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11.05.13 / Die Braut, die kauft / Im Mai klingen allerorten die Hochzeitsglocken – Aber welches Brautkleid hält auch den Blicken stand?

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 19-13 vom 11. Mai 2013

Die Braut, die kauft
Im Mai klingen allerorten die Hochzeitsglocken – Aber welches Brautkleid hält auch den Blicken stand?

Tellingstedt in Dithmarschen? Nie gehört? Das 2500-Seelen-Dorf ist ein El-Dorado für Bräute. Jetzt im Wonne- und Heiratsmonat Mai herrscht dort auf dem platten Land bei Heide Hochbetrieb.

Wie konnte das bloß geschehen? 647 Euro für ein Kleid, Bolero-Jäckchen und ein paar Schuhe. Und das ist noch vergleichsweise günstig, denn in Tellingstedt in Schleswig-Holstein erwischt der Traumhochzeitsvirus fast alle Heiratswilligen und sofort ist alle Sparsamkeit vergessen.

„Und Sabine war auch mit ihren Töchtern in Tellingstedt und hat dort ein Brautkleid für ihre Älteste gekauft. Irgendwie fährt in letzter Zeit jeder aus meinem Umfeld dorthin, weil die Töchter heiraten. Nur ich, die ich sogar drei Töchter habe, war noch nie dort“, schmollte die Mutter am Telefon. In den Ohren der in Hamburg lebenden ältesten Tochter, die zwar schon die 30 überschritten hatte, aber noch keinen Antrag vom Partner erhalten hatte, waren diese Worte wie Salz in einer offenen Wunde. Doch nun, drei Jahre später, steht besagte 63-Jährige mit ihren drei Töchtern und der nicht ganz zwei Jahre alten Enkelin Louisa an dem Ort, der in Norddeutschland als Institution gilt, wenn es um Braut- und Festmode geht.

Hätte man der heute 88-jährigen Grete Laue vor inzwischen gut vier Jahrzehnten gesagt, dass ihr Rückenleiden der Anfang von etwas ganz Besonderem ist, so hätte die Bäuerin denjenigen vermutlich gefragt, ob er zu tief ins Glas geschaut habe. Für die Schleswig-Holsteinerin stellten ihre gesundheitlichen Probleme plötzlich ihre wirtschaftliche Existenz infrage. 1974 entschied sie sich dann, aus ihrer Leidenschaft für schöne Kleider ein Geschäft zu machen. Sie eröffnete mitten auf dem platten Land bei Heide in einem umgebauten Stall einen Second-Hand-Laden für Festmode. Schon zwei Jahre später stellte Laue dank des Engagements der Tochter Kirsten Jürgensen auf Neuware um. Obwohl die Bauersfrau und die medizinisch-technische Assistentin keinerlei Ahnung vom An- und Verkauf von hochwertigen Textilien hatten, wagten sie den Sprung ins kalte Wasser.

Heute sieht man nichts mehr von dem Klein-Klein der Anfangszeit. Auch hat Grete Laue sich aus der Geschäftsführung zurückgezogen, Kirsten Jürgensen wird inzwischen von ihrem 32-jährigen Sohn Henning unterstützt. Wer Tellingstedt vom Osten aus erreicht, der sieht gleich das große weiße Gebäude. Was davon einer der vielen Anbauten der letzten Jahre und was davon Altbestand ist, kann der Laie nicht erkennen. Neben und hinter dem Haus befindet sich ein riesiger Parkplatz, auf dem sich an diesem Sonnabend Ende April, an dem die heiratswillige Tochter der 63-Jährigen mit Anhang zur Brautkleidbegutachtung aufmacht, bereits über 100 Autos aus nah und fern befinden.

Das ist doch alles kein Hexenwerk, denkt die zukünftige Braut, als sie die schwere Holztür mit den Butzenfenstern zum Geschäft öffnet und einen verwinkelten Verkaufsraum mit Festmode für Damen sieht. Die Treppe herauf geht es zur Herrenmode. Man merkt, dass man sich in einem alten Bauernhaus befindet. Zur Brautmode geht es rechts, geradeaus, einige Stufen hinab, dann links und schon sieht man überall junge Frauen, umringt von ihren Müttern, Schwestern und Freundinnen. Nur vereinzelt hat sich wohl ein jüngerer Bruder hierher verirrt.

Ein wenig ratlos blickt die Hamburgerin auf die langen Reihen an Kleidern. Die Verkaufsräume sind hell, an vielen Stellen stehen gediegene Sessel, die Decken sind mit Stuck verziert, überall sind Spiegel und Kopien antiker Statuen und Vasen. Doch aufgrund der Größe wirkt es nicht kitschig, es entspricht vielmehr der Atmos­phäre, die viele Frauen mit dem Thema Traumhochzeit in Verbindung bringen. 1700 Brautkleider sollen hier in allen möglichen Größen hängen. Schon steht eine Verkäuferin da, sie ist eine von rund 100 Mitarbeitern, die hier im Verkauf oder in der Schneiderei überwiegend in Teilzeit tätig sind. Vor allem in der ersten Jahreshälfte kommen viele Kunden, da ist gerade sonnabends bei „Laue Festgarderobe“ viel los.

„Wissen Sie schon, was sie wollen?“, fragt sie die heiratswillige Hanseatin. Diese erzählt sofort, dass sie eigentlich nur schauen wolle, das Kleid solle eher schlicht sein, keinen Reifrock, keine Spitze, gern mit Trägern, um die breiten Schultern und Oberarme zu kaschieren, aber auf gar keinen Fall zu teuer. Dabei blickt sie zweifelnd auf die Kleider direkt neben sich, deren Preisschilder Beträge von 1063 Euro, 867 Euro und 1200 Euro zeigen. Die Verkäuferin fängt diesen Blick sofort auf und betont, man führe Kleider in allen Preisklassen.

Derweil hat die Brautmutter, die ihrer Tochter das Kleid schenken will, den Ständer mit den reduzierten Kleidern ent­deckt. In Tellingstedt kaufen ist ja klasse, da hat man dann den Kolleginnen und Freundinnen im Heimatort nahe Segeberg viel zu erzählen, sich finanziell dafür zu ruinieren ist jedoch nicht eingeplant. Muss aber auch nicht sein, wie die Preise an diesem Ständer zeigen.

„Mama?“ Beinahe wäre die kleine Louisa an ihrer Mutter vorbeigerannt, als diese mit dem ersten Kleid aus der Umkleidekabine tritt, so anders sieht diese in dem weißen Kleid aus. Doch sofort schütteln beide Schwestern der Braut den Kopf. „Siehst aus wie aus dem antiken Griechenland, nicht wie eine Braut!“ Auch das nächste Kleid wird abgelehnt: „Nettes weißes Kleid, irgendwas zwischen Königin Luise von Preußen und Nachthemd.“ Erst das nächste Kleid findet Zustimmung.

Inzwischen rennen Verkäuferin und Brautmutter jeweils mit einem Kleid beladen vor der Umkleidekabine gegeneinander. Zuerst wird das auf 200 Euro heruntergesetzte Kleid anprobiert, das die Mutter entdeckt hat. Sofort stößt es – nicht nur wegen des vertretbaren Preises – auf Zustimmung. Nur auf sanften Druck der Verkäuferin probiert die zukünftige Braut doch noch das Kleid an, das diese zuletzt vorgeschlagen hatte. Zu pompös mit dem Unterrock, denkt die Hamburgerin, nichts für mich, ich bin doch keine von diesen Frauen, die auf Sissi-Kleider stehen. Doch schon als sie aus der Kabine tritt, sieht sie an den Augen der Schwestern, dass bei diesem Kleid etwas anders ist. „Ja, das ist es“, sprudelt es aus der ersten heraus. Die andere nickt stumm. „Und der Preis“, fragt die Mutter, die inzwischen angesichts der Preise fast der Ohnmacht nahe ist. „Das Modell Bolero kostet nur 527 Euro“, informiert die Verkäuferin. „Aber sie können ja in unser Café gehen und dort nochmal in Ruhe überlegen.“

Drei Kaffee, eine Apfelschorle und für die Mutter ein Radler später stehen die fünf Frauen wieder im Verkaufsraum. „Wir nehmen das letzte Kleid und die dazu passenden Schuhe“, seufzt die Brautmutter. Alles hat seinen – leicht heruntergehandelten – Preis, aber dafür wird ihre Tochter auch eine wunderschöne Braut und sie wird ihren Freundinnen erzählen können, dass sie endlich auch in Tellingstedt war. Rebecca Bellano


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