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01.06.13 / Wenn Shakespeare die Ehre verletzt / Bericht über ein Theaterprojekt in Afghanistan – Vor allem die Männer hatten viele Vorurteile

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 22-13 vom 01. Juni 2013

Wenn Shakespeare die Ehre verletzt
Bericht über ein Theaterprojekt in Afghanistan – Vor allem die Männer hatten viele Vorurteile

Am 8. September 2005 berichteten Medien in aller Welt über die Uraufführung eines Shakespeare-Stückes in Kabul. Es war die erste professionelle Theateraufführung nach dem Fall des Taliban-Regimes, und die Presse-Berichte ließen durchblicken, dass das Ereignis als eine Feier zur Vertreibung der Taliban verstanden wurde. Erstmals seit 30 Jahren standen in dem von Kriegen und Terror schwer heimgesuchten Land wieder Männer und Frauen gemeinsam auf einer Bühne. Ideen, Mut und Engagement aller Mitwirkenden, besonders aber der Schauspielerinnen, waren vonnöten, um Shakespeares Komödie „Verlorene Liebesmüh“ in eine für die afghanische Gesellschaft geeignete Fassung umzugestalten, einzuüben und einem Publikum zu präsentieren, das weder Shakes-peare kannte noch mit dem Humor der englischen Gesellschaft um 1600 vertraut war. Dabei wurden auch die Handlungsorte nach Afghanistan verlegt.

Über die Vorbereitungen und Darbietungen einer der wohl ungewöhnlichsten Shakespeare-Inszenierungen aller Zeiten haben zwei der Beteiligten ein lesenswertes Buch mit dem Titel „Shakespeare in Kabul. Ein Aufbruch in drei Akten“ geschrieben: der amerikanische Journalist und Entwicklungshelfer Stephen Landrigan und der afghanische Journalist Qais Akbar Omar. Während Landrigan für die Übersetzung des Textes in die Landessprache Dari durch ein Übersetzerteam sorgte, wirkte Letzterer neben der französischen Theaterschauspielerin Corinne Jaber, die Regie führte, als Co-Regisseur an der Einstudierung des Stückes mit und fungierte als Dolmetscher. Die Idee, Shakespeare in Kabul aufzuführen, hatten Jaber und Landrigan, als sie sich 2004 in der afghanischen Kulturstiftung „Foundation für Culture and Civil Society“ in Kabul kennenlernten. Jaber veranstaltete damals einen Kursus für afghanische Schauspieler. Als Förderer des Projekts „Shakespeare in Kabul“ gewannen die beiden Organisatoren die afghanische Kulturstiftung, das Goethe-Institut und andere Geldgeber.

Landrigans Beiträge sind durchgehend durchdrungen von einer den Afghanen und ihrer Kultur zugewandten Haltung, während Qais Akbar Omar als ausgesprochen guter und neutraler Beobachter des Geschehens ernsthaft und sachlich über die Menschen, Ereignisse und Orte berichtet, an denen geprobt und gespielt wurde. In Kabul probte das Team meist im Garten der Kulturstiftung, der zu einem Herrenhaus gehört, dem Sitz der Kulturstiftung, und vor rund hundert Jahren in der Nachfolge jener herrlichen Gärten angelegt wurde, die auf Babur, den ersten Mogulkaiser Indiens, zurückgehen. Vor der Kulisse des Gebäudes fanden dann auch die drei Kabuler Aufführungen statt.

Bei jeder Regieanweisung der Spielleiter war Rücksichtnahme auf bestehende Traditionen gefordert. In dem nach wie vor innerlich zerrissenen Land stößt der geistige Horizont vieler, besonders der ungebildeten Menschen, überall dort an seine Grenzen, wo der Verdacht wachgerufen wird, jemand hätte die Regeln und Gebote der islamisch geprägten Gesellschaft gebrochen. Quais Omar beschreibt als Ursachen für die häufigen Streitigkeiten während der Proben tief verwurzelte Vorstellungen der männlichen Schauspieler, die häufig Ehre und Rangfolgen betrafen. Das Kabuler Publikum belohnte ihre Mühen jedoch mit frenetischem Applaus. Bei der anschließenden Gastspielreise in den rückständigen Norden des Landes kamen in Herat, anders als in Mazar-i-Sharif, fast so viele Frauen wie Männer zur Vorstellung. Damit, so betonen die Autoren, hatten sie eines der Ziele erreicht, um derentwillen sie das Projekt in Angriff genommen hatten.

Einige Jahre später studierte Jaber mit denselben und einigen anderen Schauspielern Shakespeares „Komödie der Irrungen“ ein – in Indien, wegen der häufigen Terroranschläge. Im Mai 2012 verließ die Gruppe Afghanistan, um ihre neue Produktion im Londoner Globe Theatre und beim Shakespeare-Festival in Neuss zu präsentieren. Dagmar Jestrzemski

Stephen Landrigan, Qais Akbar Omar: „Shakespeare in Kabul. Ein Aufbruch in drei Akten“, Unionsverlag, Zürich 2013, geb., 250 Seiten, 19,95 Euro


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