er in seinem Wohnort sowohl Vorsitzender der dortigen CDU als auch Bürgermeister. 1948 zog er in den Flensburger Kreistag ein, 1950 in den schleswig-holsteinischen Landtag und 1953 in den Deutschen Bundestag. Bereits 1954 verließ er jedoch wieder den Bundestag, denn im selben Jahr war er in Schleswig-Holstein nach Friedrich Wilhelm Lübkes krankheitsbedingtem Rücktritt dessen Nachfolger als Ministerpräsident geworden. In dieser Eigenschaft war er auch 1955/56 Bundesratspräsident. 1958 und 1962 holte seine CDU jeweils die relative Mehrheit. Nach der Landtagswahl von 1962 gerieten jedoch die Koalitionsverhandlungen mit der FDP ins Stocken und von Hassel wurde Führer einer CDU-Minderheitsregierung.

Nachdem Franz Josef Strauß über die „Spiegel“-Affäre gestürzt war, wurde von Hassel 1963 dessen Nachfolger als Bundesverteidigungsminister. Von Hassels Amtsführung war überschattet von der „Starfighter“-Krise. Er hatte das umstrittene Flugzeug zwar nicht beschafft, aber in seine Zeit fällt der Höhepunkt der Krise. 1965 kam es zu 27 „Starfighter“-Unglücken, die 17 Menschen das Leben kosteten. Fünf Jahre später traf es dann seinen eigenen Sohn. Am 10. März 1970 kam Oberleutnant zur See Joachim von Hassel beim Absturz seines „Starfighters“ ums Leben.

Als Problemlöser profilierte sich schließlich nicht etwa von Hassel als zuständiger Minister, sondern General Johannes Steinhoff. Als dieser am 2. September 1966 seine Arbeit als Inspekteur der Luftwaffe aufnahm, war von Hassel bereits am Ende seiner Amtszeit als Verteidigungsminister. Ansonsten fallen in von Hassels Amtszeit die Zulassung von Gewerkschaften in den Kasernen, wogegen der Generalinspekteur Heinz Trettner mit seinem Rück­­tritt protestierte, und die Einführung des deutschen Kampfpanzers „Leopard“ als Ersatz für den US-amerikanischen „Patton“.

Nach der Bun­des­tags­wahl von 1966 mussten am Kabinettstisch Plätze für die neu in die Regierung gekommenen Sozialdemokraten frei gemacht werden. Willy Brandt wurde Außenminister. Der bisherige Außenminister Gerhard Schröder wurde daraufhin Verteidigungsminister. Von Hassel trat die Nachfolge seines aus der Regierung ausgeschiedenen Parteifreundes Johann Baptist Gradl als Bundesminister für Vertriebene, Flüchtlinge und Kriegsgeschädigte an.

Noch vor dem Ausscheiden der Union aus der Bundesregierung und dem damit verbundenen Ende des Vertriebenenministeriums wechselte von Hassel 1969 an die Spitze des Deutschen Bundestages, dem er seit 1965 wieder angehört hatte. Die Möglichkeit dazu gab ihm der Verdacht, Eugen Gerstenmaier habe auf die Gesetzgebung der siebten Novelle des Wiedergutmachungsgesetzes von 1965 zu seinen eigenen Gunsten Einfluss genommen. Der derart in der Öffentlichkeit Beschuldigte gab daraufhin 1969 das Amt des Bundestagspräsidenten auf. Zu seinem Nachfolger wurde noch vor dem Ende der Großen Koalition Kai-Uwe von Hassel gewählt. Von Hassels Nachfolger und letzter Vertriebenenminister wurde für die verbleibenden Monate bis zur Amtsübernahme der sozialliberalen Regierung Heinrich Windelen.

Laut seiner Nachfolgerin von 1988 bis 1998, Rita Süßmuth, soll von Hassel das Bundestagspräsidentenamt als das wichtigste und schönste seines Lebens bezeichnet haben. Dort fand er die Anerkennung über Parteigrenzen hinweg, die ihm als Verteidigungsminister versagt geblieben war. Von Hassel stellte hohe Anforderungen an den Anstand von Politikern und wenigstens gelang es ihm, die Einführung der sogenannten Verhaltensregeln für Abgeordnete durchzusetzen, zu denen auch die Verpflichtung gehört, vergütete Nebentätigkeiten dem Bundestagspräsidium zu melden. 1972 löste die sozialdemokratische jene der Union als stärkste Bundestagsfraktion ab, die Sozialdemokratin Annemarie Renger wurde Bundestagspräsidentin und von Hassel einer ihrer vier Stellvertreter.

In einem Alter, in dem andere in den Ruhestand gehen, stürzte sich von Hassel noch einmal in die Europapolitik. Ein Schelm, wer dabei an das Wort denkt: „Hast du einen Opa, schick ihn nach Europa.“ 1973 wurde er Präsident der Europäischen Union Christlicher Demokraten (EUCD). Vier Jahre später wurde er Sprecher der deutschen Delegation der Parlamentarischen Versammlung des Europarates und deren Vizepräsident sowie Präsident der Parlamentarischen Versammlung der Westeuropäischen Union (WEU). 1979 wurde er Mitglied des ersten direkt gewählten Europaparlamentes.

Wie schon 1980 nicht mehr zur Bundestagswahl trat er 1984 nun auch nicht mehr zur Europawahl an. Dafür wurde er 1984 als einziger Deutscher vom Europarat in die damals neu geschaffene „Kommission bedeutender Staatsmänner“ berufen. Weitere Ehrenämter folgten. Beim Festakt zur Verleihung des Karlspreises an Roman Herzog erlag Kai-Uwe von Hassel am 8. Mai 1997 im Aachener Rathaus einem Herzinfarkt. Manuel Ruoff


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