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15.06.13 / Kampf der »Jungen Wilden« / Der Sommer bringt Glücksgefühle auch bei Pferden – Bevor aber die Hengste auf die Bergalmen gehen, wird das Leittier ermittelt

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 24-13 vom 15. Juni 2013

Kampf der »Jungen Wilden«
Der Sommer bringt Glücksgefühle auch bei Pferden – Bevor aber die Hengste auf die Bergalmen gehen, wird das Leittier ermittelt

Hengstkämpfe sind spektakulär, aber selten zu sehen. In Österreich hat man dazu gleich zweimal Gelegenheit: beim Noriker-Hengstauftrieb von Kirchberg in Tirol am 16. Juni und von Rauris im Salzburger Land am 22. Juni.

Erst beschnuppern sie sich, dann brechen alle Dämme. Die Hengste bäumen sich auf, strecken die Vorderbeine in die Luft und das wilde Gerangel beginnt – den Zuschauern stockt der Atem. Der Kampf ist heiß und er kann dauern. In der Regel allerdings genügt etwa eine Stunde, bis sich das wilde Treiben wieder beruhigt hat. Bis der stärkste Hengst sich durchgesetzt hat und von den anderen Hengsten als Leithengst akzeptiert wird.

Um die vor Kraft strotzenden Deckhengste den Sommer über vor langwierigen Rangkämpfen zu bewahren, werden sie gleich zu Beginn der Almsaison in den Ring gebeten. Im Zweikampf ermitteln sie untereinander den Chef, dem sie sich die nächsten Wochen unterordnen. Dadurch ist sichergestellt, dass es in der restlichen Almzeit keine aufwendigen und gefährlichen Rangkämpfe mehr gibt. Anschließend werden die Hengste auf die Hochalm getrieben, wo sie dann friedlich miteinander den Sommer verbringen.

Seine wertvollen Deckhengste in den Ring zu schicken, dürfte nur wenigen Zuchtverbänden in den Sinn kommen. Doch die imposanten Schaukämpfe sehen gefährlicher aus als sie sind, wie Johann Wieser, Geschäftsführer des Landespferdezuchtverbandes Salzburg, meint: „Es wird gebissen, getreten und gezwickt, doch Verletzungen gibt es keine, da ausschließlich Hengste aufgetrieben werden, die ihre Jugend in der Herde verbracht haben und somit ein ausgeprägtes Sozialverhalten besitzen und sich in eine Rangordnung einfügen können.“

Letztes Jahr konnte Titan Vulkan XVII. seinen Titel als Leit­hengst im Raurisertal mit Bravour gegen zehn seiner Kollegen verteidigen. Für Kenner war relativ schnell ersichtlich, dass der damals achtjährige Hengst ruhig, aber dominant als Sieger hervorging. Dass ein Nachkomme des 1887 im Pinzgau geborenen braunen Hengstes Vulkan triumphierte, war keine allzu große Überraschung. Schließlich ist er ein Vertreter der zahlenmäßig stärksten Linie der Noriker Pferdezucht. Über 50 Prozent aller Noriker-Pferde gehören heute der Vulkan-Linie an.

Im Salzburger Land sind derzeit insgesamt 55 Noriker Deckhengste aufgestellt. Doch nur zehn bis elf Auserwählte werden ihren Sommerurlaub auf der Grieswies­alm beim Bodenhaus in Rauris-Bucheben verbringen dürfen und sich dabei in 1400 bis 1500 Meter Höhe von der Decksaison erholen und Muskeln aufbauen. „Die Alm gehört der Salzburger Pferdealmgenossenschaft Grieswies und umfasst rund 400 Hektar“, erklärt Johann Wieser und fährt fort: „Auf dieser Weidefläche werden rund 350 Rinder und 135 Pferde gealpt. Die Tiere sind dabei in Gruppen von rund 20 bis 30 eingeteilt. Die Hengste bilden eine separate Gruppe in einem besonders abgegrenzten Gebiet. Es ist so gelegen, dass sie keinen Kontakt zu den Stuten haben.“

Im Alpenraum gibt es nur zwei Hengstauftriebe dieser Art. Neben dem traditionellen Hengstauftrieb im Raurisertal reiht sich das Spertental in diesen Veranstaltungsreigen ein. Wie in den Vorjahren werden dort Mitte Juni sechs ausgewählte Deckhengste des Tiroler Norikerpferdezuchtverbandes auf die Stallbachkar-alm in Aschau bei Kirchberg aufgetrieben. Im Ring beweisen die voluminösen Tiere hier wie dort, dass auch Kaltblüter genügend Temperament besitzen. Daneben beeindruckt die europaweit einzigartige Farbenvielfalt der Noriker, die Mohrenköpfe, Blauschimmel mit schwarzem Kopf oder die gescheckten „Tiger“. Seit Bauern und ländliche Reiter diese Juwele (wieder-)entdeckt haben, feiern sie einen erneuten Siegeszug.

Obwohl oder gerade weil sie als Kulturgut besonders gehegt und gepflegt werden, genießt auch der Lipizzaner-Nachwuchs den Sommer auf der Alm. „Almkräuter be­ruhigen den Magen, fördern die Verdauung – und“, fügt der Gestüter leise hinzu, während er beherzt auf die Gesundheit anstößt, „stärken die Manneskraft.“ Seit Jahren verbringt der naturverbundene Steirer den Sommer zusammen mit den ein- bis dreijährigen Lipizzanerhengsten aus dem österreichischen Bundesgestüt Piber auf der Stub­alm in 1600 bis 1700 Meter Höhe. Bis 13. September bietet das Gestüt Piber täglich ab 16 Uhr eine Almtour zu den Lipizzaner-Junghengsten an.

Der Almsommer verschafft den jungen Hengsten ebenso wie den jungen Stuten auf der Brentlalm die notwendige Widerstandsfähigkeit, Ausdauer, Trittsicherheit sowie Genügsamkeit für ein gesundes, leistungsfähiges und langes Leben. Dabei kommt ein erwachsener Lipizzaner bei leichter bis mittlerer Arbeit mit drei Kilo Hafer pro Tag aus.

Wie angeklebt stehen die noch grau gefärbten Tiere am Hang und grasen still vor sich hin. Plötzlich heben sie den Kopf, drücken ihre Hufe vom Boden ab und rasen als wilde Horde über die steile Bergwiese hinein in den Wald. Ein Wunder, dass Knochen und Sehnen das aushalten. Aber schöner kann ein Pferdeleben kaum sein. Im Gegensatz zu den Norikern verbringen die etwa 50 Lipizzaner die Nacht in einem großen Laufstall. Auch ist ein Gestüter in Uniform als Hirte ab­gestellt. Er folgt den Youngstern zwar nicht im Galopp, doch hält er sie mit vollem Körpereinsatz und langer Peitsche oben auf der Stubalm von der Umzäunung fern.

Selbstverständlich folgen auch Pibers „Junge Wilden“ einem Leit­hengst. Doch der Prozess hier ist ein anderer. „Wollte man ihn verfolgen, bräuchte man viel Zeit und Geduld. Denn es dauert drei bis vier Monate bis der Leithengst feststeht. Die Tiere kennen sich ja bei uns von Geburt an. Die Machtkämpfe beginnen zwischen Fe­bruar und März, Ende April/Anfang Mai steht der Leit­hengst fest“, so Obergestütsmeister Harald Neukam. „Um den Posten ge­rungen wird im Freien sowie in den Stallungen. Mit Raufereien, aber auch taktischen Überlegungen, das heißt nicht nur Kraft ist hier entscheidend.“ Lipizzaner sind eben Tiere edlen Geblüts. Helga Schnehagen


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