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04.05.13 / Wie magisch von Hitler angezogen

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 18-13 vom 04. Mai 2013

Moment mal!
Wie magisch von Hitler angezogen
von Klaus Rainer Röhl

Vor Zeiten, als das Wünschen noch geholfen hat und wir uns alle den Frieden und die Freundschaft wünschten, kam zu mir in die „konkret“-Redaktion ein Mann, der eigentlich Reporter beim „Stern“ war, ein mutiger Draufgänger und Meisterdetektiv, dem keine Gefahr und kein Hindernis zu groß war, wenn er etwas rauskriegen wollte, und der immer eingesetzt wurde, wenn alle anderen Kollegen schon aufgegeben hatten: Gerd Heidemann. Nur gedruckt wurde nicht gleich alles von der guten alten Illustrierten „Stern“ und deswegen kam er zu uns. Auch wegen einer Enthüllungsgeschichte, an der er jahrelang herumgetüftelt hatte, über B. Traven, dessen wahre Identität er herausgefunden hatte. Und weil Henri Nannen es abgelehnt hatte, die Bilder von erschossenen Lumumba-Anhängern mit den faustgroßen Löchern im Kopf ausgerechnet vor Weihnachten 1966 zusammen mit Lebkuchenrezepten und gemütvollen Betrachtungen von Frau Sybille über altdeutsche Puppenstuben zu veröffentlichen, durften wir die Horror-Fotos drucken, wegen denen uns die „Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften“ später fast verboten hätte. Das war Gerd Heidemann, von dem es hieß, dass er nicht mehr locker ließ, wenn er sich an einer Sache festgebissen hatte.

Später verbiss sich der Star-Reporter an Hitler. Er verlor den gesunden Menschenverstand und seine journalistische Spürnase, als ihm jemand erzählte, dass Hitler regelmäßig Tagebücher geschrieben habe, und Konrad Kujau, ein kleiner, nur mäßig erfolgreicher „Militaria-Händler“, der mit Kriegs- und NS-Devotionalien handelte, ihm einredete, er könne diese Tagebücher beschaffen, die irgendwo in der damals noch streng bewachten DDR an einem geheimen Ort versteckt seien. Gegen viel Geld natürlich. Es war eine Lüge, die so groß war, dass sie geglaubt wurde. Nicht nur der scheinbar mit allen Wassern gewaschene Star-Journalist verlor angesichts der Größe der Lüge und der Höhe des Preises den Verstand.

Mit ihm drehte die ganze Chefetage des „Stern“-Verlags durch. Der Verlag stellte Unsummen für den Ankauf der „Tagebücher“ zur Verfügung, am Ende waren es 9,3 Millionen D-Mark. Und Konrad Kujau machte sich an die Arbeit, eine wahre Heidenarbeit. Er kaufte die Kladden aus der Zeit vor dem Krieg auf einem Flohmarkt, pinselte, mixte, behandelte das Papier, damit es alt aussah, las Bücher über Hitlers Leben mit lauter Anekdoten, die er später aus eigener Phantasie ergänzte, vertiefte sich in die wenigen Schriftproben, die es von Hitler gab und schrieb die Tagebücher in einer Mischung aus Sütterlin und normaler Schrift, die er am Ende perfekt nachahmen konnte. Genial war nicht die Fälschung, es gab ja keine echten Tagebücher, sondern die Idee, Tagebücher zu erfinden.

Kujau konnte auch malen wie Hitler. Oder wie Hitler 1930 gemalt hätte. Als ich ihn 1984 im Gefängnis besuchte, um ein Interview mit ihm zu machen – es war ein fröhlicher, gelockerter Knast, eigentlich ein Arbeitsurlaub mit vielen Freiheiten – schenkte er mir zum Abschied eine Original-Tuschzeichnung, die den „Führer“ zusammen mit seiner geliebten Nichte „Geli“ darstellte, und schrieb in meiner Gegenwart mit seiner flüssigen Hitler-Handschrift dazu „Sommer 1930 Glückliche Stunden mit Geli!“ Darunter die Unterschrift Adolf Hitler, die so echt aussah, dass auch ein so angesehener Historiker wie der Brite Hugh Trevor-Roper, der Autor des berühmten Buches „Hitlers letzte Tage“, darauf reingefallen war. Er ließ sich dazu überreden, die Echtheit des Tagebuchs zu bezeugen. Allerdings erst, wie er am 14. Mai 1983 in der „Times“ in seinem Widerruf erklärte, nachdem ihm der „Stern“ versichert habe, die Handschrift sei von drei unabhängigen Sachverständigen beglaubigt, das Papier geprüft und die Herkunft nachgewiesen worden.

Genau an dem Papier aber war Kujaus frecher Coup gescheitert. Das Bundeskriminalamt erkannte mehr als eine Woche nach Erscheinen des „Stern“ ohne großen Aufwand, dass das Papier der „Tagebücher“ aus der Nachkriegszeit stammte. Alle weiteren Erklärungen erübrigten sich.

Man fasst sich an den Kopf. Wie ist das Aussetzen des Verstandes bei allen Beteiligten zu erklären? Die Gier, die Tagebücher des Diktators um eigentlich jeden Preis zu drucken, hat eine lange Vorgeschichte. Nicht nur der „Stern“, sondern vor allem der „Spiegel“ hatten seit ihrer Gründung Hitler zum Lieblingsthema aller Deutschen gemacht.

Wo lebt Hitlers Sekretärin, wo seine Schwester? Gab es heimliche Verbindungen der katholischen Kirche zu den Nazigrößen, die auf dem Weg durch italienische Klöster von Priestern nach Südamerika geschleust wurden? Das alles muss Henri Nannen damals ebenso interessiert haben wie seine Leser, die immer noch was dazulernen wollten über die NS-Zeit, von der jeder nur seinen kleinen Ausschnitt gekannt hatte. Was macht Leni Riefenstahl, wie war es wirklich mit Albert Speer, mit Goebbels’ Frauen, mit Görings Drogensucht, mit Rommels Afrika-Feldzug und seinem geheimnisumwitterten Tod, mit Gallands und Rudels Abschüssen feindlicher Flugzeuge? Waren die Abschuss-Zahlen womöglich nach oben korrigiert, das Ritterkreuz mit Schwertern auch wirklich verdient? Das Interesse der Deutschen hält offenbar an.

Selbst die Enkelkinder der ersten „Stern“- und „Spiegel“-Leser haben diese Freude an den Führerbildern und -Filmen, NS-Aufmärschen und -Klatschgeschichten von ihren Eltern und Großeltern übernommen und wollen die „furchtbare Zeit“ immer noch mal sehen. Sind das alles Antifaschisten?

Ich glaube nicht. Eine seltsame Anziehungskraft geht von dem Thema aus, die durch gutgemeinte Aufklärungskampagnen über die Verbrechen Hitlers immer noch gesteigert wird. Und jeder Zeitschriftenverleger weiß: Hitler verkauft sich immer. Auch nach dem Skandal mit den „Tagebüchern“.

Hitler lebt. 68 Jahre nach seinem Selbstmord sieht man ihn täglich auf allen Fernseh-Kanälen, wenn auch in endlosen, vorzugsweise von Guido Knopp im Auftrag des ZDF produzierten Wiederholungen. Er lebt sogar in den Köpfen der „Antifa“ weiter, die von dem Thema nicht lassen will. Selbst die Jubiläumsgeschichte der „Zeit“ zum 30. Jahrestag der „Hitlertagebücher“ brachte als Titelbild Adolf Hitler, über die ganze Seite gezogen, die umstrittene Ausgabe des „Stern“ lässig unter dem Arm. Die verkaufte Auflage der „Zeit“ ist sicher gestiegen. Die Zahlen liegen noch nicht vor.

Die Ausgabe des „Stern“ vom 24. April 1983 schwemmte einen Riesengewinn in die Kassen des Verlags. Die späteren Verluste hielten sich in Grenzen. Die Ausgabe von mehr als 9,3 Millionen D-Mark aus der „Portokasse“ hatte sich am Ende sogar rentiert. Der „Stern“ erschien, trotz des ungeheuren Prestige-Verlustes, weiter. Die Anzeigenkunden blieben, und der Verlag machte weiter Gewinne. Zwei verantwortliche Chefredakteure traten mit einer stattlichen Abfindung und ohne schlimme Folgen für ihre Karriere zurück. Den einst so gepriesenen Star-Reporter Gerd Heidemann allerdings ließ man erbarmungslos fallen.

Er wurde zu vier Jahren Gefängnis verurteilt und lebt heute (mit 81 Jahren) von Sozialhilfe. Dies ist sicher einer der letzten Artikel, der über ihn erscheint. Freunde in der Not gehen tausend auf ein Lot.


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