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13.04.13 / Tierisch gut / Ob Tropen-Aquarium oder Eismeer – neue Attraktionen werten Hagenbecks Tierpark auf. Dessen Gründer starb vor 100 Jahren

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 15-13 vom 13. April 2013

Tierisch gut
Ob Tropen-Aquarium oder Eismeer – neue Attraktionen werten Hagenbecks Tierpark auf. Dessen Gründer starb vor 100 Jahren

Als Carl Hagenbeck 1907 seinen Tierpark eröffnete, galt das als Weltsensation. Nirgends sonst konnte man Zootiere in offenen Gehegen und ohne Gitter bestaunen. Sein Erbauer hatte nur neun Jahre etwas davon. Am 14. April 1913 starb er in Hamburg.

Es ist ein kalter Apriltag. Swetlana Sokolowa, die Direktorin des Königsberger Tierparks, nutzt einen Aufenthalt in Hamburg, um sich den berühmten Tierpark von Carl Hagenbeck anzusehen. Gleich zu Beginn ihres Rundgangs staunt die Zoodirektorin nicht schlecht, als sie vor dem Elefantengehege steht: Besucher füttern die etwa sechs in einer Reihe stehenden Riesentiere mit mitgebrachtem Obst und Gemüse, bettelnd bewegen diese ihre Rüssel über einen Graben hinweg von einem zum anderen dort Stehenden, in der Hoffnung, einen weiteren Leckerbissen zu ergattern. Geduldig lassen die Tiere sich anfassen und streicheln. „Das wäre bei uns undenkbar“, sagt Swetlana. Seit vor ein paar Jahren ein Besucher von einem Elefanten erdrückt wurde, ist Füttern im Königsberger Zoo strikt verboten.

Swetlana hat sich eingehend mit der Geschichte nicht nur von Hagenbecks Tierpark, sondern auch anderer europäischer Zoos beschäftigt. Damit der stark heruntergekommene Königsberger Zoo sich in ein modernes Gehege nach international anerkannten Standards verwandeln kann, interessiert sie sich neben der eigentlichen Tierhaltung auch für die Außenanlagen und Begrenzungen. Sie hält jedes Grün, jeden Zaun, jedes Gehege mit ihrer Kamera fest, um Ideen zu sammeln und diese ihren Mitarbeitern vorzustellen. Da Hagenbecks Konzept eines Tierparks zu seiner Zeit eine Vorreiterrolle spielte, ist auch die Geschichte des Königsberger Tiergartens eng mit Hagenbeck verbunden. Ein Großteil der ersten Tiere wurde beim Hamburger Tierhändler Carl Hagenbeck erworben.

Die Idee für sein Tierhandelsgeschäft lieferten Hamburger Störfischer, die seinem Vater, einem Fischhändler, 1848 als Beifang sechs Seehunde mitbrachten. Vater und Sohn stellten sie auf St. Pauli der staunenden Menge zur Schau. In der Folge verlegte man sich ganz auf den Tierhandel und verkaufte exotische Tiere an die Zoos in Berlin, Dresden – oder eben Königsberg.

Aber der Junior wollte mehr. Als eine Herde Rentiere eintraf, die von einer Lappländerfamilie begleitet wurde, kam er auf die Idee, Menschen und Folklore unterschiedlicher Kulturen zu präsentieren. In seinen „Völkerschauen“ stellte er Indianer, Nubier, Singhalesen, Kalmücken und Eskimos samt ihren Tieren vor. „Carl Hagenbecks Internationaler Circus und Singhalesen-Karawane“ war eine der großen Attraktionen auf dem Hamburger Heiliggeistfeld.

Doch Hagenbeck ging noch einen Schritt weiter und wollte exotische Tiere außerhalb ihres eigentlichen Le­bensraums in einer natürlichen Freianlage präsentieren und sie nicht hinter Gittern versperren. Nach fünfjähriger Bauzeit verwirklichte er sich seinen Traum eines großen Panorama-Zoos in dem damals noch außerhalb Hamburgs liegenden bäuerlichen Dorf Stellingen. Es war nur seine zweite Wahl. „Ich empfand es schmerzlich, dass in meiner Heimatstadt kein Raum für mich sein sollte“, schrieb Hagenbeck in seinen Erinnerungen. Da es auf dem Gelände von Planten un Blomen schon einen – allerdings vergitterten – Zoo gab, war in der Stadt kein Platz für einen zweiten Tierpark.

In den alten Zoo ging bald niemand mehr. Besucher aus aller Welt kamen, um in Hagenbecks Tierpark neben den Elefanten, Löwen und Seelöwen auch die künstlich geschaffenen Landschaften zu bewundern. Vor allem die von dem Schweizer Bildhauer Urs Eggenschwyler aus Zement und Drahtgeflechten aufgebaute Felsenlandschaft für Wildziegen und Gämsen wurde eine der Wahrzeichen von Hagenbeck.

Die Kriege trafen den Tierpark hart. Nach dem Ersten Weltkrieg blieb der Zoo wegen zu großer Tierverluste von 1918 bis 1922 geschlossen. Der Zweite Weltkrieg war noch verheerender. Durch Fliegerbomben im mittlerweile Hamburger Stadtteil Stellingen starben 450 Tiere und neun Mitarbeiter. Carl-Heinrich Hagenbeck, ein Enkel des vor 100 Jahren gestorbenen Tierpark-Gründers, schuf Anfang der 50er Jahre mit Freisichtanlagen für Giraffen und Tiger die Grundlage für den neuen Tierpark.

Carl Hagenbecks Konzept, Tiere möglichst in ihrer natürlichen Umgebung zu zeigen, hat bis heute Gültigkeit. Zuvor hatte er das Verhalten der Tiere studiert, ihre Sprünge ausgemessen, um zu ermitteln, wie weit die Gräben sein mussten, um den Tieren ein Leben in natürlicher Umgebung zu ermöglichen. Bei der Eröffnung seines Tierparks weihte Hagenbeck hier das erste „Nordland-Panorama“ ein, eine damals weltweit einmalige arktische Landschaft mit Tieren, die nur durch Gräben von Besuchern getrennt waren. Hagenbecks Tierpark wurde mit diesem Konzept Vorbild für zahlreiche Zoos in Europa und Amerika, zumal auch Zuchterfolge wie bei den asiatischen Elefanten Schule machten.

An der Stelle, in der sich einst das „Nordland-Panorama“ befand, entstand das 2012 fertiggestellte Eismeer, eine künstliche Polarwelt, in der – nur durch Gräben voneinander ge­trennt – neben Eisbären, Seelöwen und Pinguinen eine Fülle weiterer dort heimischer Tierarten aus un­terschiedlichen Perspektiven be­wundert werden kann. Durch einen Höhleneingang begibt sich der Besucher in das Innere des Eismeers, sieht Walrösser oder Robben auf sich zuschwimmen. Eine wunderschöne, unwirklich anmutende Farbenwelt drängt sich in die visuelle Wahrnehmung des Besuchers.

Ein Glanzlicht sind die Aquarien mit Quallen, auch Medusen genannt, deren Fäden in unterschiedlichen Farben schillern. Fotogalerien an den Gangwänden informieren über die Lebenswelt der Pol-Regionen. Durch eine begehbare Seevogel-Voliere ge­langt man durch ein arktisches Dorf wieder hinaus ins Hamburger Schmuddelwetter. Auch dieses hochmoderne Eismeer orientiert sich architektonisch eng am historischen Vorbild.

Die heute nur als Besucherin herumschlendernde Zoodirek­torin Swetlana interessiert be­sonders das Affenhaus, denn auch in Königsberg entsteht gerade ein modernes Haus für die dortigen Orang-Utans. Das Hamburger Affenhaus gefällt ihr. Denn auch hier ist der Besucher den Tieren sehr nahe. Am Wasserbecken gibt es neben Ruhebänken ein Café, über eine Treppe erreicht der Besucher eine Plattform, von der aus er dem Spiel der Affen zusehen kann.

In dem 1960 eingeweihten Tropen-Aquarium, das 50 Jahre später auf spektakuläre Weise vergrößert wurde, tummeln sich bei dem schlechten Wetter die meisten Besucher. Über enge Pfade schiebt sich die Menge durch verschlungene Tropenpfade vorbei an Kleinlebewesen wie Spinnen sowie Echsen, giftigen Schlangen und Krokodilen bis hin zu dem mit 1,8 Millionen Liter Seewasser gefüllten Bassin, das hinter einer gebogenen Acrylscheibe einen Einblick in die Unterwasserwelt von Haien und Rochen gewährt.

Das Tropen-Aquarium ist ein eigenständiger Teil des Tierparks, für den extra Eintrittsgeld verlangt wird. Schließlich hat der Umbau 24 Millionen Euro gekostet. Die größte Investition, die Hagenbeck jemals getätigt hat, wurde von der Stadt mit zehn Millionen Euro bezuschusst. In der Regel finanziert sich der Zoo ohne jährliche Staatssubventionen nur aus den Eintrittsgeldern und Spenden. Um die Kosten für den täglichen Betrieb von etwa 35000 Euro zu erwirtschaften, steht der Zoo unter einem enormen Erfolgsdruck. Je nachdem wie gut das Wetter in den jeweiligen Jahren ist, kommen bis zu 1,7 Millionen Menschen zu Hagenbeck. Neben den Musicals in der Stadt gilt Hagenbeck daher als Touristenmagnet Nummer eins.

Das ist ein Ruf, den es zu verteidigen gilt. Und nicht immer ist man sich in der Familie einig, wie die Strategie dafür aussehen soll. Der Tierpark dürfe „keine grelle Disney-Erlebniswelt“ werden, ließ etwa Joachim Weinlig-Hagenbeck verlauten und stellte sich damit gegen seinen früheren Co-Chef Stephan Hering-Hagenbeck, der auf Eventerlebnis setzte.

Derzeit werden Vorstandsreibereien sogar vor Gericht ausgetragen, nachdem der Urenkel des Tierpark-Gründers, Claus Hagenbeck, seinen angeheirateten Neffen Weinlig-Hagenbeck entmachtet und selbst wieder die Geschäftsführung übernommen hat, die er schon einmal bis 2004 innegehabt hatte. Das Dilemma bei Hagenbeck: Laut Satzung muss die Geschäftsführung aus einer Doppelspitze bestehen mit jeweils einem Nachkommen von jedem der beiden Söhne des Tierpark-Gründers.

Beim Familienstreit geht es auch darum, ob die zwei Millionen Euro zurückgezahlt werden sollten, mit denen die Stadt den Tierpark 1996 unter die Arme griff, als er auf ein Minus zusteuerte. Seitdem hat man den Tierpark konsequent modernisiert, auch weil sich die Stadt neben dem Tropen-Aquarium noch dreimal Millionenbeträge für das neue Orang-Utan-Haus, die Elefantenhalle und die Erneuerung des Panoramafelsens geleistet hat.

Laut Swetlana hat sich dieser Aufwand gelohnt: „Das neue Hagenbeck ist einfach tierisch gut geworden. In Königsberg können wir ihn zum Vorbild nehmen.“ Manuela Rosenthal-Kappi/Harald Tews


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