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08.06.13 / »Nicht unser Krieg« / Türkei plant eigenes Lager für christliche Syrienflüchtlinge, auch weil diese sich gegen Rekrutierungen wehren

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 23-13 vom 08. Juni 2013

»Nicht unser Krieg«
Türkei plant eigenes Lager für christliche Syrienflüchtlinge, auch weil diese sich gegen Rekrutierungen wehren

Falls die islamistische Al-Nusra-Front weiter auf die syrische Provinzhauptstadt Hassake vorstößt, könnten zehntausende Christen den Nordosten Syriens verlassen. Für sie plant die Türkei jetzt ein separates Flüchtlingslager am Berg Tur Abdin. Das dortige zentrale Kloster Mor Gabriel, das bei der Betreuung dieser Flüchtlinge eine wichtige Rolle spielen soll, soll jedoch weiter enteignet werden.

Die Türkei bietet nicht nur den dschihadistischen „Rebellen“ freie Hand, ihr Land als Aufmarschbasis für ihren „Heiligen Krieg“ in Syrien zu benutzen, auch in den Flüchtlingslagern erlaubt die Türkei offenbar den verschiedenen „Rebellen“-Gruppen den Zugriff auf die etwa 400000 in der Türkei lebenden Syrienflüchtlinge. Die meisten Lager werden wie der gesamte Norden Syriens von „Rebellen“ kontrolliert, die auch geflüchtete junge Männer in der Türkei rekrutieren und zum Kämpfen über die Grenze zurück nach Syrien schicken. Die syrischen Christen wollen jedoch nicht kämpfen, da das nicht ihr Krieg ist.

Nach dem Druck von christlichen Verbänden plant die Türkei jetzt ein eigenes Flüchtlingslager für syrische Christen am Tur Abdin, dem „Berg der Gottesknechte“, der sich direkt gegenüber der syrischen Stadt Qamischli befindet. Die Arbeiten zur Errichtung der Flüchtlingslager sind in vollem Gange; ein Eröffnungsdatum gibt es jedoch noch nicht.

In der syrischen Provinz Hassake, der nordöstlichsten Provinz von Syrien, ist mit 20 Prozent der Anteil der Christen von allen syrischen Provinzen am größten, hier liegt er etwa doppelt so hoch wie im Landesdurchschnitt. Die große Mehrheit der Christen im Nord-osten der Türkei sind aramäische oder armenische Christen, die erst vor wenigen Generationen aus der Türkei oder anderen Ländern des Nahen Ostens als Flüchtlinge in das unter französischem Mandat stehende Syrien gekommen waren. Einige Städte wurden erst in dieser Zeit durch Christen gegründet. Kurden und Araber sind erst nach dem Aufbauwerk der Christen in diese Städte zugezogen. Die meisten armenischen und aramäischen Christen haben es nicht sehr weit von ihren alten Wohnorten in die neue Heimat, von den Städten Qamischli und Ras al-Ain aus kann man sogar auf türkisches Territorium schauen, denn beides sind zwischen einem türkischen und syrischen Siedlungskern geteilte Städte. Viele der auf syrischer Seite lebenden Christen hatten auch in der Vergangenheit sehr intensive Kontakte in die türkischen Grenzregionen. Das Hauptkloster Mor Gabriel, in dem auch der syrisch-orthodoxe Bischof des Tur Abdin seinen Sitz hat, wurde von mehr syrischen als von einheimischen Christen besucht.

Als im November 2012 nach dem Abzug der Assad-Armee aus der Stadt Ras al-Ain an der türkischen Grenze erstmals Kämpfe zwischen Kämpfern der Al-Nusra-Front und kurdischen Selbstschutzverbänden ausgebrochen waren, flohen die etwa 20000 Christen der Stadt nicht etwa in die nur wenige Hunderte Meter entfernte Türkei, weil sie von dort die islamistischen „Rebellen“ hatten kommen sehen, sondern in die fast 100 Kilometer entfernte Provinzhauptstadt Hassake. Den Al-Nusra-Kämpfern war es von Ras al-Ain aus auch gelungen, in das 30 Kilometer südlich gelegene Siedlungsgebiet der Assyrer am Khabur-Fluss vorzudringen, wo sie sich in dem zentralen Ort Tel Tamar eingenistet haben.

Die Kämpfe in Ras al-Ain waren die ersten gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen Kurden und Islamisten im syrischen Bürgerkrieg, sie zogen sich bis zum Februar hin, bis es dem christlichen Oppositionsführer Michel Kilo gelang, einen Waffenstillstand zu vermitteln. Solange der Waffenstillstand hält, fühlen sich die Christen sicher, denn unter den Kurden, einem zwar muslimischen Volk, das jedoch auch seit Jahrhunderten von türkischen und arabischen Herrschern unterdrückt wurde, haben die Christen viele Schicksalsgenossen. Mit den Kurden hatten die Christen zumindest in Syrien seit Jahrzehnten friedlich zusammengelebt.

Die „Rebellen“ scheinen die Stadt Qamischli offenbar den Kurden zu überlassen, denn die Stadt befindet sich in Sichtweite westlicher Beobachter, was die Islamisten abschreckt. Bei Hassake, das sich 100 Kilometer von der türkischen Grenze entfernt noch als Enklave in den Händen der Assad-Armee befindet, könnte dies anders sein. Für diese Stadt interessieren sich die Kurden und die Islamisten, immerhin beherrscht die Al-Nusra-Front bereits zwei Nachbarprovinzen, wo in einigen Regionen bereits die Scharia angewendet wird. Sollte Hassake in die Hände der Islamisten fallen, würden wohl viele der dortigen 40000 bis 50000 Christen den Weg ins Exil wählen, dann würde ein christliches Flüchtlingslager in der Türkei schnell aus allen Nähten platzen.

Fast zeitgleich mit den ersten Meldungen über die Errichtung eines ersten Flüchtlingslagers für Christen bei Midyat kam am 24. April das Urteil des türkischen Kreisgerichts Midyat, in dem es die Beschlagnahme der Klostermauer des Klosters Mor Gabriel anordnet. In dem seit 2008 andauerndem Rechtsstreit des Klosters mit einigen Nachbargemeinden hat das Kloster bereits zwei Drittel seines Landbesitzes verloren. Dem Klosterverwalter wird jetzt zusätzlich vorgeworfen, die Klostermauer auf Staatsforst errichtet zu haben. Das Kloster hat Berufung beim Obersten Gerichtshof in Ankara eingelegt. Obwohl mehrere hohe Politiker, zuletzt Bundeskanzlerin Angela Merkel bei ihrem Staatsbesuch im März, persönlich auf die Bedeutung des Klosters für die aramäische Weltgemeinschaft hingewiesen hat und bereits mehrmals Lippenbekenntnisse türkischer Regierungsmitglieder erreicht wurden, hat sich juristisch die Situation für das Kloster verschärft. Unterdessen wurde jetzt bekannt, dass der türkische Staat die Zugangsstraße zum Kloster von Midyat aus, die die Mönche vor einigen Jahrzehnten selbst gebaut hatten, erstmals auf Staatskosten renovieren lassen möchte. Offenbar möchte man bei einem Anstieg der Flüchtlingszahlen auch den Zugang zum Kloster, das bei der Betreuung der Flüchtlinge eine wichtige Rolle spielen wird, verbessern. Insgesamt aber bleibt die Rolle der türkischen Regierung in ihrem Verhältnis zur aramäischen Minderheit zweideutig. Bodo Bost


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