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25.05.13 / Die spröde Marianne

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 21-13 vom 25. Mai 2013

Gastbeitrag
Die spröde Marianne
von Norbert Breuer-Pyroth

Angesichts der in deutschen Ohren neuerdings befremdlich „germanophobe“ (französisch: deutschfeindlich) klingenden Äußerungen sozialistischer französischer Politiker, drängt sich die Frage auf: Ist die deutsch-französische Freundschaft in Zeiten der Euro-Krisen gefährdet, am Ende gar ein Auslaufmodell – oder wird sie unverrückbar stabiler Anker der europäischen Einigung bleiben? Der französische Generalkonsul im Saarland, Frédéric Joureau, ist ein sympathischer, agiler Herr. In seinem Amtssitz von zwei Fotos eingerahmt – einem des Staatspräsidenten und eines des nicht nur die Saarländer beunruhigenden Kernkraftwerks Cattenom – ist er überzeugt: „Es gibt keine bessere Antwort auf diese Frage als: Nein, keinesfalls. Wir haben seit 50 Jahren stetig bewiesen, welch’ gewichtige Rolle das deutsch-französische Paar zugunsten Europas spielt; insbesondere eben auch seit dem Ausbruch der finanziellen und wirtschaftlichen Krise, selbst wenn die Presse sich mitunter um die sogenannten ‚Zündungsprobleme‘ des deutsch-französischen Motors sorgt.“ Und mit dem französischen Premierminister Jean-Marc Ayrault ist er sich einig: „Um dem europäischen Projekt neuen Schwung zu geben und den Weg zurück zum Wachstum zu finden, ist die deutsch-französische Freundschaft zentral.“

Nichtsdestotrotz ist Feuer unter dem Dach und Staatspräsident François Hollande höchstpersönlich musste den Brandherd austreten, den einige seiner besonders linken Parteigenossen angefacht hatten, als sie Kanzlerin Angela Merkel „egoistische Unnachgiebigkeit“ vorwarfen und zeterten, sie denke „einzig an die Spareinlagen jenseits des Rheins, die deutsche Handelsbilanz und ihre eigene politische Zukunft“. Industrieminister Arnaud Montebourg ließ wissen, die deutsche Lohnzurückhaltung sei „unfair gegenüber den Nachbarländern“. Hollande selbst räumte lediglich „Spannungen auf freundschaftlichem Niveau“ im deutsch-französischen Gespann ein.

Zu den besonnenen Stimmen zählt der französische EU-Kommissar Michel Barnier; er empfahl den Kritikern, doch „lieber einmal genauer hinzusehen, was in Deutschland funktioniere statt zu kritisieren“ und „es gebe keinen Ausweg aus der möglichen Krise in Europa als eine konstruktive Zusammenarbeit zwischen Frankreich und Deutschland“. Finanz- und Wirtschaftsminister Pierre Mos­covici sprang ihm bei und sprach sich für einen „anspruchsvollen Dialog mit Deutschland“ aus. Er widersprach dabei der Vorstellung, dass die französischen wirtschaftlichen Probleme vornehmlich von Deutschland verursacht wären. Der frühere Außenminister Alain Juppé warnte vor der „tödlichen Gefahr eines Bruchs mit Deutschland“, da er Frankreich völlig isolieren würde. Von François Mitterrand stammt der eherne Satz: „Frankreich muss seinen Rang in der Welt beibehalten!“ Für sein Land ist es schmerzlich, wirtschaftlich so stark hinter den deutschen Nachbarn zurückgefallen zu sein. Fatal dabei, dass die Franzosen sich wirtschaftlich (und sportlich) stets mit den Deutschen, kaum je aber mit Italienern, Spaniern oder Engländern vergleichen.

Obwohl Frankreich für Deutschland weiterhin unangefochten der weltweit ergiebigste Exportmarkt bleibt (sehr deutlich vor den USA und den Niederlanden, China auf Rang fünf), waren jüngst nur noch 25 Prozent der Deutschen überzeugt, es sei das wichtigste Partnerland – 2003 waren es noch 45 Prozent. Jacques-Pierre Gougeon, Forschungsleiter am Pariser Institut des Relations Internationales et Stratégiques, im TV-Sender Arte: „Das Bild, das man heute in Deutschland von Frankreich hat, ist das eines Landes mit schwindenden Kräften. Frankreich wird als ein Land wahrgenommen, das bemüht ist, eine Rolle zu spielen, die es gar nicht mehr hat.“

Als vorschnell und unsensibel müssen Forderungen betrachtet werden, Frankreich aus der Euro-Zone auszuschließen. Eine solche Schmach, gerade von deutscher Seite ausgelöst, würde uns unser unverzichtbarer Partner grimmig nachtragen, ja könnte zu heftigen Reaktionen bei einem Großteil auch jener Franzosen führen, die bislang eine positive Meinung zu Deutschland hegen. Schon die Nichteinladung des Präsidentschaftskandidaten Hollande durch Kanzlerin Merkel war ein unverzeihlicher diplomatischer Fehler. Andererseits war der eher glücklos agierende, in Frankreich gegenwärtig arg unbeliebte Hollande selbst keineswegs unschuldig daran, hatte er sich im Wahlkampf doch mokiert: „Seit einigen Monaten ist Frau Merkel diejenige, die entscheidet, und Herr Sarkozy derjenige, der ihr darin folgt.“ Und er legte nach: „Frankreich hat sich Deutschland unterworfen“. Den deutsch-französischen Freundschaftsvertrag von 1963 wollte er gar durch ein neues Abkommen ersetzen.

Wer annimmt, Franzosen und Deutsche seien schon vom Verhalten her von Grund auf unterschiedlich, hat nicht unrecht. So nah und doch so fern? Es beginnt mit einem gravierend unterschiedlichen Zeitverständnis. Wissenschaftlich betrachtet sind Deutsche monochron, Franzosen polychron. Monochrone, eher nordische Völker, erledigen eine Aufgabe auf einmal, lieben genaue Planung und vor allem keine Überraschungen; sie identifizieren sich mit ihrer Arbeit. Polychrone sind eher südeuropäischer Herkunft, tun vieles gleichzeitig und empfinden Zeit als eine Aufeinanderfolge von Ereignissen, die untereinander kaum verbunden sind; sie identifizieren sich mit ihrer Familie und ihren Freunden. Monochrone Deutsche sind arbeitsmäßig stärker teamfähig als polychrone Franzosen, Letztere sind Machtspielereien eher zugetan. En passant: In monochronen Ländern werden mehr Versicherungen abgeschlossen und sind mehr Psychotherapeuten in Arbeit. Klischees taugen nur zur Beschreibung von Gruppen, niemals eines Individuums. Wie sehen nun diese französischen Vorurteile in diesen Tagen aus? Wie immer – sie haben sich über Dekaden hinweg wenig geändert: Deutsche sind schwerfällig, arbeiten mehr als die Franzosen, sind pingeliger, brüsk, humorlos, kritikunempfänglich, inflexibel, risikoscheu, zu direkt, taktlos und schrecklich besserwisserisch. Sie sind – positiv gesehen – präzise, gründlich, verlässlich und höflich (was auch von ihrem Halten an Zebrastreifen herrühren mag). In einer satirischen Fernsehsendung auf Canal+ wandte sich vor einem Jahr „Angela Merkel“ – auf dem Stuhle des französischen Präsidenten vor der Trikolore prangend – an die Franzosen. Zu Klängen der „Marseillaise“ wies sie die Franzosen schnaubend zurecht, die spaßigen Zeiten seien vorüber, jetzt gehe es an die „Arbeit“. Und sie selbst kümmere sich um alles. Mit deutschen Fähnlein winkende Franzosen – unter ihnen der vormalige Präsident Sarkozy – begrüßten sodann jubelnd und unter dem Ruf „Merci, les Allemands“ eine Kolonne Bundeswehr-Panzer, die mit Blasmusik nach Frankreich einzieht.

In der Tat ist es verdrießlich, in diesen Tagen miterleben zu müssen, wie in Frankreich wieder einmal verblichen gewähnte Ressentiments gegenüber Deutschland hervorgekramt werden; doch bloß von wenig verantwortungsvollen, teils historisch offenkundig nicht ausreichend vorgebildeten Politikern. Die auftretenden Aggressionen – gerade eben auch aus südlich-polychronen Ländern – gegen die Deutschen sind sachlich gesehen kaum gerechtfertigt und werden hierzulande denn auch mit Kopfschütteln hingenommen. Gottlob gelassen.

Der Autor arbeitet als selbstständiger internationaler Managementberater mit Schwerpunkt Deutschland/Frankreich. Daneben ist er als Dozent, Publizist und Fachbuchautor tätig. Außerdem schreibt er belletristisch.


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