19.04.2024

Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung

Suchen und finden
25.05.13 / Fehlgedeutet und missverstanden / Die Geschichte der Litauischen Nationalen Union: Von einer Splittergruppe zur Staatspartei

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 21-13 vom 25. Mai 2013

Fehlgedeutet und missverstanden
Die Geschichte der Litauischen Nationalen Union: Von einer Splittergruppe zur Staatspartei

In seiner Dissertation „Die Litauische Nationale Union – Porträt einer (Staats-)Partei“ beschreibt der Historiker Michael H. Kohrs vordergründig die Entwicklung der litauischen Parteienlandschaft von den Anfängen im 19. Jahrhundert bis zur Annexion Litauens durch die Sowjetunion 1940, de facto aber die Geschichte Litauens von 1920 bis 1940. Besondere Aufmerksamkeit findet die „Litauische Nationale Union“, welche sich nach dem Militärputsch von 1926 von einer kleinen Honoratiorensplitterpartei hin zu einer staatstragenden Partei entwickelte, deren Mitgliedschaft für alle litauischen Staatsdiener, litauische Nationalisten, aber auch alle an wirksamer Kommunalpolitik Interessierten fast ein Muss war.

Kohrs beherrscht die litauische Sprache und kann folglich im Gegensatz zu anderen deutschen Historikern Quellen und neueste litauische wissenschaftliche Literatur im Originaltext nutzen. So gelingt es ihm immer wieder, die Auffassungen von namhaften Historikern wie Manfred Hellmann und Wolfgang Wippermann zu korrigieren. Die in Deutschland kaum bekannte Geschichte des litauischen Staatswesens der Zwischenkriegszeit, eines agrarisch geprägten Kleinstaates, erscheint dadurch in neuem Licht. Politisch eingeklemmt zwischen der Sowjetunion, Polen und Deutschland musste sich Litauen in seiner Existenz behaupten. Zu dieser komplizierten Situation trugen viele Fehler der chauvinistisch gesinnten litauischen Führungsschichten bei. Wegen der Wilna-Frage lebte man seit Anbeginn in Todfeindschaft mit dem Polen des Militärdiktators Jozef Pilsudski. Zur Sowjetunion bezog man eine eigenwillige Haltung, und der Vorgänger der späteren Staatspartei LTS schreckte aus Polenfeindschaft nicht davor zurück, klammheimlich zur Parteienfinanzierung sowjetisches Geld anzunehmen.

Um ein Stück Ostseeküste nebst Hafen und etwas Industrie zu ergattern, okkupierte man 1923 wider jegliches internationales Recht das Memelland. Obwohl zu 50 Prozent von ethnischen Litauern besiedelt, wollte aber im einst deutschen Memelland kaum jemand zu Litauen gehören, und so hatte sich Litauen zu seinen vielen sonstigen Problemen noch einen politischen Dauerkonflikt mit Deutschland aufgehalst, bis Hitler Anfang 1939 das Memelland triumphal „heim ins Reich“ holte. Litauen verstand es gut, seine außenpolitischen Feindschaften zu pflegen, war aber erfolglos im Gewinnen von Bundesgenossen.

Der 1926 vom Militär an die Macht geputschte Präsident Antanas Smetona war zwar im Lande zeitweise recht populär, doch das Land erfolgreich politisch und wirtschaftlich zu entwickeln, das gelang ihm einfach nicht. Dennoch wäre es verfehlt, wie es beispielsweise die sowjetische Geschichtsschreibung tat, Litauen von 1926 bis 1940 als eine „faschistische“ oder zumindest „profaschistische“ Diktatur anzusehen. Im Lande wurden zwar Kommunisten und Sozialdemokraten verfolgt, doch ebenso war, wie der Autor schreibt, Hitlers „Mein Kampf“ verboten. Gegen Deutschland wurde ab 1934, wie wir heute wissen, eifrig Militärspionage getrieben und die litauische Armee auf 30000 Mann, ein Drittel der Stärke der deutschen Reichswehr, hochgerüstet. Litauen muss man folglich im Unterschied zum Hitlerschen Deutschland oder dem Italien Mussolinis eher als autoritäre Präsidialdiktatur im Verbund mit einer vorherrschenden Staatspartei betrachten. Im Lande existierten noch gewisse politische Grundrechte inklusive Wahlen und bemerkenswerterweise keinerlei rassistische Unterdrückung. Alles dies beschreibt auf quellenmäßig gut belegter Grundlage Michael H. Kohrs in seinem Buch, das wohl das Beste darstellt, was man derzeit in deutscher Sprache zum Litauen der Zwischenkriegszeit finden kann. Jürgen W. Schmidt

Michael H. Kohrs: „Die Litauische Nationale Union – Porträt einer (Staats-)Partei. Die Litauische Nationale Union (LTS) und ihre Bedeutung für das autoritäre Regime der Zwischenkriegszeit in Litauen 1924 bis 1940“, Peter Lang, Frankfurt/M. 2012, 374. Seiten, 59,95 Euro


Artikel per E-Mail versenden
  Artikel ausdrucken Probeabobestellen Registrieren