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22.06.13 / Spielwiese für den Nachwuchs / Wo gehobelt wird, fallen Späne – Auf Nebenbühnen, wie der »Tischlerei« an der Deutschen Oper Berlin, entsteht neues Theater

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 25-13 vom 22. Juni 2013

Spielwiese für den Nachwuchs
Wo gehobelt wird, fallen Späne – Auf Nebenbühnen, wie der »Tischlerei« an der Deutschen Oper Berlin, entsteht neues Theater

Immer mehr Opern- und Theaterbühnen hoffen, mit Nebenbühnen zusätzliche Einnahmen zu erwirtschaften. In ehemaligen Kantinen, Probenräumen oder Werkstätten darf sich der experimentierfreudige Nachwuchs austoben – oft auf Kosten eines gelangweilten Publikums. An der Deutschen Oper in Berlin wird nun auch in der „Tischlerei“ gespielt. Mit dem Eröffnungsstück „Mahlermania“ wurde jetzt auch die erste Saison auf der Studiobühne beendet.

Durch die Einsparungen der Opernstiftung wurde die Tischlerei an der Deutschen Oper Berlin ihres eigentlichen Zwecks be­raubt. Dafür wurde sie zur Spielstätte umgebaut und bietet vor einer weiten Bühnenfläche fast 400 Zuschauern Platz. Ihr Eingang liegt an der Rückseite des großen Opernhauses, an der Zillestraße gegenüber dem „Haus der Jugend“. Aus dem Eingangsraum gelangt man über eine alte Treppe und ein schmales Foyer von hinten in den neuen Theatersaal und blickt erst einmal direkt in das Gerüst der Zuschauertribüne. Die Anordnung gleicht den Sälen der Hamburger Kampnagelfabrik, eine der vielen stillgelegten, zu Theaterräumen umgewandelten Werkhallen in den 1980er Jahren.

So passte es, für die Einweihung dieser experimentell orientierten Bühne im November letzten Jahres mit „Nico and the Navigators“ eine Gruppe aus der freien Theaterszene zu beschäftigen. Das Musiktheater „Mahlermania“, das jetzt im Juni wieder auf dem Spielplan steht, droht aber unter einem Patchwork aus Einfällen die Musik zu begraben. Allein Gustav Mahlers bildhafte und leidenschaftliche Musik szenisch zu verstärken stellt schon ein Wagnis dar. Als Struktur dienen hier lediglich 16 neu arrangierte Elemente aus den Mahler-Sinfonien und -Liederzyklen. Weder eine Handlung oder eine Figurenzuordnung noch ein bestimmtes Werk Mahlers dürfen für ein Gerüst sorgen. Besetzt mit zwei Schauspielern und drei Tänzern sowie zwei hervorragenden Sängern (Katarina Bradic und Simon Pauly) und einem Kammerorchester des Deutschen Opernensembles, möchte die­se Inszenierung sich vage mit den Wechselwirkungen von Gustav Mahlers Le­ben und Werk be­schäftigen, verbeißt sich aber in dessen Ehekrise und müsste eigentlich „Almamania“ heißen.

Denn Alma Mahler, die vielzitierte und vielpersiflierte Muse großer Künstler vor 100 Jahren, keift hier schon in die ersten weichen Klänge aus dem dritten Satz der 4. Sinfonie mit spitzem Wiener Dialekt hinein. Worte und Töne erledigen sich gegenseitig. Während sich der Komponist als glutäugiger Jüngling konstant verzweifelt auf dem Boden verrenkt, trumpft Alma immer wieder auf. In ihrer jüngeren Version, als Tänzerin im roten Kleid, wirft sie sich einem anderen, für Eingeweihte als Walter Gropius erkennbar, an den Hals. Später beschimpft sie ihn als „piefigen Preußen“. Mahler dackelt derweil in einem Schafsmantel an der Hundeleine herum. Zum „Adagietto“ aus der 5. Sinfonie windet er sich in einen Yoga-Schulterstand. Wiederholt werden riesige Notenblätter geknüllt und geworfen, Fuchspelze spazierengetragen, Zigaretten angezündet, Siegmund Freuds Erkenntnisse zitiert, aber keine Worte über Mahlers Erfolge zu Lebzeiten verloren. Der verzweifelte Künstler verendet zum „Ab­schied“ aus dem „Lied von der Erde“ als Narziss-Version in einem schmalen Wasserbecken, aus dem sich Alma zuvor ihr Sektglas füllte, während Gropius in Badehose einen Kopfstand machte. So sonnt sich ein jeder in Mahlers Ruhm, den der Künstler selbst offenbar nicht verkraftet. Gleichzeitig wird er fotografiert, das Bild erscheint in Schwarz-Weiß auf einer großen Leinwand. Darunter sitzt das Orchester, von Gazewänden mit Diaprojektionen umzäunt, es gibt auch eine begehbare Balustrade, einen Teich und große bewegliche Holzelemente, die sich mal zu einem Komponierhäuschen, wie sie Mahler für seine Urlaubsorte anfertigen ließ, oder zu einem Bauhaus-Bungalow, wie sie Mahlers Rivale, der Architekt Walter Gropius, baute, umschwingen lassen. Mit ihren vielen Spielflächen besorgt die ambitionierte Bühnenkonstruktion von Oliver Proske die eigene Dekonstruktion.

Hier entstehen überdeutliche Bilder, die den vielen filmischen, gewichtig psychologisch deutenden Mahler-Auseinandersetzungen der letzten Jahre, wie etwa „Mahler auf der Couch“, nichts Neues hinzufügen. Ist es nicht einmal Zeit für eine Parodie auf die zahlreichen Mahler-Interpretationen von Percy Adlon über Thomas Mann und Ken Russell bis Visconti?

Stattdessen bleibt „Mahlermania“ jener Form von skizzenhaftem Bildertheater verhaftet, das vor 30 Jahren einmal „festgefahrene Sehgewohnheiten aufbrechen“ sollte, heute aber in seinem Aktionismus ermüdet.

Generell stehen die Nebenspielstätten großer Bühnen vor der nicht leichten Aufgabe, Experiment und Publikumszuspruch zu generieren. Vor einem Jahr standen die Finanzierungen für das „Studio“ des Maxim Gorki Theaters, für die „Skala“ des Leipziger Centraltheaters sowie für das „E-Werk“ des Leipziger Nationaltheaters auf der Kippe, alle drei bieten aber weiterhin Programm. Wie auch die Hamburger „Opera Stabile“, eine der ältesten Studiobühnen, der gerade von einer eigens gegründeten Bürgerinitiative vorgeworfen wird, zu wenige Innovationen und Veranstaltungen zu bieten. Die „Tischlerei“ der Deutschen Oper baut da vor, sie arbeitet gerade mit 80 Jugendlichen an einer Neuinterpretation von Wagners „Ring des Nibelungen“. D. Tackmann


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