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13.04.13 / Bewegende Erinnerungen mit kleinen Lücken / Charlotte Knobloch über ihre schweren Jugendjahre als Halbjüdin unter den Nationalsozialisten und die Zeit danach

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 15-13 vom 13. April 2013

Bewegende Erinnerungen mit kleinen Lücken
Charlotte Knobloch über ihre schweren Jugendjahre als Halbjüdin unter den Nationalsozialisten und die Zeit danach

Eine außergewöhnlich erfolgreiche Frau stellt sich vor und schildert ihren Lebensweg. Charlotte (Lotte) Knobloch, geboren 1932 in München, ist seit vielen Jahren Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern. Von 2006 bis 2010 war sie auch Präsidentin des Zentralrates der Juden in Deutschland, jeweils als erste Frau. Ihre Autobiografie „In Deutschland angekommen“ ist flott geschrieben und beeindruckend. Sie zeigt eine Frau voller Temperament und Ehrgeiz. „Wir Juden in diesem Land sind … noch nicht selbstbewusst genug.“ Ihre Hauptaufgabe sieht sie darin, der jüdischen Sache zu dienen.

Ihre Motivation kommt aus ihren Erlebnissen in der NS-Ära. Die „arische“ Mutter lässt sich von ihrem jüdischen Mann scheiden, der Vater überlebt die Zwangsarbeit, seine Mutter stirbt als Deportierte in Theresienstadt. Zu wissen, dass die eigene Mutter zu den prozentual wenigen gehörte, die dem Wunsche des „Führers“ folgend die Scheidung vom jüdischen Partner einreichten, wird wohl zwangsläufig als persönlicher Makel empfunden, der eine Verallgemeinerung nahelegt, um dieses Versagen zu sozialisieren. Seht, wie die „Arier“ waren!

Der leidenschaftlich verfasste Text ist ein Plädoyer in eigener Sache und für jüdische Belange. Ein fundierter Beitrag zur Geschichte der Juden in Deutschland ist er aber nicht. Um alle offenen Fragen, irreführenden Lücken und gewichtigen Irrtümer anzusprechen, würde eine ganze Zeitungsseite kaum ausreichen. Hier nur einige Beispiele der Reihe nach:

„Als mein Vater als junger Mann nach München zieht, blickt die jüdische Gemeinde … auf eine lange und leidvolle Geschichte zurück“, so Knobloch. Dann wird ein Pogrom des Jahres 1285 erwähnt. Unerwähnt bleibt, wie liebevoll sich das bayerische Herrscherhaus wenige Jahrzehnte vor den Nationalsozialisten der jüdischen Gemeinde angenommen hat. Anfang 1919, schreibt sie weiter, wird in München „von rückwärtsgewandten Kräften“ Kurt Eisner ermordet, „ein geborener Jude“. Dass auch der Mörder ein Jude war, erfährt der Leser nicht. Ja, die Ostjuden waren zu Beginn des 20. Jahrhunderts unbeliebt. Aber niemand hat sie abschätziger charakterisiert als der Jude Walter Rathenau. Unwichtig?

Wie hat Lotte die Zeit von 1942 bis Kriegsende überlebt? Ein Kapitel für sich. Wir lesen: Vater und Lotte fahren über Gunzenhausen, eine Hochburg des Judenhassers Julius Streicher, zu dem Hof, das ein früheres Dienstmädchen von Lottes Onkel zusammen mit Vater und Schwester bewirtschaftet. Im Ort wird Lotte als uneheliche Tochter der Bäuerin eingeführt. Der „Makel“ ihrer Geburt lastet auf ihr. Nur der Vater der Bäuerin und der Pfarrer wissen über alles Bescheid und schweigen.

Doch die Schilderung kann nicht stimmen. Auch damals gab es schon ein Melderegister und eine Schulpflicht. Und die Dorfbewohner waren doch auch nicht auf den Kopf gefallen. Plötzlich hat die unverheiratete Bäuerin ein großes, uneheliches Kind, das ihr nicht gleicht. Und das in der Zeit der Deportationen! Als sich SS im Ort aufhält, versteckt der Pfarrer das Mädchen. Warum? Er tut es für den Fall, dass ein Dorfbewohner plaudern sollte. Es ist anzunehmen, dass so gut wie alle im Ort Bescheid wussten, aber geschwiegen haben. Doch dieser Widerstand durch Schweigen darf offenbar der angeblich braunen Bevölkerung nicht gutgeschrieben werden.

Wer sich über die Münchner und ihre jüdischen Mitbürger in der Zeit des Nationalsozialismus ein fundiertes Bild verschaffen möchte, greift mit großem Gewinn zu den zeitnahen Aufzeichnungen der Vorgänger von Knobloch in der Leitung der Kultusgemeinde, nämlich Alfred Neumeyer und Hans Lamm.

Mit der „Charlottenburg“ im Herzen der Stadt München, dem jüdischen Zentrum, hat Knobloch ihr unermüdliches Wirken würdig gekrönt. Konrad Löw

Charlotte Knobloch mit Rafael Seligmann: „In Deutschland angekommen. Erinnerungen“, DVA, München 2012, gebunden, 334 Seiten, 22,90 Euro


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