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29.06.13 / Es ist still geworden in Spanien / Wie die Euro-Krise das einst fröhliche Land verändert hat – Bedrückende Impressionen aus Madrid

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 26-13 vom 29. Juni 2013

Es ist still geworden in Spanien
Wie die Euro-Krise das einst fröhliche Land verändert hat – Bedrückende Impressionen aus Madrid

Beinahe neun von zehn Spaniern finden, dass der deutsche Einfluss in der EU zu stark sei und mittlerweile ihrem Land mehr schade als nütze – lautet das Ergebnis einer britischen Umfrage. Bilder von Demonstrationen in den südlichen Staaten der EU scheinen zu bestätigen, dass der Ruf der Deutschen in Südeuropa gelitten hat, auch in Ländern, in denen die Deutschen traditionell hohes Ansehen genossen wie in Spanien.

So beschlich den Verfasser dieser Zeilen vor einem kürzlichen Besuch bei Freunden in Madrid ein Gefühl, das ihm zuvor bei Spanien-Reisen völlig fremd war: Die leise Furcht, Zielscheibe antideutscher Regungen werden zu können.

Die Befürchtung indes erwies sich als unbegründet. In einer ganzen Woche voller Gespräche und Begegnungen war, trotz manchmal grundsätzlicher Meinungsverschiedenheiten in der Sache, von Ressentiments, gar Feindseligkeit gegenüber Deutschland und den Deutschen nichts zu spüren.

Wohl aber von der schwierigen Lage der Menschen dort: Gegen-über dem letzten Aufenthalt im September 2011 hat sich die spanische Hauptstadt verändert, die Probleme haben im fünften Jahr der Krise Spuren hinterlassen, die nun kaum noch hinter der Fassade von spanischem Stolz und südlicher Leichtigkeit verborgen bleiben.

„Guck dir die Leute an, ganz anders als früher: hängende Schultern, Blick zum Boden“, macht mich einer meiner Gastgeber aufmerksam. Die Sorgen drückten die Leute nieder. Selbst altbekannte Alltagsgewohnheiten hätten sich geändert: Früher seien sie nach der Arbeit noch für fünf Euro in die Kneipe gegangen. Heute sind die Kneipen außerhalb der touristischen Zentren fast leer. Und sie schließen viel früher: Sind Spanier nicht Nachtmenschen? Haben wir uns nicht immer gefragt: Wann schlafen die eigentlich? Bis in den frühen Morgen waren die Kneipen und Straßencafés voll, die Kinder schliefen zum Schluss ungerührt vom Getümmel in den Armen der Eltern.

Nun ist in dem Vorort der Metropole, in dem meine Gastgeber ein Vier-Zimmer-Appartement bewohnen, schon um Mitternacht kaum noch jemand auf der Straße. Der Ort ist des Nachts so still, dass sogar der ruhegewohnte Nordeuropäer ungestört schlafen kann. Eine ganz neue Erfahrung, eine, die niemand genießen mag.

Einige Kilometer entfernt liegt Parla, eine Stadt mit gut 120000 Einwohnern. Parla steht wie kaum eine andere Kommune für das Platzen des spanischen Traums. 1970 ein Nest mit nur 10000 Seelen mauserte sich die Gemeinde bis Anfang der 2000er Jahre zur am schnellsten wachsenden Stadt des Landes. 2007 wurde sogar eine hochmoderne Straßenbahn eröffnet, die Fernbahnverbindung ins Zentrum von Madrid ist ausgezeichnet.

Die Straßenbahn fährt noch, doch sonst ist nichts mehr, wie es war: Im Zentrum blickt der Besucher in aufgegebene Geschäfte, und die noch durchhalten, sind gähnend leer. Am Ende der Hauptstraße steht ein halbfertiger Wohnkomplex, der gleichwohl komplett bewohnt ist. Es sind die Opfer der massenhaften Zwangsräumungen, die hier einfach eingezogen sind, klärt ein Passant auf. Wenigstens haben sie Strom, wie die zahlreichen Parabolantennen an der unverputzten Betonfassade verraten. Viele der bereits landesweit berühmt gewordenen „Hausbesetzer von Parla“ haben da weniger Glück im Unglück.

Hinter dem hässlichen Block warten schmucke Reihenhäuser, etwa 30, auf den Verkauf. In der Mitte lockt ein Musterhaus Interessenten, die nicht kommen. Keines der Häuser ist bewohnt, nur eines verkauft, was am Schild über dem Vorgärtchen zu erkennen ist: „Zu vermieten“.

In Parla ist beispielhaft zu sehen, wie plötzlich die Spanier von der Krise getroffen wurden. Alle Warnungen vor zu viel Schulden und einer unübersehbaren Blase am Häusermarkt in den Wind schlagend wurde bis zum Schluss ungestüm weitergebaut und gekauft – bis quasi über Nacht alles zusammenfiel. Auf toten Baustellen stehen noch die Maschinen herum, umrankt von Gestrüpp. Offenbar rotten sie dort schon seit Jahren vor sich hin, doch selbst der Abtransport des teuren Geräts lohnte nicht mehr.

In Madrid tummeln sich verwahrloste Bettler. Rumänische Zigeuner, sagen die Einheimischen. Sie waren in der Hoffnung auf Arbeit oder im Vertrauen auf den spanischen Sozialstaat ins Land gekommen und stehen nun ohne alles da. Daneben fallen bettelnde Spanier auf, die dem Anschein nach vor Kurzem noch in einem Büro gearbeitet haben. Im größten Park der Stadt das bedrückendste Bild von allen: Ein Rentner im Anzug sammelt alte Brötchen vom Rasen, die andere für die Vögel hinterlassen hatten. „Er tut sie sich in die Suppe“, verrät mein Gastgeber. Andere harren abends um zehn vor den Supermärkten aus in der Hoffnung, abgelaufene Lebensmittel zu ergattern.

Im Straßencafé mitten in Madrid bittet mich der Kellner, erst zu gehen, wenn er sich sein Trinkgeld von dem Tellerchen mit der Rechnung geholt habe, auf dem ich es der Landessitte folgend immer einfach zurückgelassen hatte. Neuerdings würde es geklaut.

Wer nach solchen Impressionen die Reden jener Politiker hört, die uns erzählen, wie sehr „Europa vom Euro profitiert“, den überkommt ein Schauer von kaltem Zynismus. Hans Heckel


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