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20.04.13 / Marsch ist kein Mythos / Das Wirken der 68er

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 16-13 vom 20. April 2013

Marsch ist kein Mythos
Das Wirken der 68er

Kaum jemand hätte es erwartet, Alfred Dregger sprach gar von „der Barmherzigkeit Gottes“, der „keine Grenzen gesetzt“ seien: Mit absoluter Mehrheit hatte die CDU mit Walter Wallmann an der Spitze im März 1977 die Wahlen in Frankfurt am Main gewonnen. Die langjährige SPD-Herrschaft war damit beendet. War dies eines der Anzeichen für eine sich offenbar in Reaktion auf „1968“ vollziehende „konservative Tendenzwende“ in Deutschland?

Manfred Kittel, seit 2009 Direktor der Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung, widmet sich in dieser Studie dem „roten Jahrzehnt“ in Frankfurt am Main. Die Untersuchung ist Teil des Projekts „Reform und Revolte“ des Münchener Instituts für Zeitgeschichte, welches den Wandel der Gesellschaft der Bundesrepublik in den 60er und 70er Jahren in den Blick nimmt.

Neben dem Frankfurter SPD-Unterbezirk richtet Kittel den Fokus vor allem auf die Kultur beziehungsweise die Kulturpolitik. Mit der Parole „Kultur für alle“ hatte der wirkmächtige Hilmar Hoffmann 1970 das Kulturdezernat übernommen. An den Städtischen Bühnen wurde das „Frankfurter Modell“ praktiziert, welches auf der Idee einer umfassenden Mitbestimmung fußte. Kittel spricht davon, dass der „Marsch durch die Institutionen“ hier zu „schweren Verwerfungen“ führte und die angestrebte „Demokratisierung“ in einem „Kampf jeder gegen jeden“ geendet habe. Besonders tragisch sei dies, weil durch diese „humanitären Kosten“ viel künstlerisches Potenzial unausgeschöpft geblieben sei – beispielsweise bezüglich des „Ausnahmeregisseurs“ Peter Palitzsch. Auch die Gestaltung des neuen Historischen Museums habe im Zeichen einer „geschichtspolitischen Fundamentalideologisierung“ gestanden.

Kittels Studie, welche die kultur- sowie allgemeinpolitischen Vorgänge in der Mainmetropole, einer Hochburg der 68er, detailreich schildert, ist trotz ihres wissenschaftlichen Anspruches und der räumlichen Begrenzung für jeden historisch Interessierten mit Gewinn zu lesen. Vieles steht exemplarisch für die Vorgänge in der Folge von „1968“ insgesamt. Kittel legt zwar Wert darauf, dass es ihm in erster Linie um eine Untersuchung von Institutionen gegangen sei, aber das Buch gewinnt auch stark durch die plastische Darstellung des Agierens der Handlungsträger wie der Theaterleute Palitzsch und Hans Neuenfels sowie des SPD-Kulturpolitikers Hoffmann, der übrigens unter Wallmann im Amt blieb.

Das Buch belegt, dass der „Marsch durch die Institutionen“ kein Mythos ist. Eine „konservative Tendenzwende“ vollzog sich nicht, trotz einiger Anzeichen wie etwa des CDU-Sieges in Frankfurt. Im Gegenteil: Nach durch Radikalismus selbstverursachten Schiffbrüchen kam es zu „einer Art Neukonstituierung“ der 68er. Eine Reihe von „Kämpfern“ passte sich an, was der eigenen Karriere zugutekam. Der „Marsch“ an sich wurde fortgesetzt, spürbar bis heute.                       Erik Lommatzsch

Manfred Kittel: „Marsch durch die Institutionen? Politik und Kultur in Frankfurt nach 1968“, Oldenbourg-Verlag, gebunden, 489 Seiten, 49,80 Euro


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