18.04.2024

Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung

Suchen und finden
22.06.13 / Kopfloser Staatsglaube / In Hamburg und Berlin fordern Bürgerinitiativen den Rückkauf der Netze – Folgekosten nicht berücksichtigt

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 25-13 vom 22. Juni 2013

Kopfloser Staatsglaube
In Hamburg und Berlin fordern Bürgerinitiativen den Rückkauf der Netze – Folgekosten nicht berücksichtigt

Lag die Privatisierung öffentlich-rechtlicher Unternehmen in den 90er Jahren im Trend, so ist es heute deren Rekommunalisierung, sprich deren Rückkauf. Doch vieles deutet darauf hin, dass nun bei der Rekommunalisierung ähnliche Fehler gemacht werden wie bei der Privatisierung zwei Jahrzehnte zuvor.

Das Bauchgefühl vermittelt sofort Zustimmung. Natürlich soll die Stadt die regionalen Versorgungsnetze von den großen Konzernen zurückkaufen. Denkt der Durchschnittsbürger an die Preisentwick-lung bei Strom, Wasser oder Fernwärme und erinnert sich an die Milliardengewinne, die die Konzerne machen, dann erscheint es als verheißungsvoll, wenn die eigene Stadt die Netze zurückkauft.

Auf dieses Bauchgefühl setzen derzeit mehrere Bürgerinitiativen. Da derzeit viele der zumeist für 20 Jahre vergebenen Lizenzen für das Betreiben von regionalen Versorgungsnetzen auslaufen, stellt sich in vielen Kommunen und Städten die Frage, ob man die Netze zurückkauft. Laut einer Erhebung des Verbandes kommunaler Unternehmen wurden daher auch für diesen Zweck bereits zahlreiche kommunale Energieversorgungsunternehmen neu gegründet oder bestehende Stadtwerke mit neuen Aufgaben betraut. Laut anderen Quellen sollen zwischen 2007 und 2012 schon 170 Netze rekommunalisiert worden sein, so dass inzwischen gut die Hälfte aller Versorgungsnetze wieder in öffentlich-rechtlicher Hand liegt.

Zur Bundestagswahl am 22. September dürfen nun auch die Bewohner der beiden größten deutschen Städte in einem Volksentscheid darüber abstimmen, ob ihre Netze nach Ablauf der verschiedenen Lizenzen 2015 beziehungsweise 2016 zurückgekauft werden sollen. Während es dem „Berliner Energietisch“ nur um den Rückkauf der Stromnetze geht, will die Initiative „Unser Hamburg – unser Netz“ gleich Strom-, Gas- und Fernwärmenetze zurück im Besitz der Stadt sehen.

Da sich die in die Privatisierung gesetzten Hoffnungen bezüglich besserer Qualität und niedrigerer Preise nicht erfüllt haben, sind laut Umfrage des „Hamburger Abendblatts“ 65 Prozent der Hamburger für den Rückkauf. Doch da selbst knapp 90 Tage vor der Abstimmung weder Werbung für noch gegen die Volksabstimmung gemacht wird, sind die wenigsten Hamburger informiert. Zwar ist Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) gegen einen vollständigen Rückkauf, er will nur eine Beteiligung in Höhe von 25,1 Prozent halten, die die verschuldete Stadt bereits 543 Millionen Euro kostet, und auch die CDU ist dagegen, doch beide Parteien werben nicht für ihre Argumente. Da das Thema emotional belegt ist und viele Bürger gegenüber renditeorientierten Unternehmen misstrauisch geworden sind, spricht vieles dafür, dass die meisten Bürger wenn nicht aus Überzeugung, so doch aus dem Bauchgefühl heraus für die Rekommunalisierung stimmen. Wer sich also medienwirksam dagegen ausspricht, dem droht am 22. September eine politische Niederlage. In Berlin und Hamburg sind es daher nur die Handelskammern, die darauf hinweisen, dass ein Rückkauf keinen Mehrwert brächte. Weder für den Klimaschutz noch für die Versorgungssicherheit oder die Verbraucherpreise bringe ein Rückkauf Vorteile, berge gleichzeitig aber erhebliche finanzielle Risiken, betont Hamburgs Handelskammer-Präses Fritz Horst Melsheimer.

In Berlin würde ein Rückkauf der Stromnetze laut Bürgerinitiative 400 Millionen Euro kosten, der jetzige Betreiber Vattenfall hält drei Milliarden für wahrscheinlicher. In Hamburg wird von zwei Milliarden Euro ausgegangen. Keine der beiden verschuldeten Städte verfügt über diese Summe. „Unser Hamburg – unser Netz“, zu deren Bündnispartnern neben der Diakonie und der Verbraucherzentrale die Klimaschutz-Initiative „Go for Climate“, Greenpeace, Robin Wood, der BUND, mehrere Anti-Atomkraft-Initiativen und das globalisierungskritische Netzwerk „attac“ zählen, sieht das aber nicht als Problem: „Um den Rückkauf zu finanzieren, kann ein städtisches Unternehmen einen günstigen Kommunalkredit aufnehmen und diesen über die Jahre aus den Einnahmen abzahlen. Der Hamburger Haushalt würde also nicht belastet.“

Dabei wird aber übersehen, dass die Netze von der Bundesnetzagentur streng reguliert werden. Die Netzentgelte, die übrigens nur 20 Prozent des Strompreises ausmachen, werden von der Behörde vorgegeben, so dass nach Abzug der Betreiberkosten eine Rendite von rund sieben bis neun Prozent wahrscheinlich ist. Doch da von den Einnahmen noch Zins und Tilgung für einen Milliardenkredit abgebucht werden, liegt die Rendite laut einer von der Berliner Industrie- und Handelskammer in Auftrag gegebenen Studie bei höchstens einem Prozent. Davon, dass wegen der Energiewende in eine Modernisierung der Netze investiert werden muss, was viel Geld kostet, ist bei „Unser Hamburg – unser Netz“ nicht die Rede. Dabei soll doch der Netz- rückkauf vor allem der Beschleunigung der Energiewende dienen. Laut Hamburger Handelskammer ist eine Förderung des Klimaschutzes aber auf diesem Wege nicht möglich, denn da die Bundesnetzagentur fast alles regelt, haben die Betreiber kaum Einflussmöglichkeiten. Und schon jetzt ist gesetzlich vorgesehen, dass Strom aus Erneuerbaren Energien vorrangig zu behandeln ist.  Rebecca Bellano


Artikel per E-Mail versenden
  Artikel ausdrucken Probeabobestellen Registrieren